Am 30. August ging der Wahl-O-Mat zur diesjährigen Bundestagswahl online. Das Programm soll dabei helfen, herauszufinden, mit welcher Partei die eigene Meinung am ehesten übereinstimmt. Martin Hetterich ist Projektleiter beim Wahl-O-Mat. Er erklärt, weshalb das Tool so beliebt ist und weshalb man sich für seine Wahlentscheidung trotzdem nicht allein auf das Ergebnis verlassen sollte.
Herr Hetterich, der Wahl-O-Mat war 2002 als Entscheidungshilfe zur Bundestagswahl vor allem für junge Wähler entwickelt worden. Ist das immer noch die primäre Zielgruppe des Programms?
Ja und Nein. Das Tool eignet sich immer noch ganz besonders für junge Menschen, die noch nicht so viel Erfahrung mit Politik haben. Wir sprechen daher ganz besonders Erst- und Jungwähler an, auch weil die Zahlen zeigen, dass es dort besonders nötig ist, das Interesse für Politik zu wecken. Die Wahlbeteiligung ist in dieser Altersklasse gering. Allerdings ist der Wahl-O-Mat über die Jahre auch erwachsener geworden. Mittlerweile ist nur noch ein Viertel der Nutzer jünger als 30 Jahre, früher waren es 40 Prozent. Andersherum sind inzwischen 15 Prozent der Nutzer schon über 60 Jahre alt.
Bei insgesamt 42 Wahlen seit 2002 wurde das Tool bislang über 50 Millionen Mal genutzt. Den Nutzungsrekord hält der Wahl-O-Mat zur Bundestagswahl 2013, als das Programm etwa 13,3 Millionen Mal aufgerufen wurde. Was erwarten Sie in diesem Jahr?
Der Wahl-O-Mat hat bislang bei jeder Wahl die Zahlen der jeweils vorherigen Wahl übertroffen, egal ob bei Bundestags-, Landtags- oder Europawahlen. Wir hoffen, dass sich dieser Trend auch in diesem Jahr fortsetzt und wir die 13,3 Millionen Nutzer von 2013 erneut übertreffen können. Der Wahl-O-Mat ist längst eine Institution geworden. Die Nutzer erwarten ihn regelrecht. Dank der Zusammenarbeit mit rund 40 Medienpartnern, darunter viele der großen deutschen Nachrichtenseiten und Plattformen, kann man auch in diesem Jahr wieder kaum daran vorbeikommen.
Wie genau funktioniert der Wahl-O-Mat?
Der Wahl-O-Mat ist ein Frage-und-Antwort-Tool, das zeigt, welche zu einer Wahl zugelassene Partei der eigenen politischen Position am nächsten steht. 38 Thesen können jeweils mit „stimme zu“, „stimme nicht zu“, „neutral“ oder „These überspringen“ beantwortet werden. Der Wahl-O-Mat berechnet die Übereinstimmung zu den Positionierungen der Parteien, wobei immer bis zu acht Parteien für die Auswertung ausgewählt werden können. Die Übereinstimmung der Positionierung des Nutzers mit der Positionierung der Partei wird mit zwei Punkten berechnet; stimmt die Positionierung eines Nutzers mit der Positionierung der Partei nicht genau überein, ist dieser aber nahe, so wird dies mit einem Punkt berechnet; stehen sich die Positionierungen von Nutzer und Partei entgegengesetzt gegenüber, wird dies mit null Punkten berechnet. Der Nutzer kann außerdem Thesen, die ihm wichtig sind, ein besonderes Gewicht geben – sie zählen dann doppelt für das Ergebnis.
Wer erstellt die Thesen und wann?
Neben Politik- und anderen Wissenschaftlern, Statistikern und Pädagogen sowie Vertretern der Bundeszentrale beziehungsweise der Landeszentralen für politische Bildung besteht die Redaktion stets aus 20 bis 25 Jung- und Erstwählern im Alter zwischen 18 und 26 Jahren. Bewerben kann sich jeder, der wahlberechtigt und im entsprechenden Alter ist. In diesem Jahr haben wir über 500 Bewerbungen erhalten. Die Auswahl erfolgt nach Bundesländern, Alter, Geschlecht und Schulabschluss, denn wir wollen nicht nur Politikstudenten, sondern eine breite Mischung aus politisch interessierten Menschen, die alle ihren eigenen Blickwinkel auf die Politik einbringen.
Sind die Parteien auch beteiligt?
Parteizugehörigkeit ist dabei kein Ausschlusskriterium, allerdings wollen wir keine Funktionäre. Dann würde es eine parteipolitische Diskussion werden. Das komplette Team trifft sich etwa drei Monate vor der Wahl zu einem ersten Workshop, auf dem etwa 80 Thesen erarbeitet werden, von denen später 38 ausgewählt werden. Die Parteien haben danach zwei bis drei Wochen Zeit, auf alle 80 Thesen zu antworten. Sie können außerdem zu jeder These eine Begründung abgeben, mit der sie ihre jeweilige Positionierung konkretisieren. Das ist auch für die Parteien eine Herausforderung, deswegen sind wir sehr glücklich darüber, dass die meisten inzwischen gut mitspielen.
Inzwischen?
Anfangs haben einige Parteien den Wahl-O-Mat durchaus skeptisch gesehen. Mittlerweile ist das Tool auch dort weitgehend akzeptiert. Wir können aber niemanden zwingen, sich zu beteiligen. Am Ende ist es immer die Entscheidung der jeweiligen Partei, ob sie mitmachen möchte.
Bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern wurde der Wahl-O-Mat von CDU und SPD gemeinsam abgelehnt, mit der Begründung, dass die Fragestellungen nicht „professionell ausgearbeitet“ und auch nicht „einfach mit Ja oder Nein zu beantworten“ seien.
Aus unserer Sicht ist der Wahl-O-Mat so wie er ist richtig und wichtig. Er bricht komplizierte Themen einfach runter und spricht damit auch Menschen an, die sich von Talkshows oder politischen Zeitungsartikeln nicht motivieren lassen, sich mit Politik zu beschäftigen. Zwar interessieren sich die meisten Nutzer zumindest ein bisschen für Politik und hatten ohnehin vor, zur Wahl zu gehen. Wir hatten aber zum Beispiel bei der Bundestagswahl 2013 auch zwei Millionen Nutzer, die sich normalerweise nicht für Politik interessieren. Sechs Prozent der Nutzer wollten eigentlich nicht wählen gehen, haben sich dann aber durch die Benutzung des Wahl-O-Mat auf spielerische Weise doch dazu ermuntern lassen. Der Wahl-O-Mat kann aber stets nur ein „Appetitanreger“ für mehr Politik, mehr Wahlthemen und mehr politische Information sein. Er wirft viele neue Fragen auf, bei denen es sich lohnt, genauer hinzuschauen. Das Ergebnis ist keine Wahlempfehlung, sondern eine Einladung, sich intensiver mit Politik zu beschäftigen.
Sie sagen selbst, dass man seine Wahlentscheidung nicht allen vom Ergebnis des Wahl-O-Mat abhängig machen sollte. Gibt es Untersuchungen dazu, inwieweit das trotzdem passiert?
Die meisten Wahl-O-Mat-Nutzer sind nicht völlig orientierungslos. 90 Prozent besitzen schon vorher eine klare Position für ihre Wahlentscheidung. Die Hälfte der Nutzer möchte anhand der im Wahl-O-Mat ausgewählten Themen den eigenen Standpunkt überprüfen. Dabei ist das Programm sehr treffgenau: Über 90 Prozent der Nutzer mit einer klaren politischen Positionierung finden sich genau oder in etwa bei ihrer präferierten Partei wieder. Aber es kann genauso anregend sein, wenn sich ein anderes Bild ergibt. Auch das kann ein Anreiz sein, sich näher mit Politik zu befassen.
Warum ist die NPD als rechtsextreme Partei auch in diesem Jahr wieder im Wahl-O-Mat vertreten?
Grundsätzlich gilt als Kriterium, dass alle Parteien und politischen Vereinigungen am Wahl-O-Mat teilnehmen dürfen, die zur jeweiligen Wahl zugelassen werden. Somit können auch Parteien im Wahl-O-Mat auftauchen, die vom Verfassungsschutz des Bundes oder der Länder beobachtet werden und als extremistisch eingestuft werden. Aus meiner Sicht kann es aber durchaus hilfreich sein, sich mit den Positionen dieser Parteien auseinanderzusetzen. Es ist ein politisches Lehrstück, welche Ansichten diese Parteien wirklich verfolgen.
Wählen Sie Thesen aus, bei denen die Nutzer bei früheren Ausgaben besonders kontrovers abgestimmt haben?
Das spielt für unsere Entscheidung keine Rolle. Wir wissen überhaupt nicht, wie die Nutzer abstimmen. Der Wahl-O-Mat ist kein Instrument der Meinungsumfrage, es werden keinerlei Daten erhoben und gespeichert. Jeder Nutzer bekommt sein individuelles Ergebnis angezeigt, das danach sofort wieder gelöscht wird.
Zuletzt gab es bei vielen Wahlen die Befürchtung, dass sie manipuliert worden sein könnten. Wie groß ist die Gefahr, dass auch der Wahl-O-Mat das Ziel von Hackerangriffen wird?
Wir verfolgen das Thema der Wahlmanipulation natürlich ganz genau. Wir haben Vorkehrungen getroffen, um auf bestimmte Bedrohungsszenarien vorbereitet zu sein. Panik haben wir aber nicht. Ich bin guter Dinge, dass auch dieses Mal wieder alles glatt läuft und der Wahl-O-Mat auch zur Bundestagswahl 2017 wieder wie gewohnt ein guter Begleiter sein wird.
POLITIK
Ein Mausklick hilft bei der Qual der Wahl
Interview: Jan Philip Häfner
Info:
Martin Hetterich (35) ist Diplom-Politologe und Online-Redakteur bei der Bundeszentrale für politischen Bildung (BpB). Schwerpunkte seiner Arbeit sind der Wahl-O-Mat, die europäische Presseschau euro|topics und die Infografik-Angebote von Zahlen und Fakten.
Alternativen zum Wahl-o-Mat
Jede gute Idee wird irgendwann kopiert. So hat auch der Wahl-O-Mat inzwischen eine Reihe von Nachahmern bekommen. Beim WahlSwiper des Berliner Start-ups Movact (movact.de/wahlswiper) tun Nutzer ihre Zustimmung oder Ablehnung zu 30 Fragen wie in der Dating-App Tinder durch Wischbewegungen kund. Die Webseite DeinWal.de der beiden Programmierer Martin Scharm und Tom Theile orientiert sich am Abstimmungsverhalten der Bundestagsabgeordneten in der Vergangenheit. Dementsprechend fehlen hier natürlich die Positionen von FDP, AfD und anderen kleinen Parteien. Aus mehr als 200 realen Anträgen und Gesetzesentwürfen aus der vergangenen Legislaturperiode hat das Team 42 Fragen ausgewählt. Der Sozial-O-Mat (www.sozial-o-mat.de) des deutschen Diakonieverbandes konzentriert sich auf die Standpunkte der großen Parteien zu den Themen Familie, Flucht, Armut und Pflege im Alter. Der SPD-nahe Verein D64 (d-64.org/digital17-btw17) lädt ein zum Check der Positionen aller Parteien zu Themen wie Automatisierung, Vorratsdatenspeicherung und Netzausbau. Vom Fachmagazin „Agrar heute“ wurde der Agrar-O-Mat (www.agrarheute.com/agraromat) für Landwirte entwickelt. Mit dem Steuer-O-Mat (steuer-o-mat.de) lässt sich herausfinden, welche Partei die meisten Steuern erspart. Und mit dem Musik-O-Mat von Deezer (musik-o-mat.com) können Musikfans ergründen, welche Partei dieselbe Musik hört wie man selbst.