Im Wahlkreis Saarlouis kämpfen die Politprofis um das Direktmandat. Im Wahlkreis Saarbrücken verlassen politische Urgesteine die große Bühne. Die neuen Kandidaten zeigen sich als echte Alternativen.
Mit Elke Ferner (SPD) und Anette Hübinger (CDU) verlassen 35 Jahre Erfahrung den Deutschen Bundestag – und die beiden Parteien verlieren ihre jeweilige Direktkandidatin vergangener Bundestagswahlkämpfe. Für den seit 2005 umkämpften Saarbrücker Wahlkreis, den die CDU mit Anette Hübinger 2009 zum ersten Mal der SPD abjagen konnte, nachdem der Wahlkreis über Jahrzehnte fest in der Hand der SPD gelegen hatte, heißt das: Auf den Wahlplakaten lächeln den Passanten gleich zwei neue Gesichter entgegen. Der Landtagsabgeordnete Bernd Wegner möchte das von Anette Hübinger erlangte Direktmandat gerne für die Union verteidigen, während die junge Saarbrücker Stadträtin Josephine Ortleb das in der Vergangenheit liebgewonnene Direktmandat für die SPD zurückerobern soll.
Kandidaten der Kontraste
Als Nachfolger der letztmalig erfolgreichen Direktkandidatin – und mit einem bundesweiten Umfragehoch für die CDU im Rücken – geht der langjährige Landtagsabgeordnete Bernd Wegner ins Rennen um das Direktmandat. Der 60 Jahre alte Wegner ist in Riegelsberg verwurzelt, dort lebt er seit seiner Kindheit, und führt mittlerweile das familieneigene Orthopädie- und Lederwarenfachgeschäft, in dem der gelernte Schuhmacher auch seine Ausbildung absolvierte. In der katholisch geprägten Gemeinde sitzt er seit 1984 ununterbrochen im Gemeinde- beziehungsweise Ortsrat und ist mit vielen Leuten per Du, wie er sagt.
Keine Selbstverständlichkeit, denn Wegner ist neben seinem langjährigen Landtags-Mandat auch Präsident der saarländischen Handwerkskammer und Mitglied in diversen Verwaltungsräten. Wie er das alles geschultert bekommt? Vielleicht hilft ihm seine Erfahrung als langjähriger Ringer beim traditionsreichen KV 03 Riegelsberg. 20 Mal wurde Wegner mit dem Verein saarländischer Landesmeister. Das im Sport erworbene Durchhaltevermögen habe ihn auch etwas für die Politik gelehrt, so Wegner: „Dass für die Erreichung der selbstgesteckten Ziele nämlich manchmal viel Grundlagenarbeit erforderlich ist.“ Seinem Verein und dem Sport ist Wegner bis heute treu geblieben, er ist Vorsitzender des KV 03 Riegelsberg und Präsident des Saarländischen Ringerverbands.
Seine politische Zukunft sieht Wegner für die nächsten Jahre in Berlin. Insbesondere für eine unternehmensfreundliche Politik und Entbürokratisierung möchte sich Wegner, der dem Vorstand der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU angehört, einsetzen: „Auch im Deutschen Bundestag werde ich mir die Wirtschaftsthemen sehr zu Herzen nehmen.“ Einen weiteren thematischen Schwerpunkt sieht er in der klammen Haushaltslage vieler saarländischer Kommunen – der Bund müsse hier mehr finanzielle Verantwortung übernehmen, findet Wegner.
Nach einem eher gemächlichen Start in den Wahlkampf setzt die Saarbrücker CDU in der heißen Phase insbesondere auf den Haustürwahlkampf. Neben Plakaten und Wahlkampfständen suchen Wegner und seine Helfer also verstärkt den persönlichen Kontakt an der Haustür. Das Aufeinandertreffen zwischen Kandidat und Wähler ist Wegner wichtig; er möchte nicht nur „der Mann auf dem Plakat“ sein, sondern mit den Leuten ins Gespräch kommen, wie er betont.
Die SPD will die zwei Schlappen hintereinander im Kampf um das Direktmandat endlich wieder für sich entscheiden. Mit einem jungen Gesicht macht sie, im Gegensatz zur CDU, gleich einen großen Schnitt und sichtbaren Generationswechsel. Die junge Saarbrücker Stadträtin Josephine Ortleb soll die ersehnte Wende bringen. Ihren Lebensmittelpunkt hat die 30-jährige Saarbrückerin in St. Johann, im urbanen Zentrum des Wahlkreises, das auch für seine Kneipen und Restaurants bekannt ist.
Die Theken und Tische Saarbrückens kennt die gelernte Gastronomin aber nicht nur aus der Perspektive der Kundin: „Ich bin zwischen Töpfen und Pfannen aufgewachsen, meine Eltern besitzen seit 30 Jahren ein eigenes Restaurant.“ Dort habe sie schon früh mit angepackt und sich dann nach dem Abitur entschlossen, den Beruf zu erlernen – und in die Gewerkschaft Nahrung – Genuss – Gaststätten (NGG) einzutreten, für die sie mittlerweile in der Tarifkommission sitzt.
Auch jenseits der Politik engagiert sich Ortleb, die Mitglied im Saarbrücker Kulturausschuss ist, in zahlreichen zivilgesellschaftlichen Initiativen. Neben Gewerkschaft und Arbeiterwohlfahrt (AWO) war sie beispielsweise im Verein Leerstandskultur aktiv und wollte leer stehende Läden für eine kulturelle Nutzung gewinnen. Wenn man seine Stadt gestalten wolle, müsse man auch einfach mal anpacken und die Dinge verwirklichen, findet sie. Besonders am Herzen liegt ihr der Verein Aldona, der sich für die Belange von Prostituierten und Migrantinnen einsetzt, die Opfer von häuslicher Gewalt oder Zwangsverheiratung geworden sind.
Aus ihrem Beruf als Gastronomin hat sie auch einen Teil ihrer Wahlkampfstrategie entwickelt, lädt zu Kaffee und Kuchen ein, besucht Bürger und bringt selbstgebackenen Kuchen mit. Aus ihrer Sicht ein Erfolg, nur mit dem Kuchenbacken komme sie kaum hinterher, wie sie lachend gesteht. Auch Ortleb möchte mit den Bürgern also am liebsten direkt in Kontakt treten, keinen Wahlkampf „vom Podium herab“ machen; und so konzentriert sich die SPD ebenfalls auf den Haustürwahlkampf.
Ihren kommunalen Themen Teilhabe und Kultur will Sie auch in Berlin treu bleiben, wie sie sagt. Ansonsten betont die Nachfolgerin Ferners die Relevanz des Themas Gleichstellung und kritisiert die aus ihrer Sicht unzureichende Finanzausstattung der saarländischen Kommunen sowie die daraus resultierende marode öffentliche Infrastruktur.
Die beiden Spitzenkandidaten repräsentieren in so ziemlich allen Belangen ein wirklich unterschiedliches Angebot an die Wähler: Mann – Frau, jung – gesetzt, sind die äußeren Merkmale. Wegner, erfahrener Politprofi und Funktionär gegen kommunalpolitische Erfahrung und Verwurzelung in der Szene, wirtschafts- gegen sozialpolitische Schwerpunkte. Wähler haben im Wahlkreis Saarbrücken eine echte Wahl.
Vier Fragen an...
...die Saarbrücker Bundestagskandidaten Josephine Ortleb (SPD) und Bernd Wegner (CDU).
Sie sind für einen Tag Königin/König von Deutschland. Welches Gesetz beschließen Sie?
Ortleb: Das wäre in der momentanen Situation wohl das Rückkehrrecht von Teil- auf Vollzeit. Ich glaube, dass dieses Gesetz sehr wichtig wäre für all die Menschen, die Familienphasen einlegen. Auch in Bezug auf die Gleichstellung von Frauen und Männern wäre das einfach ein wichtiges Gesetz mit Signalwirkung.
Wegner: Ein Gesetz, welches die Grundwerte Freiheit und Sicherheit stärkt, das dazu beiträgt, dass die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland sich in Freiheit und Sicherheit so entfalten können, wie sie es für richtig halten.
Heimat ist für mich…
Ortleb: Heimat ist für mich Saarbrücken, wobei ich es eher Zuhause nennen würde. Hier bin ich geboren und aufgewachsen, meine Familie und Freunde leben hier. Wenn ich in Saarbrücken unterwegs bin, sehe ich eine offene und tolerante Stadt, in der jeder und jede einen Platz findet. Hier fühle ich mich zuhause, hier fühle ich mich wohl. Die Menschen in Saarbrücken haben mir viel gegeben, und ich will auch in Zukunft etwas zurückgeben.
Wegner: Heimat ist für mich das Beisammensein mit meiner Familie: etwa mit meinen Kindern und meinem Enkel. In der gewohnten Umgebung von Riegelsberg ist das natürlich besonders schön.
Dieser Mensch ist mir ein Vorbild…
Ortleb: Meine Mutter ist für mich ein Vorbild. Sie ist eine starke Frau, die sich als Unternehmerin immer durchgekämpft hat. Sie hat mir früh gezeigt, wie wichtig es ist, dass man selbst durchs Leben kommt und eigenständig handelt. Das hat mich sehr geprägt.
Wegner: Mein Vater war mir immer das größte Vorbild. Ein ganzes Leben lang hat er mir vorgelebt, wie man sein Leben bestmöglich gestaltet: Wie er zum Beispiel uns Kinder und auch seine Auszubildenden gefördert hat und mir auch selbst die Möglichkeit gegeben hat, mich persönlich zu entfalten. Ich möchte meinem Umfeld und meinen Kindern mit demselben Respekt begegnen.
Dieses Ereignis hat mich geprägt:
Ortleb: Es gibt ein Erlebnis aus meiner Jugend: Ich war etwa 15 oder 16 Jahre alt. Damals hatte ich bunte Haare, weniger aus irgendwelchen politischen Gründen, sondern mehr, weil ich es cool fand. Die Reaktionen auf meine Haare waren oftmals sehr negativ und ich merkte, wie es ist, wenn man irgendwie anders aussieht. Das war für mich der Startschuss, mich zu engagieren, einfach etwas machen zu wollen, weil ich gemerkt habe, wie schwierig es sein kann, wenn man nicht der gesellschaftlichen Norm entspricht. Diese Erfahrung würde mir jetzt spontan als erstes einfallen.
Wegner: Nachhaltig geprägt hat mich ‚die Wende‘ von 1989: Dass Menschen Risiken eingegangen sind und letztendlich ohne Waffen das friedliche Zusammengehen von Deutschland ermöglicht haben. Ich bin damals selbst nach Berlin gefahren und habe die allgemeine Stimmung, diese Zuversicht und Euphorie auf mich einwirken lassen. Dieser Moment hat mir gezeigt, wie wichtig Politik ist; wie wichtig es ist, sich für ein demokratisches Gemeinwesen einzusetzen.