Die Juristin Eva Högl ist seit 30 Jahren überzeugte Sozialdemokratin. Als stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion ist sie zuständig für Innen- und Rechtspolitik, Medien, Kultur, Verbraucherschutz und Sport. Im wichtigen Wahlkreis Berlin-Mitte kämpft sie darum, das dritte Mal in Folge das Direktmandat zu gewinnen.
Frau Högl, Sie haben mal gesagt, „Große Koalition macht keinen Spaß“. Dennoch: Welche Bilanz ziehen Sie für die SPD nach vier Jahren?
Der Koalitionsvertrag war voll mit SPD-Ideen, viele davon haben wir durchgesetzt: Mindestlohn, Frauenquote, Mietpreisbremse, Fortschritte in der Umwelt- und Bildungspolitik et cetera. Das wollen wir fortsetzen. Wir haben noch viel auf dem Zettel, was mit der CDU/CSU nicht durchsetzbar war – etwa die Lohngleichheit von Frauen oder das Rückkehrrecht von Frauen aus der Teilzeit in die Vollzeit.
In der SPD-Fraktion sind Sie zuständig für Innen- und Rechtspolitik. Was wurde dort erreicht?
Wir haben in den vergangenen vier Jahren so viele Gesetze diskutiert, beraten und verabschiedet wie lange nicht – es war eine extrem intensive Legislaturperiode, in der wir den Reformstau auflösen konnten. Und aktuelle Themen kamen hinzu: Flüchtlingspolitik, Asylrecht und Integration – erstmalig haben wir ein Integrationsgesetz verabschiedet. Zur Terrorbekämpfung haben wir die Gesetze weiter verschärft und haben jetzt eines der härtesten Terrorgesetze der Welt. Außerdem haben wir uns um die Alltagskriminalität gekümmert, die die Leute zunehmend verunsichert. Auf die SPD geht die bessere Ausstattung der Polizei zurück: Bei der Bundespolizei wurden 7.000 zusätzliche Stellen geschaffen, das BKA ist besser ausgestattet, Verfassungsschutz und BND wurden reformiert. Damit wollen wir weitermachen, Zielgröße sind weitere 15.000 Polizistinnen und Polizisten vor allem in den Ländern. Auch die Justiz braucht mehr Personal, zunehmend wird sie zum Nadelöhr der Sicherheitspolitik.
Mit dem Slogan „Eva. Mit Herz für Mitte“ touren Sie durch Ihren Wahlkreis in Berlin-Mitte. Was brennt den Leuten unter den Nägeln?
Absolutes Topthema ist zurzeit die Miete. In Mitte, in Moabit und im Wedding haben die Menschen Sorge, aus ihren angestammten Kiezen verdrängt zu werden. Die Entwicklung ist brutal, alle Menschen sind verunsichert, weil der Mietspiegel stetig nach oben klettert.
Die Mietpreisbremse funktioniert ja bislang nicht wirklich…
Ein korrigierender Gesetzentwurf liegt auf dem Schreibtisch der Bundeskanzlerin, sie wollte ihn in dieser Legislaturperiode nicht mehr verabschieden. Wir schlagen vor, dass ein Vermieter von Anfang an Auskunft über die vorherige Miete geben muss. Und die elf Prozent Umlagemöglichkeit bei den oft übertriebenen Modernisierungsmaßnahmen würde ich am liebsten auf vier Prozent herunterdimmen. Ich habe eine Menge Ideen, wie man Mieterinnen und Mieter besser schützen kann. Aber das A und O ist mehr bezahlbarer Wohnraum.
Da klingt die „soziale Gerechtigkeit“ an – kann die SPD mit dem Thema noch punkten?
Wir sehen an den steigenden Mieten in Berlin, dass die Frage hochaktuell ist. Gerade in Berlin-Mitte geht es vielen Menschen sichtbar schlecht, es gibt richtige Armut. So erzählte mir eine ältere Dame im Wedding, sie erhalte 800 Euro Rente und zahle 440 Euro Miete. Da sind weder Kino, noch Urlaub oder ein Geschenk fürs Enkelkind drin. In meinem Wahlkreis leben 45 Prozent der Kinder von Transferleistungen, 15 Prozent der Jugendlichen verlassen die Schule ohne Abschluss. Wir haben die soziale Gerechtigkeit – sozusagen die DNA der SPD – zum Wahlkampfthema gemacht, weil wir wissen, dass der Wohlstand Deutschlands nicht bei allen ankommt.
Von wegen Kinder: Für die SPD ist der Familiennachzug ein wichtiger Faktor für Integration. Gerade hat der Innenminister verkündet, er will den Familiennachzug weitere zwei Jahre aussetzen...
Integration funktioniert besser, wenn die Menschen hier als Familie zusammen sind. Wenn sie sich um ihre engsten Angehörigen sorgen, wird es sehr schwierig, hier Fuß zu fassen. Allerdings dürfen wir unsere Gesellschaft auch nicht überfordern: Diejenigen, die leider keinen Schutz bekommen können, müssen unser Land auch wieder verlassen. Die Union drückt sich beim Familiennachzug um eine klare Aussage. Die Kanzlerin sagt, sie wird das dieses Jahr nicht entscheiden.
Sie machen sich auch für ein Ausländerwahlrecht stark – wie stellen Sie sich das vor?
Das ist ein Herzensthema von mir, für das ich kämpfe: Wenn wir eine Mehrheit im Deutschen Bundestag dafür hätten, das Wahlrecht von der Staatsangehörigkeit abzukoppeln, wäre das ein wichtiges Signal. In meinem Wahlkreis leben Menschen seit Jahrzehnten hier, die fließend Deutsch sprechen und gut integriert sind. Dennoch können sie den Deutschen Bundestag nicht wählen. Die doppelte Staatsangehörigkeit oder ein Ausländerwahlrecht nach einer langen Aufenthaltsfrist von zum Beispiel zehn Jahren würden helfen. Gern würde ich damit auf der kommunalen Ebene anfangen, das ist auch Teil unseres Wahlprogramms. Die Menschen würden sich mehr für deutsche Politik interessieren, wenn sie mitentscheiden könnten.
Stichwort Frauenpolitik: Was wollen Sie bewegen?
Altersarmut tritt vorzugsweise bei Frauen auf – laut offiziellen Zahlen besteht eine Rentenlücke von über 50 Prozent. Auch Alleinerziehende, die zu über 90 Prozent weiblich sind, müssen stärker unterstützt werden. Deshalb sind Lohngerechtigkeit sowie die Forderung nach einer guten Altersrente für Frauen für mich die drängenden Themen, die wir anpacken müssen. Manuela Schwesig und ihre Nachfolgerin Katarina Barley haben in der Frauenpolitik viel bewegt, auch Andrea Nahles setzt in der Arbeitsmarktpolitik einen starken Schwerpunkt auf Frauen. Das wollen wir weiterführen. Auch die Absicherung von Selbstständigen ist wichtig, wieder betrifft das vor allem Frauen, die oft selbstausbeuterisch und prekär arbeiten.
Sie sind sehr aktiv in der Ausschussarbeit. Welche Erkenntnisse brachte Ihnen der NSU-Untersuchungsausschuss?
Rechtsextremismus ist eine Gefahr für unsere Demokratie. Das darf nie wieder verharmlost werden. Rassismus und Diskriminierung müssen von Polizei, Staatsanwaltschaft und Strafgerichten konsequent verfolgt werden. Wir haben Lehren gezogen und die Sicherheitsbehörden gestärkt sowie den Gerichten Gesetze an die Hand gegeben, mit denen sie solche Straftaten strenger ahnden können. Das Wichtigste ist aber, dass sich in den Köpfen etwas ändert. In der Ausbildung der Polizei, beim Verfassungsschutz und bei den Sicherheitsbehörden muss es eine hohe Sensibilität dafür geben. Und in unserer Gesellschaft muss über Rechtsextremismus und seine Gefahren viel intensiver diskutiert werden – die Wahlplakate und Kampagnen der NPD in Mecklenburg-Vorpommern oder die AfD-Plakate hier in Berlin sind für mich der blanke Horror.
Die SPD als stärkste Partei, Martin Schulz als Bundeskanzler und Sie zum dritten Mal per Direktmandat in den Bundestag: Sehen Sie dafür noch Chancen?
Ich bin nach wie vor bei allen drei Punkten optimistisch! Wir haben noch zweieinhalb Wochen, in denen wir Überzeugungsarbeit leisten können. Noch sind viele Wähler unentschieden: Immer mehr treffen ihre Entscheidung sehr spät, Wahlkampf lohnt sich. Einen Politikwechsel bekommen wir nur hin, wenn Martin Schulz Bundeskanzler wird. Dafür kämpfe ich und hoffe, dass wir am Abend des 24. September Grund zum Feiern haben.
POLITIK
Susanne Wolkenhauer
„Wir haben noch viel auf dem Zettel“
Interview: Ute Bauer
Politik - Deutschland
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