In Umfragen liegen die Grünen derzeit hinter den eigenen Erwartungen und Ansprüchen zurück. Das ändert sich, wenn es am Schluss um eine Richtungsentscheidung geht. Davon ist der saarländische Spitzenkandidat und Direktkandidat im Wahlkreis Saarlouis, Markus Tressel, überzeugt.
Herr Tressel, Sie setzen jetzt auch im Bundestagswahlkampf einen Schwerpunkt auf das Thema Entwicklung des ländlichen Raums. Was kann die Bundesebene bei der demografischen Entwicklung gegen den Zug in die Ballungszentren tun?
Der ländliche Raum hat große Probleme. Wir haben über Jahre die Frequenz aus den Innenstädten und den Ortskernen herausgeholt, haben teilweise ohne Grenzen auf der grünen Wiese Flächen erschlossen. Die Konsequenz muss eine andere Flächenplanung sein, also kein zusätzlicher Einzelhandel auf die grüne Wiese, sondern mehr Frequenz in die Innenstadt. Außerdem müssen die Kommunen vom Bund entlastet werden bei allen möglichen Aufgaben, die man ihnen aufgebürdet hat.
„Grüne Themen sind wichtiger denn je“
Außerdem müssen wir dafür sorgen, dass die Kommunen mehr Geld für die Daseinsvorsorge haben und damit mehr Leben in die Städte kommt. Wir haben deshalb eine Gemeinschaftsaufgabe der Daseinsvorsorge gefordert, mit der der Bund die Kommunen unterstützen soll. Und auf Landesebene ist klar: Wir brauchen einen Landesentwicklungsplan, der die Innenstädte entwickelt, und nicht die grüne Wiese. Im Moment ist der Bauminister (Anm. d. Red.: Klaus Bouillon, CDU) auf einem ganz schlechten Weg, indem er den Kommunen wieder erlauben will, Flächen im Außenbereich zu entwickeln.
Der sagt aber, dass genau das ja nachgefragt wird.
Wir sind aber ein schrumpfendes Land, die Zahl der Saarländer geht zurück, und gleichzeitig erschließen wir immer neue Flächen im Außenbereich. Das ist ein Problem. Ich glaube, dass wir dafür noch viel mehr Bewusstsein schaffen müssen, dass wir die Innenstädte stärken müssen, kleine Einzelhandelsstrukturen stärken müssen. Mein Credo ist: Rettet das Fachgeschäft! Wir brauchen eine Renaissance der Innenstädte, eine Renaissance der Fachgeschäfte, und damit schaffen wir es auch, wieder Leben in die Innenstädte zu bringen. Damit werden wir auch wieder attraktiv für Familien, was hilft, die Abwanderungsspirale zu durchbrechen.
Die andere große Baustelle aus Ihrer Sicht ist die Verkehrspolitik. Die hängt vielfach an Entscheidungen auf Bundesebene.
Wir haben ein Anbindungsproblem. Die Deutsche Bahn hat das Saarland sukzessive abgekoppelt. Nun macht sie seit vergangenem Jahr eine Fernverkehrsstrategie, in der Saarbrücken mit eingebunden ist, sagt aber: Das setzen wir im Saarland ab 2029 um, also in zwölf Jahren, weil dann die derzeitigen Nahverkehrsverträge auslaufen. Das Saarland ist abgekoppelt vom Fernverkehr der Bahn. Wir haben jetzt gesehen, dass wir extrem abhängig sind von der Flugverbindung einer einzigen Airline (Anm. d. Red.: Air Berlin). Da muss sich einiges ändern. Diese Landesregierung ist aber komplett fixiert auf das Automobil, also die individuelle Mobilität.
Was die großen Themen im Wahlkampf betrifft, sieht es so aus, dass die ur-grünen Themen nicht die Hauptrolle spielen.
Also ich glaube, die grünen Themen sind wichtiger denn je. Wenn man sich die Klimakrise ansieht, wo jetzt große Teile von einem Schelf-Eis angebrochen sind, wenn wir uns die Zustände der Gletscher ansehen, und auch bei uns die Hochwasserproblematiken. Das sind ur-grüne Themen. Und wenn wir uns jetzt das Thema Diesel-Affäre ansehen, wo sich jetzt die Automobilindustrie einen schlanken Fuß macht, und ich die große Befürchtung habe, dass am Ende der Steuerzahler für die Verfehlungen der Automobilindustrie aufkommen muss, dann sind die Grünen wichtiger denn je. Denn weder die Union noch die SPD stehen für Verbraucherschutz, für Gesundheitsschutz, für Klimaschutz. Die Automobilindustrie hat der deutschen Politik zu lange gesagt, wo es lang geht. Ich glaube, wir brauchen jetzt eine Innovationsoffensive im Automobilbau. Wenn die Chinesen in ein paar Jahren sagen, bei uns wird kein Verbrennungsmotor mehr zugelassen, sieht es hier düster aus. Deshalb sind wir diejenigen, die für die Zukunft der Automobilindustrie und der Arbeitsplätze kämpfen, wenn wir sagen: Wir dürfen das nicht einfach so weiterlaufen lassen. Wir als innovativer Industriestandort hätten dort die Führung übernehmen müssen. Jetzt muss man die Weichen stellen. Wer also die Automobilindustrie und die Arbeitsplätze retten will, muss die Grünen wählen, weil die anderen mit Beharrungsvermögen und dem Bestehen auf Verbrennungsmotoren dafür sorgen, dass wir international den Anschluss verlieren.
Eine ähnliche Diskussion gab und gibt es auch bei der Energiewende, wo andere uns technologisch den Rang abgelaufen haben.
Die wichtige Frage ist auch dort: Wie können wir dauerhaft als innovativer Standort erfolgreich bleiben? Im Solarbereich haben wir die großen Unternehmen schon lange aus dem Land getrieben. Wir müssen also auch im Bereich der Energiewende mutig vorangehen, damit auch irgendwann konsequent aus der Kohle aussteigen. Denn nur dann ist das Thema Elektromobilität nachhaltig, wenn auch der Strom aus regenerativen Energien kommt.
Warum geht es dann den Grünen, wenn man auf Umfragen und jüngste Wahlergebnisse sieht, nicht so, wie es diesen Megathemen entsprechen würde?
Ich glaube, dass wir in den vergangenen zwei, drei Jahren große Themen hatten wie die Flüchtlingskrise, wie Trump und die Frage, wie geht es im weltweiten Gefüge der Staaten weiter. Ich glaube, dass das bei vielen Menschen Ängste ausgelöst hat. Und dass man dann dazu gekommen ist, diese großen Themen der Menschheit, die man erst so richtig in 20, 30 Jahren spüren wird, weiter hinten einzusortieren. Aber am Ende muss man sich doch fragen, was will ich meinen Kindern oder Enkelkindern hinterlassen. Ich habe zwei Kinder, und da mache ich mir schon meine Gedanken, was sein wird, wenn die so alt sind wie ich jetzt und dann vielleicht selber Kinder haben. Wie es dann aussieht mit dem Klimawandel, und ob wir dann klimabedingte Wanderungsbewegungen in der Welt haben. Da kämpfe ich schon für Generationengerechtigkeit. Ich will dann schon meinen Kindern noch in die Augen sehen können und sagen: Ich habe zumindest versucht, euch eine Welt zu hinterlassen, in der ihr und eure Kinder auch noch gut leben können. Das ist ja der eigentliche Gründungsgedanke der Grünen, und das muss man noch mal deutlicher machen.
Warum, glauben Sie, ist das ein Stück weit verloren gegangen?
Das hängt sicher auch an der Schnelllebigkeit, die verhindert, dass man auch mal ein Thema zu Ende denken kann. Das ist auch ein Grundproblem, das die Politik hat. Wir haben zu wenig Debattenzeit und zu viel Aufgeregtheit in vielen Themen. Wo früher eine Sau in der Woche durchs Dorf getrieben wurde, sind es heute 15. Ich glaube, der Politik würde guttun: weniger Aufgeregtheit, mehr Reflexion und mehr lange Linie.
Im Hinblick auf die vergangenen Monate stellt sich die Frage, ob die Grünen mit diesem Spitzenduo richtig aufgestellt sind.
Wir haben ein gutes Spitzenteam. Die beiden stehen für ihre Themen, ich glaube auch, dass es die richtigen Themen sind. Ich bin überzeugt, dass wir am Ende ein gutes Ergebnis kriegen werden. Wir merken ja: Der Wahlkampf ist im Moment noch recht behäbig.
"Schwarz-Gelb wäre ein Rollback"
Wenn es am Ende um die Frage geht, in welche Richtung sich das Land bewegen wird, werden auch die einzelnen Inhalte stärker zutage treten. Und dann werden wir deutlich besser dastehen als in den vergangenen Umfragen. Für mich wäre der größte Horror, nach den Jahren der großen Koalition, dass es jetzt nochmal zu Schwarz-Gelb käme. Das wäre ein Rollback, das ich nicht will, und ich glaube, viele Menschen auch nicht. Deshalb brauchen wir starke Grüne, damit es nach vorne geht und nicht zurück.
Und das wäre auch mit Schwarz-Grün möglich?
Keine Konstellation ist heute für uns einfach. Wir müssen das an Inhalten festmachen. Wenn ich mir etwa ansehe, was die SPD im Energiebereich macht, wäre es auch mit der SPD nicht einfach. Ich glaube nicht an Rot-Rot-Grün, weil die außenpolitischen Differenzen mit den Linken zu groß sind. Aber ich bleibe dabei: Keine Konstellation ist heute einfach. Ich muss heute zumindest dialogfähig sein – außer natürlich mit rechtsaußen. Wir wollen, dass es vorangeht mit Deutschland. Dann muss ich sehen, mit wem das geht.