In Berlin gemeinsam am Kabinettstisch, im Wahlkreis Saarlouis Konkurrenten um das Direktmandat: Peter Altmaier (CDU) und Heiko Maas (SPD). FORUM hat beide Spitzenpolitiker zur direkten Auseinandersetzung eingeladen.
Herr Maas, Sie sind vor vier Jahren relativ unverhofft zu der Aufgabe in Berlin gekommen und haben es geschafft, das Justizministerium wieder in der öffentlichen Wahrnehmung zu verankern – wie?
Maas: Nicht unverhofft, aber es kam unerwartet. Ich musste mich in sehr kurzer Zeit damit auseinandersetzen, was der Justizminister, der ja auch Verbraucherschutzminister ist, für Aufgaben hat. Die öffentliche Wahrnehmung war, der Justizminister ist der Notar der Bundesregierung, hält sich aus der Politik heraus. Das war mir zu elitär. Rechtspolitik ist immer Gesellschaftspolitik. Wir haben in dieser Legislaturperiode Dinge gemacht, die weit über Justizpolitik hinausgehen: das Mietrecht, die Frauenquote, Ausländer- und Asylfragen beispielsweise, damit standen wir natürlich auch im Fokus der deutschen Politik. Auch ein Justizminister muss, wenn er Politik gestalten will, sich in Politik einmischen. Das hat nicht jedem gefallen, aber dass wir dadurch als Justiz- und Verbraucherschutzministerium anders wahrgenommen wurden, war durchaus beabsichtigt. Am Ende haben wir 95 Gesetze eingebracht. Damit haben wir deutlich gemacht, dass wir einen großen Gestaltungsanspruch haben.
Herr Altmaier, Sie sind als Kanzleramtsminister einer der mächtigsten Männer in der deutschen Politik. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, einer Ihrer Vorgänger, hat mal gesagt: Wenn der Kanzleramtsminister im Mittelpunkt steht, hat er etwas falsch gemacht. Sie stehen mehr im Mittelpunkt als Ihre Vorgänger. Wie kommt das?
Altmaier: Wenn man dieses Kriterium anlegt, habe ich gar nichts verkehrt gemacht. Denn so häufig war ich gar nicht im Fernsehen. Das hängt damit zusammen, dass ich in meiner Rolle als Kanzleramtsminister über viele Dinge gar nicht reden darf. Wenn zwei Minister in der Koalition sich streiten, muss ich Teil der Lösung sein und darf darüber nicht sprechen, sonst mache ich meine eigene Arbeit kaputt. Das ist teilweise kompensiert worden durch meine imposante Erscheinung (schmunzelt). Wenn ich doch mal in eine Talkshow gehe, wie zu Zeiten der Flüchtlingskrise, bin ich unübersehbar. Aber ich bin bei Weitem nicht so häufig als Kanzleramtsminister in Erscheinung getreten wie als Umweltminister.
In dieser Legislaturperiode gab es aus saarländischer Sicht ein zentrales Anliegen: die Reform des Länderfinanzausgleichs. Mit Ihnen beiden haben wir zwei Schwergewichte im Berliner Kabinett. Verraten Sie uns, wie Sie Ihren Einfluss geltend gemacht haben.
Altmaier: Das war ein großer Erfolg fürs Saarland. Wenn es um viele Milliarden Euro und die Interessen von Bundesländern, des Bundes insgesamt und der Ministerien geht, gibt es sehr viele Gremien, die sich einmischen wollen. Die entscheidenden Fragen wurden in ganz kleinen Runden geklärt: Der Vizekanzler, Horst Seehofer und Angela Merkel als Parteivorsitzende, der Finanzminister und der Kanzleramtsminister. Wir haben uns unter anderem mit den Ministerpräsidenten getroffen. Wir beide, Heiko Maas und ich, haben dann mit unseren Möglichkeiten versucht, die saarländischen Interessen in den Gremien und der Partei deutlich zu machen: Das Saarland kann seine Eigenständigkeit nur sichern, wenn es deutlich mehr Geld hat. Ein bisschen problematisch für Heiko Maas war sicher bei seiner Partei, dass das Saarland eine CDU-Ministerpräsidentin hat. Mit Bremen war es umgekehrt. Wir haben es dann geschafft, dass in CDU/CSU und SPD das Saarland und Bremen gleichermaßen behandelt wurden, und dann hatten wir relativ früh eine Einigung.
Herr Maas, Sie waren während dieser Diskussion in der SPD der Feuerwehrmann. In der Fraktion gab es Widerstand. Greifen Sie dann abends um neun noch zum Telefonhörer und fragen Thomas Oppermann, wie es aussieht? Oder halten Sie in der Fraktion eine Brandrede?
Maas: Thomas Oppermann würde ich auch später noch anrufen, wenn es notwendig wäre. Nein, Brandreden musste ich keine halten. Zwei Dinge waren wichtig: Erst mal, wie sieht der neue Länderfinanzausgleich aus. Das ist sehr lange diskutiert worden, die Forderungen der Länder wurden immer höher. Die Lösung, wir klären das unter den Ländern und der Bund bekommt dann die Rechnung, hat auch nicht jedem gefallen. Für uns, in enger Abstimmung mit der Landesregierung, war wichtig, dass wir 500 Millionen Euro aus dem Länderfinanzausgleich bekommen und den Länderhaushalt damit Stück für Stück konsolidieren können. Dann gab es ein Modell aus dem saarländischen Finanzministerium, das wir über unsere Kanäle in die Diskussion eingespielt haben. Im Frühjahr, als es um die Entscheidung ging, auch die vielen Verfassungsänderungen durchzubringen, gab es in beiden Regierungsfraktionen noch mal mächtig Ärger. Es gab viele, die nicht eingesehen haben, dass die Länder sich einigen und der Bund dafür zehn Milliarden Euro bereitstellen soll. Da stand die Lösung noch mal auf der Kippe, und da hat jeder in der Fraktion gezählt, um Überzeugungsarbeit zu leisten. Viele wollten den neuen Länderfinanzausgleich nicht mehr in dieser Legislaturperiode verabschieden, weil es eben so viele strittige Punkte gab. Es gab großen Druck, das auf jeden Fall noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden.
Altmaier: Das stimmt. Ganz zu Anfang gab es eine Sitzung des saarländischen Landeskabinetts in der Landesvertretung in Berlin. Eingeladen waren auch Heiko Maas und ich. Ich habe noch nie eine Sitzung gesehen, bei der es so viel Kaffee und Kuchen gab… Wir beide wussten nicht so genau, was von uns erwartet wird. Und dann sagten die Landesminister, auch Annegret Kramp-Karrenbauer: „500 Millionen brauchen wir schon.“ Da blieb uns schon die Spucke weg. Am Ende des Kuchens haben Heiko Maas und ich Blicke gewechselt und beide gesagt: „Okay, wir versuchen es.“ Seither stand die Hausnummer im Raum, das war gut, weil sie leistbar war. Die Gefahr war, wie Heiko Maas sagte, dass es insgesamt auf den letzten Metern scheitert. Dann hätte keiner etwas bekommen, was für das Saarland ein viel größeres Problem gewesen wäre als für Bayern oder Nordrhein-Westfalen.
Bei so viel Einigkeit – jetzt kandidieren Sie im Wahlkreis gegeneinander.
Maas: Unabhängig davon, für welche Partei man fürs Saarland im Bundestag sitzt, muss man für das Saarland über Parteigrenzen hinweg handeln. Ansonsten wird es schwierig, die Leidtragenden wären die Menschen hier im Land. Das wäre auch nicht meine Art von Politik. Manche glauben, dass Wahlkampf immer dann stattfindet, wenn man den politischen Gegner beschimpft und verächtlich macht. Ich glaube nicht, dass das im Interesse der Bürgerinnen und Bürger ist, wenn Politiker persönlich übereinander herfallen. Es geht darum, herauszuarbeiten, wo man in der Sache unterschiedlicher Auffassung ist.
Zwei Minister treffen in einem Wahlkreis aufeinander, das ist ganz toll, die Medien berichten darüber. Das sind aber auch die einzigen von außerhalb, die das interessiert. Die Menschen, die hier leben und eine Wahlentscheidung treffen, interessiert: Was will der- oder diejenige? Deshalb gehen wir beide relativ unaufgeregt damit um und versuchen, über politische Inhalte zu reden. Im Gegensatz zu Herrn Altmaier und der CDU versuche ich ja, Beiträge zum Wahlkampf zu liefern (grinst). Das größte Wahlkampfziel der CDU ist, dass überhaupt kein Wahlkampf stattfindet. Frau Merkel reagiert auf Wahlkampfangriffe so, dass sie gar nichts dazu sagt oder dasselbe wiederholt. Es gibt im Internet ja wieder den Wahl-O-Mat, und ich habe gehört, wenn man alle Fragen mit „neutral“ beantwortet, kommt CDU als Wahlempfehlung heraus.
Altmaier: Da brauche ich mich nicht dagegen zu wehren. Ich hatte ja die Freude, das CDU-Regierungsprogramm zu tippen. Dort sind viele Themen drin, über die man streiten kann. Aber derjenige, der daran etwas ändern möchte, ist der Herausforderer Martin Schulz. Und jetzt muss ich sagen: Dass wir jetzt auch dafür sorgen sollen, dass das SPD-Wahlprogramm interessant wird, das geht zu weit. Das müsst ihr schon selber hinkriegen (Gelächter). Warum wir beide so entspannt sind: Wir sind ja nicht erst seit gestern in der Politik. Auch Heiko Maas ist vielen im Saarland bekannt, er war im Saarland Minister, Landesvorsitzender, Spitzenkandidat. Ich habe mehrmals das Vertrauen im Wahlkreis gewonnen, einmal gegen Otmar Schreiner, einmal gegen Reinhold Jost. Das waren immer starke Kandidaten, ich bin also Kummer und Leid gewohnt. Aber das stachelt ja auch an. Am Ende steht immer: Wer soll das Land regieren, und wie sind meine Politikerwartungen an die Zukunft?
Nach dem Diesel-Skandal reden alle über Elektromobilität. Im Ford-Werk hier in Saarlouis werden ja derzeit pro Jahr nur eine Handvoll Elektrofahrzeuge hergestellt. Das ist ein bisschen wenig.
Maas: Diese Frage treibt nicht nur die Politik um, sondern auch die Automobilhersteller. Mittlerweile wird jedenfalls nicht mehr abgestritten, dass in Deutschland vieles verschlafen wurde. Aber es hängt auch von der technologischen Entwicklung ab. Solange Elektrofahrzeuge mit einer Reichweite von unter 150 Kilometern angeboten werden, wird Elektromobilität schwierig. Martin Schulz hat eine Quote für Elektroautos vorgeschlagen. Der Aufschrei war groß. Wir müssen das forcieren. Ich glaube aber, wir werden noch eine lange Übergangszeit erleben, mit Verbrennungs- und Dieselmotoren.
Damit sind Sie auf Linie der Kanzlerin.
Maas: Naja, sie hat mal gesagt, der Diesel sei erledigt, dann wieder das Gegenteil. Wir müssen uns über neue Instrumente Gedanken machen, deshalb finde ich die Quote von Martin Schulz richtig. Die Entwicklung läuft sonst komplett an uns vorbei. Das Thema Batterien findet ja jetzt schon in Fernost statt. Der Bedarf ist da, aber wir brauchen diese Vorgaben, damit das ganze zügiger vorangeht.
Altmaier: Also zunächst hat die Kanzlerin nie gesagt, dass der Diesel erledigt sei. Die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Aber: Wir haben 42 Millionen zugelassene Autos. Das Ziel war, davon eine Million Elektroautos bis 2020, dafür haben wir Kaufanreize geschaffen. Doch das Ziel ist schwer zu erreichen, weil der Verkauf nicht in Gang kommt. Deshalb liegt es in unserem Interesse, dass der Diesel künftig eine Chance hat. Er produziert weniger CO2 als der Benziner, wodurch wir unsere Klimaziele einhalten können. Insbesondere im Saarland sind wir eng an das Schicksal des Diesels gekoppelt, nicht nur durch Ford, auch durch die Nemak in Pachten, ZF oder Bosch. Das Zweite ist: Wenn sich jemand vor zwei Jahren einen Diesel im Vertrauen auf seine Sauberkeit gekauft hat, dann darf derjenige nicht der Leidtragende sein durch Wertverlust des Fahrzeugs oder Fahrverboten in Städten. Fahrverbote entscheiden aber die Gerichte und Kommunen. Abwenden können wir diese, indem die Innenstädte schnell sauberer werden – durch Elektrofahrzeuge. Wir brauchen ein Auto, dass 100 Kilometer weiter fährt als ein Tesla und 5.000 Euro weniger kostet, keine Quote, aber Anreize.
Die Energiewende verzögert sich, Bürgerinitiativen wenden sich gegen Stromtrassen. Muss da nicht mal der Kanzleramtsminister auf den Tisch hauen?
Altmaier: Auf den Tisch hauen verändert nichts außer die Konsistenz des Tisches. Die spöttisch belächelte Form des Gipfels als politische Entscheidungsfindung hat sich bewährt, etwa in der Flüchtlingsfrage und beim Länderfinanzausgleich. Bei der Energiewende war das auch ein großer Erfolg. Als Umweltminister habe ich über eine Strompreisbremse gesprochen. Das hat viele empört, aber manchmal muss man provozieren, um bestimmte Dinge zu erreichen. Jetzt haben wir die Stromtrassen, die unter der Erde verlegt werden, sie werden zwei Jahre später fertig als geplant. Aber dadurch, dass wir sie vergraben, sind die Bürgerinitiativen bereit, auf Klagen zu verzichten. Die Förderung für erneuerbare Energie haben wir auf ein Versteigerungsprinzip umgestellt. Der Ausbau kommt in ein geregeltes Verfahren. Bis sich das aber auf den Strompreis von Tante Frieda auswirkt, das dauert, dafür müssen wir in der nächsten Legislaturperiode die Weichen stellen.
In Ihrem Wahlkreis liegen das Kohlekraftwerk Ensdorf und am Rand das französische AKW Cattenom, beides Technologien, aus denen wir herauswollen. Schaffen wir das?
Maas: Niemand will, dass Cattenom ewig läuft. Das haben wir in Frankreich deutlich gemacht, ich als Wirtschaftsminister im Saarland und auch von Berlin aus. Aber man stößt da auf taube Ohren. Entschieden wird das letztlich in Frankreich. Und ich sehe derzeit keine Linie bei unseren Nachbarn, die darauf hinausläuft, dass Cattenom geschlossen wird. Wir setzen uns deshalb nicht weniger dafür ein. Bei der Anzahl an Störfällen gibt es auch alleine unter dem Sicherheitsaspekt ein Interesse daran.
Altmaier: Emmanuel Macron hat kürzlich erst gesagt, dass Frankreich nicht beabsichtigt, Cattenom zeitig zu schließen. Sie werden andere, ältere Kraftwerke schließen und den Atomstrom reduzieren. Das bedeutet nicht, dass sie alle Atomkraftwerke schließen. Ihr Stromverbrauch wächst, andere Energien werden diese Lücke schließen. In einem Dreiländergespräch mit Frankreich, Luxemburg und dem Saarland haben wir schon in meiner Zeit als Umweltminister über die Sicherheitsbedenken gesprochen. Aber ich glaube, wenn wir in Deutschland die erneuerbaren Energien so wettbewerbsfähig machen, wie es sich andeutet und sie sich am Strommarkt refinanzieren können, gibt es keine inhaltliche Notwendigkeit mehr für Atomstrom. Das wird die energiepolitische Diskussion verändern. Deshalb bin ich auch gegen die Quote für Elektroautos: Wir exportieren derzeit viele Autos nach China. Die chinesische Regierung hat nun eine solche Quote eingeführt. Die chinesische Wirtschaft hat es dabei leichter, weil ihre Regierung sie finanziell unterstützt. Also würden wir künftig weniger Autos in China verkaufen, weil die deutschen Elektroautos noch nicht mithalten können. Deshalb haben wir in Peking dafür geworben, dass diese Quote nicht für deutsche Autos gilt. Eine solche Quote für Deutschland würde uns das Argument nehmen.
Maas: Energiewende finden alle gut, solange sie nichts kostet und sie nicht vor der eigenen Haustür stattfindet. Wir haben nun unsere Windkraftvorrangflächen ausgewiesen, es wurde erheblich investiert im Saarland. Aber wir sind so langsam an einem Punkt angelangt, an dem wir aufpassen müssen, nicht die öffentliche Akzeptanz für erneuerbare Energien zu verlieren. Der aktuelle Ausbau hat ein Ausmaß angenommen, der gut ist, aber der weitere Ausbau würde erhebliche Probleme nach sich ziehen.
Altmaier: Ich glaube, dass Deutschland so groß ist, dass man die Windräder dorthin stellen kann, wo die Bürger keine Probleme mit ihnen haben: In Schleswig-Holstein, Niedersachen, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern lieben die Menschen die Windräder, weil sie Wertschöpfung in Regionen bringen, wo es wenig Arbeit gibt.
Die demografische Entwicklung wird unser Land verändern. Immer mehr Ältere und immer weniger Einwohner, dazu eine Landflucht. Die Entwicklung zeichnet sich schon lange ab, ist in Ost-Ländern Realität. Man hat aber nicht den Eindruck, dass das im Fokus der Politik steht.
Maas: Ich würde nicht sagen, dass man sich damit nicht beschäftigt hat. Die Entwicklung ist unterschiedlich. In Berlin ist die Herausforderung eine andere als im Saarland. Wenn es um Demografie geht, muss man auch die Frage stellen: Was tut man, um jungen Menschen Mut zu machen, dass sie sich für eine Familie entscheiden, für Kinder? Da ist viel gemacht worden, Kindergeld erhöht, Freibeträge erhöht. Junge Menschen sagen mir aber auch: Was nutzt mir das, wenn ich als Leiharbeiter oder befristet Beschäftigter auf der Bank keinen langfristigen Kredit bekomme, weil ich nicht unbefristet beschäftigt bin? Deshalb glaube ich, dass das Thema Arbeitsmarkt und wie geht es mit dem Normalarbeitsverhältnis weiter, eine ganz maßgebliche Frage ist. Die Leute in vernünftige Arbeitsverhältnisse zu führen ist die beste Familienpolitik. Wir können das Kindergeld noch so oft erhöhen. Solange die Leute nicht ein Mindestmaß an Sicherheit ihrer Erwerbsarbeit haben, werden sie sich immer kritisch fragen: Kann ich eine Familie, wie ich es mir vorstelle, ernähren? Der zweite Punkt: Neben der Wirtschaft spielt auch die Hochschullandschaft eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, junge Menschen zu bewegen, hierherzuziehen. Dann stellt sich auch die Frage der Verkehrspolitik. Wie wird der Personennahverkehr in der Fläche aussehen, wenn die Menschen immer älter werden? Die demografische Entwicklung ist für alle Politikfelder eine Herausforderung.
Altmaier: Da sind wir uns einig. Wir haben im Regierungsprogramm der Union das Kapitel „Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen in ganz Deutschland“ hineingeschrieben: Wir haben sehr viele Kommunen, die Kassenkredite haben und nicht in der Lage sind, die notwendigen freiwilligen Leistungen zu erbringen: Vereine zu fördern, Infrastruktur in Ordnung zu halten. Und wir müssen Arbeitsplätze in die Fläche bringen und nicht nur in die Ballungszentren. Wir sind ja schon dabei, dass wir neue Fachhochschulen an der Peripherie von Saarbrücken ansiedeln. Wenn die Schließungspläne des Kraftwerksbetreibers in Ensdorf (bei Saarlouis) umgesetzt werden, könnte ich mir vorstellen, dass man so etwas auch in der Fläche ansiedelt, dann bilden sich neue Kerne. Und wir müssen Infrastruktur erhalten. Deshalb haben wir zum Beispiel gesagt, dass wir so etwas wie eine Landarzt-Garantie brauchen. Bei der Schließung des Krankenhauses in Wadern (Nordsaarland) gab es die Diskussion: Warum geschieht so etwas immer im ländlichen Raum? Das ist ein schwieriges Thema, aber Arbeitsplätze, Infrastruktur, Krankenversorgung sind ganz entscheidende Fragen für die Zukunft.
Seit der US-Wahl gibt es Diskussionen über Beeinflussung von Wahlen, etwa durch sogenannte Social Bots oder Wahlmanipulation. Wie sicher sind unsere Wahlen?
Maas: Zunächst: So, wie wir wählen, per Briefwahl oder im Wahllokal, gibt es keine Manipulationsmöglichkeit. Die Frage ist, wie wird man möglicherweise selber manipuliert über soziale Netzwerke? Desinformationskampagnen gibt es, seitdem es den „Bayernkurier“ gegeben hat (Gelächter im Publikum). Es gibt neue technische Möglichkeiten, Desinformation zu verbreiten, und die Reichweite ist ein Vielfaches größer. Gegen Social Bots, also Roboter, die Meinungen vervielfältigen, egal, wie abartig oder irrwitzig die sein mögen, gesetzlich vorzugehen ist schwierig. Die Server sitzen teilweise gar nicht in Deutschland, wir wissen nicht, wo sie gesteuert werden. Dort, wo es um Hasskriminalität geht, haben wir ein Gesetz durch den Bundestag gebracht, das als „Facebook-Gesetz“ heiß diskutiert wird. Dort, wo es um Fake News oder Social Bots geht, werden Gesetze nicht helfen. Es gibt übrigens immer mehr Portale, bei denen man Informationen überprüfen lassen kann. Da wird jeder selbst etwas mehr tun müssen.
Altmaier: Die Wahlen sind sicher. Was wir in den USA und Frankreich gesehen haben, geklaute E-Mails und Daten von Parteien und Bewerbern, übrigens schon Monate vor der Wahl, und auch ein Hackingangriff auf den Bundestag letztes Jahr – das hat uns herausgefordert. Wir haben Personal und Ressourcen mobilisiert. Wir können früheren Datenklau nicht rückgängig machen, aber dafür sorgen, dass es keinen Einfluss auf die Wahl hat, wenn jemand etwas damit machen will. Bei Social Bots ist das schwierig, weil das kein Mensch ist, sondern ein Algorithmus, der im Internet selbständig unterwegs ist. Das können wir wahrscheinlich rechtlich gar nicht in den Griff bekommen. Deshalb müssen wir lernen, damit umzugehen. Das ist eine Frage der Bildung. Und im digitalen Zeitalter wäre es auch wichtig, dass man jungen Leuten das Lesen der Zeitung noch mal nahebringt, weil man dort seriöse Informationen bekommt.Nicht immer die, die man möchte, aber immerhin seriöse. Wenn Sie nicht wissen, was sie ihren Enkeln, Nichten und Neffen an Weihnachten schenken wollen, schenken Sie ihnen ein Zeitungsabonnement. Die werden Ihnen dann keinen Kuss geben, aber wenn sie die Zeitung mal ein halbes Jahr bekommen, werden sie sehen, dass da auch interessante Sachen drinstehen.
Zu der berühmten Koalitionsfrage haben Sie sich bereits vielfach geäußert. Deshalb fragen wir einmal nach Ihrer persönliche Planung: Was machen Sie nach dem 24. September?
Maas: Damit werde ich mich auseinandersetzen ab dem 25. September, vorher nicht. Ob Sie mir das glauben oder nicht, es ist tatsächlich so. Jeder in der Politik weiß das: Solange die Demokratie funktioniert, ist man für vier Jahre gewählt, danach beginnt ein neues Spiel. Das muss man auch für sich selber klar haben. Insofern: Am 25. September beginnt ein neues Spiel, wo, wie und was auch immer.
Altmaier: Als ich noch junger Abgeordneter war, habe ich mir oft gewünscht, das oder dies zu werden oder gewisse Ämter zu bekommen. Die Ämter, die ich mir gewünscht habe, habe ich nie bekommen. Daraus habe ich den Schluss gezogen, mir keine neuen Ämter zu wünschen, sondern die Ämter, die ich habe, bis zum letzten Tag richtig und gut auszufüllen. Bevor jetzt Wünsche kommen, muss der Wähler entscheiden, und dann sehen wir weiter.