Die vielen sozialen Schnellschüsse der Bundesregierung sind meist Rohrkrepierer. Das jedenfalls sagt Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler. Was die neue Bundesregierung jetzt tun sollte: Schuldenbremse einhalten und die kalte Progression angehen.
Den 13. Juli konnten sich alle Steuerzahler in Deutschland rot im Kalender anstreichen. Ab diesem Tag arbeiteten sie in ihre eigene Tasche. Denn alles vorher Verdiente geht in Form von Steuern und Abgaben an den Staat. Umgerechnet bleiben also bis Mitte Juli von einem Euro 47 Cent übrig.
Das dürfte sich in Zukunft leider wenig ändern, befürchtet Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler in Deutschland. Ein Blick auf die Schuldenuhr mit einer Pro-Kopf-Verschuldung von rund 28.500 Euro, der wachsende Sozialstaat und die aktuellen Krisen lassen das wahrscheinlich vermuten. „Doch es kann und muss anders gehen", behauptet Holznagel, der Mitte Juli in Saarbrücken Gast auf einer Veranstaltung der IHK Saarland, der Villa Lessing und dem Wirtschaftsnetzwerk Saar war. Denn noch vor vier Jahren wurden Schulden in Deutschland auch mal abgebaut, wenn auch nur in bescheidenem Rahmen. Derzeit sind Bund, Länder und Kommunen mit insgesamt 2,3 Billionen Euro verschuldet.
Eindeutige Worte fand Reiner Holznagel deshalb in Richtung Bundestag und Bundesregierung, die Schuldenbremse im kommenden Jahr wieder einzuhalten, die Einkommenssteuertarife dringend zu reformieren, die Abschaffung der kalten Progression endlich umzusetzen, den Subventionsabbau voranzutreiben und die Sozialsysteme langfristig abzusichern.
Auf Kurzfristigkeit angelegten sozialen Wohltaten wie Tankrabatt, 9-Euro-Ticket, Energiepauschale oder die Mehrwertsteuersenkung erteilt er eine klare Absage. „Sie kosten viel Geld, verpuffen in ihrer Wirkung, sind bürokratische Monster und eher politisch motiviert. Sie gehören in die Schublade der Symbolpolitik, um Wählerstimmen zu erhaschen." Zudem gebe es aufgrund des Gießkannenprinzips viel zu viele Mitnahmeeffekte von Menschen, die auf diese sozialen Wohltaten gar nicht angewiesen seien. Gerechter und zielführender wäre es, beispielsweise das Reiserecht mit den Steuerpauschalen zu reformieren oder die Kilometerpauschale zu erhöhen.
„Entlastungen zu kurzfristig"
Am gesellschaftlichen Konsens, die Stärkeren müssen die Schwächeren stützen, wolle er gar nicht rütteln, so Holznagel. Aber die meisten sozialen Wohltaten seien nicht struktureller Natur, sondern rein konsumtive Ausgaben, die kurzfristige Auswirkungen haben. Und von denen verlangt ausgerechnet der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) noch mehr.
Aber der habe ja nächstes Jahr Landtagswahlen. Außerdem fresse die hohe Inflation das alles wieder auf. Holznagel plädiert vielmehr dafür, dringend in die marode Infrastruktur, in die Energiewende und in die Transformation der Wirtschaft, sprich Digitalisierung, zu investieren. Das sorge für Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum.
Gerade bei der Digitalisierung habe Deutschland komplett den Anschluss verpasst. Entsprechend hart ging er mit dem Beamtenapparat ins Gericht. „Auf der Ministerialebene tun die noch immer so, als hätte sich in der Welt nichts verändert. Und das geht bis auf die EU-Ebene hinauf. Der deutsche Staat digitalisiert sich leider nur in dem Maße wie er es meint zu schaffen und orientiert sich dabei nicht an den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger."
Auf die Frage, wie die dringend benötigten Investitionen zu finanzieren seien, verwies Holznagel auf die Faktenlage: Der deutsche Staat hat auf der Einnahmenseite im Augenblick kein Problem. Die Steuerquellen in diesem Jahr sprudeln besser als vor Corona. „Wir haben in diesem Land vielmehr ein Ausgabenproblem." Nicht ein einziges Bundesministerium habe seit Corona ein Sparprogramm vorgelegt. Im Gegenteil: Noch nie gab es so viele Staatssekretäre in jener „XXL-Bundesregierung", noch nie wurde so viel Personal eingestellt, noch nie war der Bundestag so riesig, ein XXL-Parlament, das nach Verschlankung nur so lechzt. Alle Ministerien haben mehr Geld erhalten, und es werde Geld ausgegeben, als hätte es nie eine Krise gegeben. „Wer glaubwürdig erscheinen will, sollte besser mit gutem Beispiel vorangehen. Wir brauchen einen anderen Spirit. Das würde durchaus Nachahmeffekte in der Bevölkerung auslösen."
Ein Vorschlag von ihm: fünf Prozent Einsparung im Haushalt per Rasenmähermethode in jedem Ministerium. Alle Subventionen auf den Prüfstand stellen vor allem die Kaufprämie für E-Autos. Die soll nun nach Beschluss der Regierung gekürzt werden. Aber auch völlig absurde Dinge wie die Finanzierung von Robotern, die Weihnachtsbäume absägen oder die Förderung von Netflix-Filmen fallen für die Steuerzahlerlobby in die Kategorie Steuerverschwendung und gehörten abgeschafft.
Des Weiteren müsse in Deutschland endlich mit dem Vorurteil aufgeräumt werden, dass wir uns mit mehr Schulden mehr leisten können im Hinblick auf die Aussage der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken, die Schuldenbremse einfach weiter auszusetzen. „Die zunehmende Staatsverschuldung zahlen wir alle, und zwar jetzt, und nicht nur die kommenden Generationen. Die Schulden von heute sind die Steuern von morgen. Allein die Zinsveränderung lässt den Schuldendienst von drei Milliarden auf 30 Milliarden nach oben schnellen." Die unlängst getroffene Aussage von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, Geld sei letztendlich auch nur bedrucktes Papier, habe ihn hinsichtlich der wirtschaftspolitischen Kompetenzen zutiefst irritiert.
„Staat kann nicht alles zahlen"
Den politisch Handelnden in Berlin schreibt Holznagel ins Stammbuch, endlich für ein stabiles und gerechtes Steuersystem zu sorgen und das Steuerrecht zu reformieren. Die Abschaffung der Stromsteuer, die Senkung der Mineralölsteuer, ab wann der Spitzensteuersatz greifen sollte, all das seien Maßnahmen, über die die Politik ehrlich und transparent diskutieren könne, aber nicht über technische steuerrechtliche Normen wie Pendlerpauschale oder allen voran die kalte Progression. Sie abzuschaffen sei eine Pflicht. Damit hätte eine breite Bevölkerungsschicht wesentlich mehr netto am Ende des Monats im Portemonnaie. Unehrlich nannte er außerdem die Diskussion um die abgeschaffte EEG-Umlage seit 1. Juli dieses Jahres, denn im Grunde genommen werde der vermeintliche finanzielle Vorteil den Bürgerinnen und Bürgern durch die CO2-Steuer wieder genommen.
Zur Ehrlichkeit gehört es aber auch zu sagen, dass der Staat nicht alles übernehmen und alles zahlen kann. „Wir müssen auch den Weg finden, aus den vielen Hilfspaketen wieder auszusteigen und den Bürgerinnen und Bürgern sagen, dass sie auf eigenen Füßen stehen müssen." Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, der Staat kümmere sich um jegliches Lebensrisiko, denn der Staat – das seien letztendlich wir alle.
Aber auch die Wirtschaft nahm Holznagel ins Gebet. Marktwirtschaft sei nicht nur zu einem Schimpfwort im politischen Berlin geworden, sondern auch zunehmend in der Wirtschaft. Der Ruf nach mehr Regulierung, nach mehr staatlichen Hilfen, nach mehr Subventionen sei letztendlich schädlich für die soziale Marktwirtschaft. In diesem Zusammenhang verwies Holznagel auch auf eine Studie, die besagt, dass bei einer weiteren Privatisierung von Telekom und Deutsche Post zusätzliches Geld für Investitionen bereitgestellt werden könnte. Sicherlich Wasser auf die Mühlen von Bundesfinanzminister Christian Lindner, der bereits als FDP-Vorsitzender forderte, der Bund solle sich von seiner Beteiligung an beiden Unternehmen trennen und das erlöste Geld etwa in die Digitalisierung stecken. Derzeit ist dies offenbar kein Thema. Und die Schuldenuhr tickt weiter.