Erstmals seit einem halben Jahrhundert wird die Nasa in Zusammenarbeit mit der Esa 2022 wieder Astronauten in die Weiten des Alls befördern – zunächst zum Mond, dann zu Asteroiden und später zum Mars. Das Raumschiff Orion soll 2019 zur Jungfernfahrt aufbrechen.
Beim Namen Orion wird sich so mancher Fernsehzuschauer der älteren Generation sogleich an die legendäre Science-Fiction-Serie „Raumpatrouille – Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes Orion“ erinnern, die ab September 1966 im deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde – mit Dietmar Schönherr in der Rolle des Kommandanten Cliff Allister McLane. Inzwischen gibt es tatsächlich ein Raumschiff, das den Namen Orion trägt. Mit diesem wird die US-Raumfahrtbehörde Nasa die seit 50 Jahren anhaltende Beschränkung auf erdnahe Missionen – die Internationale Raumstation ISS umrundet die Erde in maximal 400 Kilometern – beenden. Dann werden wieder Erkundungsflüge in die unendlichen Weiten des Weltraums aufgenommen.
Schließlich hatte es seit der sechsten und letzten Mondlandung des legendären Apollo-Programms im Dezember 1972 keine bemannte Raumfahrt mehr zu weit von der Erde entfernten Zielen gegeben. Mit der Raumfähre Orion bekommt nun das 1972 aufgenommene und im Juli 2011 nach Desastern wie dem „Challenger“-Unglück 1986 und der „Columbia“-Katastrophe 2003 eingestellte Spaceshuttle-Programm einen legitimen Nachfolger. Das dürfte nicht zuletzt dem amerikanischen Selbstbewusstsein gut tun. Denn seit 2011 ist das nach eigenem Verständnis mächtigste Land der Welt auf Russland und dessen Sojus-Raketen angewiesen, wenn amerikanische Astronauten zur ISS befördert werden sollen.
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igentlich war das Orion-Programm schon 2006 beschlossen worden. Doch so richtig in Gang war es erst 2013 gekommen, nachdem die Nasa den Entschluss gefasst hatte, das ambitionierte Projekt nicht mehr im kostenintensiven Alleingang, sondern in Zusammenarbeit mit der europäischen Raumfahrtagentur Esa zu verwirklichen. Dafür musste die Nasa über ihren eigenen Schatten springen. „Es war für die USA eine sehr schwierige Entscheidung, jemand anderen mit dem Bau kritischer Elemente für ein Raumfahrzeug zu betrauen“, so der Nasa-Spitzenmanager Mark Geyer. Aber die Amerikaner hatten gute Erfahrungen mit den Europäern auf der ISS gemacht. Zudem konnte die Esa erstklassige Referenzen wie die Landung der Sonde Huygens auf dem Saturnmond Titan anno 2005, die 2004 gestartete Rosetta-Mission zum Kometen Tschurjumow-Gerassimenko und speziell die erfolgreichen, 2008 begonnenen Flüge des eigenen Raumfrachters Automated Transfer Vehicle (ATV), der problemlos Versorgungsgüter zur Raumstation ISS transportiert hatte, vorweisen.
Das ATV war zwar auch ein sehr gutes Raumfahrzeug, doch die Amerikaner interessierten sich im Zusammenhang mit Orion vor allem für seine fehlerlos funktionierende Antriebsstufe. Dessen technische Weiterentwicklung wird dem Orion Multi-Purpose Crew Vehicle, so der komplette Name des Raumtransporters, als Versorgungsmodul dienen. Inklusive sind Triebwerk, Stromversorgung auf Basis von Solarzellen, Temperaturregulierung, Trinkwasser- und Atemluftversorgung. Das Europäische Servicemodul (ESM) wird seit Frühjahr 2016 im Auftrag der Esa im Bremer Werk der Airbus-Raumfahrtsektion Defence and Space aus bis zu 30.000 Einzelteilen angefertigt.
Eine Mission pro jahr geplant
Anschließend wird das ESM zum Kennedy Space Center in Florida geliefert, wo es im Frühjahr 2018 von den Nasa-Spezialisten mit der von der US-amerikanischen Firma Lockheed-Martin in der Nähe von New Orleans gebauten Kapsel zusammengefügt werden soll. Die Systeme von ESM und Kapsel können nur über einen äußeren Bügel miteinander verbunden werden, da die Unterseite der Kapsel komplett mit empfindlichen Hitzeschild-Kacheln bedeckt ist, die ein Verglühen der Kapsel auf dem Rückflug beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre verhindern sollen. Das wird dem schutzlosen ESM, das neben dem Haupttriebwerk auch noch über 33 weitere Mini-Triebwerke für Kurskorrekten und Stabilisierungen verfügt, garantiert nicht gelingen. Um Gewicht zu sparen, werden bei dem Raumschiff möglichst leichte Werkstoffe verarbeitet. Rund 70 Prozent werden aus Faserverbundstoffen bestehen. Es kommen aber auch Aluminium-Lithium-Legierungen zum Einsatz, die noch leichter als Aluminium sind. Das bewährte Leichtmetall Titan ist ebenfalls mit von der Partie.
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ur Jungfernfahrt, die gemäß eines ungeschriebenen Gesetzes der Raumfahrt bei der Erprobung neuer Technologien wieder nur unbemannt erfolgen wird, wird das Raumschiff Orion nach derzeitiger Planung im November 2019 mittels einer neu konstruierten Riesenrakete namens Space Launch System (SLS) in den Weltraum geschossen, um Kurs auf den Mond aufzunehmen. Die erste Mission soll rund drei Wochen dauern, in deren Verlauf die Orion ähnlich wie die Apollo-Raumschiffe in eine Mondumlaufbahn einschwenken wird. Als Besonderheit ist geplant, dass die Orion hinter dem Mond rund 70.000 Kilometer weit ins All fliegen soll – bis zum Lagrange-Punkt, an dem sich die Gravitationskräfte von Sonne, Erde und Mond die Waage halten. So weit ist noch nie ein für den Transport von Menschen konzipiertes Raumschiff geflogen. Ein dort deponiertes Objekt bleibt stabil im Raum stehen, weshalb Astrophysiker hoffen, hier künftig wichtige Messinstrumente, beispielsweise Radioteleskope, einen Mondlander oder gar ein Forschungslabor dauerhaft stationieren zu können.
Bei der Nasa geht man mittelfristig von einer Orion-Mission pro Jahr aus. Neben Flügen zum Mond stehen Reisen zu Asteroiden auf der Agenda. Für bemannte Marsflüge ist Orion allerdings nicht tauglich. Denn das Raumschiff ist einfach nicht groß genug, um die für die lange Flugdauer nötigen Mengen an elementaren Dingen wie Lebensmittel oder Trinkwasser aufnehmen zu können. Orion könnte allerdings künftig Zubringerdienste zu einem größeren, in der Mondumlaufbahn geparkten Raumschiff übernehmen, das jedoch erst noch gebaut werden müsste. Die Orion könnte theoretisch auch problemlos Astronauten zur ISS befördern, aber dafür ist sie offiziell bisher nicht vorgesehen. Für einen so kurzen Flug könnte sie sogar sechs Personen aufnehmen, für längere Weltraumaufenthalte ist jedoch nur Platz für vier Astronauten – immerhin ein Platz mehr als früher bei Apollo. Der erste bemannte Orion-Flug mit dem Mond als wahrscheinlichem Reiseziel ist für das Jahr 2022 vorgesehen. Den Auftrag zum Bau des dafür nötigen zweiten Versorgungsmoduls haben die Bremer Airbus-Raumfahrt-Konstrukteure kürzlich erhalten.