Hans Joachim Müller hat wie kein Zweiter die Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Pro Ehrenamt geprägt und durch schwieriges Fahrwasser gesteuert. Im Interview spricht er über die größten Erfolge der 25 Jahre alten Dachorganisation und wie das Ehrenamt im Land aufgestellt ist.
Herr Müller, warum ist vor 25 Jahren die Landesarbeitsgemeinschaft Pro Ehrenamt als Dachorganisation für ehrenamtlich tätige Menschen gegründet worden?
Die Idee stammt aus dem heute immer noch bestehenden Arbeitskreis (AK) Kirche und Sport. Einig war man sich in dem AK, dass man immer wieder Ehrenamtler braucht. Wir haben ein gemeinsames Seminar veranstaltet, wo wir beschlossen, ein Jahr des Ehrenamts ins Leben rufen – und zwar für das Jahr 1996. Nachdem die Bistümer Trier und Speyer und die Evangelische Kirche im Rheinland, in der Pfalz und in Speyer, der Landessportverband und die damalige SPD-Landesregierung zugestimmt haben, konnten wir 1996 ein Jahr des Ehrenamtes veranstalten.
Stand allein im Vordergrund, ein Jahr des Ehrenamtes zu begründen?
Es ging auch darum zu überlegen, wie wir das Ehrenamt in unserer Gesellschaft stärken können. Wir waren fest davon überzeugt, dass wir mehr in die Öffentlichkeit gehen und uns besser präsentieren müssen. Das Problem war bis dato: Jede Organisation hat auf eigene Faust für die Interessen der Ehrenamtler gekämpft. Bis dahin fehlte eine dem Ehrenamt übergeordnete Strategie – zum einen in puncto Außendarstellung des Ehrenamtes, zum anderen in puncto allgemeiner Motivation für eine ehrenamtliche Tätigkeit.
Wie hat sich der Dachverband im Laufe des Vierteljahrhunderts entwickelt?
Wir haben die LAG Pro Ehrenamt am 5. Juni 1997 gegründet, 35 Organisationen stimmten bei der Mitgliederversammlung für uns und ein Vorstand wurde gewählt. Wieder fragte man mich, ob ich mich als Vorsitzender zur Wahl stellen will. Dabei war es auch mein Ziel, dass wir es schaffen, eine Landesarbeitsgemeinschaft im Dienst des Ehrenamtes auf die Beine zu stellen. Alle Vorstandsmitglieder der LAG Pro Ehrenamt waren ehrenamtlich tätig, das heißt freiwillig und unentgeltlich. Das ist ein ganz wichtiger Gedanke. Doch je mehr unsere Dachorganisation wuchs, je mehr Mitglieder sich uns anschlossen, umso mehr stellten wir fest, dass wir uns professioneller aufstellen mussten. Wir haben 1999 zum ersten Mal eine ABM-Halbtagskraft bekommen, die uns zwei Jahre zur Verfügung gestellt wurde. Zudem wurde uns beim LSVS ein Büro eingerichtet, sodass wir richtig loslegen konnten. 1997 nahm die erste Ehrenamtsbörse in Homburg ihre Arbeit auf, später folgte die zweite in St. Wendel. Der Sinn und Zweck der Ehrenamtsbörsen war folgender: Wir als LAG Pro Ehrenamt haben keinen Überblick über alle Verästelungen des Ehrenamts in allen sechs Landkreisen. Deshalb wäre es gut, wenn wir Dependancen schaffen. Unser Ziel war, dass wir in jedem Landkreis eine Ehrenamtsbörse einrichten – letztlich erreichten wir das Anfang 2005 mit den Ehrenamtsbörsen in Ottweiler, Saarlouis, Merzig und Saarbrücken.
Was sind aus Ihrer Sicht weitere Erfolge?
Unsere Dankeschönfeste organisieren wir seit 1999 jedes Jahr in einem anderen Landkreis als zentrale Veranstaltung für alle ehrenamtlich Engagierten. Das war eine kreative Idee unseres früheren zweiten Vorsitzenden, Christian Wermbter, ein evangelischer Pfarrer aus Saarlouis. Mit dabei sind stets die Landesregierung, eine Landkreis, eine Kommune und wir als Organisator eines bunten Programms. Zu jedem Dankeschönfest kamen zwischen 600 und 800 Gäste. Den vorläufigen Rekord markierte das Dankeschönfest im Jahr 2003 in der Sporthalle St. Wendel, als 1.600 Menschen teilnahmen. Meistens veranstalten wir das Fest um den 5. September, den internationalen Tag des Ehrenamtes. In dessen Rahmen wurden immer einige Ehrenamtler für ihre besonderen Leistungen mit der Bundesverdienstmedaille ausgezeichnet.
Ein riesiger Erfolg ist auch, dass wir es geschafft haben 2016 die Ehrenamtscard flächendeckend umzusetzen. Alles in allem habe ich zwölf Jahre dafür gekämpft, dass im ganzen Land diese Karte eingeführt wird. Die Ehrenamtscard hat letztlich eine hohe Wertschätzung erfahren, weil mit der Ausgabe der Karte jedem Ehrenamtlichen quasi das Tourismus-Ticket mitgegeben wurde.
Armin König hat schwere Vorwürfe gegen die Führung und Aufstellung der LAG Pro Ehrenamt erhoben. Die Rede ist von strukturellen Defiziten, finanziellen Problemen des Verbandes, „Projektitis". Wie ernst nehmen Sie diese Kritik?
Ich nehme das durchaus ernst und wir werden darauf antworten. Es ist nicht so, dass die LAG Pro Ehrenamt erst mit Armin König im Amt als Präsident angefangen hat zu existieren, sondern es hat auch in der Zeit davor Vorstände gegeben. In der Zeit, als ich Vorsitzender und Präsident war, war es so, dass ich und der Vorstand immer gemeinsam Entscheidungen getroffen haben. Er ist sehr oft an die Öffentlichkeit getreten, ohne sich vorher mit seinen Vorstandskollegen zu besprechen. Das ist kein guter Stil. All das, was da angesprochen wurde, ist uns bekannt, aber auch ein strukturelles Problem des Ehrenamtes an sich. Nach unserem Selbstverständnis ist die politische Präsenz eines LAG-Präsidenten (Armin König kandidierte bei der Landtagswahl 2021 für bunt.saar, Anm. d. Red.) nicht mit der ehrenamtlichen Tätigkeit vereinbar.
Wie einfach wird es Ehrenamtlern gemacht, wenn sie sich freiwillig engagieren wollen?
Als 2017 Annegret Kramp-Karrenbauer zur Ministerpräsidentin gewählt wurde, stand im Programm ihrer Partei der Abbau des Bürokratismus. Davon habe ich nichts gemerkt, eher im Gegenteil. Zwei Dinge haben uns gebeutelt: die Umstellung auf IBAN und die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Es war nicht möglich, dass Konto eines Mitglieds auf IBAN umzustellen und beispielsweise den Dauerauftrag über das neue IBAN-Konto einfach weiterlaufen zu lassen. Wir mussten uns von jedem einzelnen Mitglied per Unterschrift bestätigen lassen, dass er oder sie bei uns weiterhin Mitglied sein will und jetzt eine neue IBAN-Nummer hat. Mitunter nehmen Menschen das durchaus zum Anlass, sich zu fragen, ob es sich überhaupt noch lohnt, bei diesem oder jenem Verein Mitglied zu sein.
Und wie hoch sind die bürokratischen Hürden, wenn ich im Saarland einen Verein gründen will?
Im Prinzip ist das kein Problem. Wir haben Fachleute, etwa Rechtsanwälte und Steuerberater, die jederzeit den Mitgliedsvereinen zur Seite stehen und beispielsweise dabei helfen, Anträge auszufüllen. Das kann so ablaufen, dass einer von unseren Experten zu einer Gründungsversammlung geht, einen Entwurf erstellt und sagt so oder so kann man die Vereinssatzung strukturieren. Das ist wichtig, damit von Vornherein die DSGVO integriert ist. Wir sind eine Serviceagentur, die den Ehrenamtlern unter die Arme greift. Uns kann man jederzeit anrufen und wir helfen.
Im Jahr 2019 waren hierzulande laut Freiwilligensurvey 461.000 Saarländerinnen und Saarländer in den Bereichen Kultur, Soziales, Sport, Kirche, Umwelt- und Naturschutz, Politik sowie Selbsthilfegruppen aktiv. Was für einen Stellenwert hat das Ehrenamt in unserer Gesellschaft?
Einen ganz hohen. Wenn Sie das Vorwort der saarländischen Ministerpräsidentin Anke Rehlinger im Jubiläumsbuch der LAG Pro Ehrenamt nachlesen, wird das deutlich. Schöne Worte sind das eine, aber letztlich geht es darum, welche gesetzlichen Rahmenbedingungen für das Ehrenamt gelten und welche Hilfe den Ehrenamtlern angeboten wird. Es ist nicht so, dass die Regierung nichts dafür tut das Ehrenamt im Land zu stärken. Doch aus meiner Sicht könnte noch viel mehr gemacht werden.
Wird vonseiten der Politik und Gesellschaft dem Ehrenamt und den ehrenamtlich Engagierten genug Anerkennung entgegengebracht?
Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Neben unserem Dankeschönfest würdigt die saarländische Landesregierung auch ihrerseits zum Beispiel die besonderen Leistungen von Ehrenamtlern mit der Ehrenamtsnadel und fördert mit „Saarland zum Selbermachen" gemeinwohlorientierte Projekte in den Kommunen. Es passiert im Bereich des Ehrenamtes unheimlich viel, aber manchmal wird das nicht in der Öffentlichkeit kommuniziert. Deshalb bemühen wir uns, auf solche Aktionen, auch wenn sie mit unserem Verein direkt nichts zu tun haben, auf unseren Webseiten darauf aufmerksam zu machen. Unser großer Wunsch dahingehend ist, dass wir eine große Onlineplattform für das Ehrenamt im Saarland etablieren. Dafür hat die Landesregierung sogar schon 225.000 Euro pro Jahr im Haushalt eingestellt und schon im Jahr 2018 angekündigt das umzusetzen. Bis heute ist aber leider nichts passiert.
Was sind die Herausforderungen, die in Zukunft auf das Ehrenamt zukommen?
Viele Vereine hierzulande stehen vor der Herausforderung, Funktionsträger zu finden. Das können Vorsitzende, Schatzmeister oder sonstige Mitarbeiter im Ehrenamt sein, die ihre Freizeit zur Verfügung stellen. Die Suche nach Personen, die Verantwortung in Vereinen übernehmen wollen, gestaltet sich schwierig aufgrund der stärkeren beruflichen Belastung, des gewandelten Selbstbildes des Ehrenamtes und der nachlassenden Strahlkraft von Vereinen. Die Ehrenamtler von heute sind sich zu schade dafür, einfach nur stur eine Aufgabe im Vorstand zu übernehmen ohne Mitspracherecht zu haben. Vielmehr wollen sie mitreden, gestalten, kreativ sein und Projekte umsetzen. Wenn das Vereine machen und nach außen kommunizieren, werden sie neue Mitglieder bekommen. Auch das digitale Ehrenamt ist in der Pandemiezeit wichtiger geworden. Einige der landesweit 250 Lernpaten haben per Zoom und Whatsapp mit ihren Kindern von zu Hause weitergearbeitet. Wir als Organisation haben ständig per E-Mail den Kontakt zu jenen Lernpaten gehalten, die nicht mit Maske in der Schule arbeiten wollten. Denen haben wir gesagt: „Bleibt dabei, haltet euch bereit und steht zur Verfügung".