Er ist erst seit wenigen Monaten Landeschef der Saar-Grünen: Markus Tressel. Auf ihn setzt die Partei nach der Wahlniederlage bei der Landtagswahl große Hoffnung. Erstes Ziel ist die Verteidigung seines Bundestagsmandats. Ein zentrales Wahlkampfthema für ihn sind die Folgen der demografischen Entwicklung.
Die Taschen mit frischen Sonnenblumen sind geschultert, auf geht’s Richtung Innenstadt. Das Ziel: die kleinen Einzelhandelsgeschäfte in der Stadt Püttlingen. Dabei war der Grünen-Bundestagsabgeordnete und saarländische Spitzenkandidat Markus Tressel weniger auf Einkaufsbummel eingestellt. Er wollte sich in der Stadt im Herzen des Köllertals unmittelbare Eindrücke über ein Thema verschaffen, das ihn schon lange umtreibt und zunehmend in den Mittelpunkt seines politischen Engagements rückt: die Entwicklung des ländlichen Raums, die Zukunft der Ortskerne und Innenstädte, kurzum all das, was sich für den konkreten Alltag unter dem eher akademisch klingenden Schlagwort vom demografischen Wandel verbirgt.
Dass dem Grünen-Wahlwerber ausgerechnet als erster Püttlingens Bürgermeister Martin Speicher begegnet, ist tatsächlich reiner Zufall, kommt aber gar nicht ungelegen. Der CDU-Politiker steht seit 2002 an der Spitze der Köller-talgemeinde, übrigens auch Heimat von Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer und des früheren Welttennisstars Patrik Kühnen. Speicher hat seine eigenen Erfahrungen mit den Grünen und einer Jamaika-Koalition im Stadtrat. Nein, Probleme habe es mit den Grünen im Rat nicht gegeben, versichert er, eher im Gegenteil pragmatisch-gute Zusammenarbeit für die Entwicklung für die rund 21.000 Einwohner. Und die funktionierte sogar, als Jamaika auf Landesebene vorzeitig platzte.
Tressels Stadtbesuch hat dort begonnen, wo einige Einzelhändler den Ausgangspunkt für eine Entwicklung sehen, die ihnen tiefe Sorgenfalten auf die Stirn treibt: auf dem Parkplatz vor Discountern, wenige Minuten Fußweg von Marktplatz und Innenstadt entfernt, wo die offene Tür einer Bäckerei zum ersten Halt einlädt. „Bescheiden“, lautet die Antwort dort auf Tressels Frage nach dem Gang der Geschäfte. Die Leute würden nun mal ihre Brötchen, ihr Brot beim Einkauf bei Rewe und Lidl gleich mitnehmen. Die Discounter ziehen nun mal Kunden aus dem Kernbereich ab. Keine neue Erfahrung, leider. Tressel schimpft über den ungebrochenen Hang der Kommunen, Ansiedlungsbegehren von Discountern zu entsprechen. In Püttlingen soll demnächst noch ein „dm“ dazukommen. „Gucken Sie sich doch selbst die Leerstände an“, wird der Spitzenkandidat in einem kleinen Blumenladen aufgefordert. „Angsteinflößend“, „es wird immer schwieriger“. Die Antworten auf dem Weg durch die Läden ähneln sich, sind allenfalls je nach Branche unterschiedlich drastisch formuliert.
Die Sorgen ähneln sich in allen Orten
Eigentlich müsste sich ein Politiker bestätigt sehen, wenn ihm fast unisono bestätigt wird, dass er mit einem seiner Kernthemen die unmittelbare Lebenswirklichkeit der Menschen berührt. Nur ist die Stimmungslage nicht gerade Anlass zur Freude. Immerhin kann Tressel auf Konzepte verweisen, die er und die Grünen dieser Entwicklung entgegensetzen wollen. Seine Antworten werden in der Regel zustimmend, teils dankbar aufgenommen, es bleibt aber der Eindruck, dass er Zweifel an der Umsetzbarkeit nicht abschließend zerstreuen kann.
Vor allem: Was will schon der ferne Bundestag tun, wenn man sich mit seinen Sorgen schon von der eigenen Kommunal- oder Landespolitik nicht ausreichend ernst genommen fühlt? „Es wäre schön, wenn man nicht nur was für die Großen tun würde.“ Zustimmendes Nicken Tressels beim Optiker, und auch hier überreicht er zum Abschied eine Sonnenblume: „Damit ihr Tag etwas schöner und heller wird“, sagt der Spitzenkandidat und bezieht es bewusst doppeldeutig nicht nur auf das an diesem Tag etwas trübe Spätsommerwetter.
Natürlich hätte man auch versuchen können, die Sonnenblumen ganz traditionell unter dem Sonnenschirm am Stehtisch unters Volk zu bringen. Das aber hieße, dass im Zweifel die Menschen auf den Wahlkampfstand zukommen müssen. Tressel will lieber zu den Menschen gehen und sich Zeit nehmen, wenn sie dann ins Erzählen kommen. Um dann auch Aspekte zu erfahren, die nicht so direkt sichtbar sind wie die dunklen Scheiben leer stehender Geschäftsräume. Dass sich der kleine Einzelhändler auch von den eigenen Verbandsvertretern oftmals nicht ausreichend ernst genommen fühlt oder darüber, wie mühsam es ist, die gemeinsamen Interessen der kleinen Geschäfte zu einer Initiative zu bündeln.
Ja, die Erkenntnis, dass es mit einer solchen Entwicklung in den Innenstädten und Ortskernen nicht weitergehen kann, ist weitverbreitet. Es fehlt nur oft an der konkreten Vorstellung, wie sich etwas ändern ließe.
Klare Ziele durch Landesplanung
Vergleichsweise frisch im Gedächtnis ist der Streit um die Ansiedlung eines großen Globus-Marktes am Stadtrand von Neunkirchen, auf einem Areal, das zum Naturschutzgroßprojekt „Landschaft der Industriekultur Nord“ (Lik Nord) gehört. Die Spitze der Stadt und die Mehrheit des Rates begrüßten das geplante Projekt, trotz massiv vorgetragener Bedenken mit Blick auf die Auswirkungen des bestehenden Einzelhandels. Erst das Engagement von Naturschützern und Bürgerinitiave führte dazu, dass der Konzern erneut auf Standortsuche ging. Für die Grünen war das ein weiteres Argument für ihre Forderung nach einem Landesentwicklungsplan, der bestimmten Tendenzen einen Riegel vorschieben soll. Weil aber allein schon das polit-technokratische Wort „Landesentwicklungsplan“ fremd bis abschreckend klingt, vermeidet es Tressel folglich, übersetzt es in konkrete Vorstellungen. Ob er damit irgendwen für den 24. September überzeugen konnte, ist natürlich nicht zu klären. Tressel weist zutreffend darauf hin, dass er an keiner Stelle auf Ablehnung oder Desinteresse gestoßen ist. Das hat der Grüne auch schon mal anders erlebt.
Im Saarland mag ihm jetzt vielleicht sogar zugutekommen, dass die Grünen vor einem halben Jahr bei der Landtagswahl den Einzug ins Parlament verpasst haben. Viele Leute, und nicht nur Grünen-Anhänger, würden jetzt sehen, dass ur-grüne Themen schlicht nicht mehr vorkämen, berichtet Tressel. Und das soll sich im Bund nicht wiederholen. 2013 kamen die Saar-Grünen auf 5,7 Prozent der Zweitstimmen.