Die „Gärtnerei“ in Mitte setzt, wie der Name bereits vermuten lässt, auf allerlei gemüsige Köstlichkeiten. Aber keine Angst: Auch Fleischliebhaber und Fischgenießer kommen hier auf ihre Kosten.
Der Sommer war nicht ganz so sonnig wie erhofft? Macht nichts, wir sind trotzdem ins Grüne gegangen. Und zwar in die gülden akzentuierte „Gärtnerei“ an der Torstraße, Ecke Gartenstraße. Kaum haben wir uns auf der lindgrünen Polsterbank am Fenster niedergelassen, geht es namensgemäß mit charmantem Grün auf Brot und Butter weiter. Sauerklee blickt uns zuversichtlich an, und nein, auch dieses Mal hilft alles Nachzählen nicht – es bleibt dreiblättrig. Glücklich sind wir mit der Kombination mit aufgeschlagener Fenchelbutter auf hausgebackenem Sauerteigbrot allemal.
Für die Begleiterin gibt’s einen „Garten-Martini“ mit Tanquerai-Gin und Lavendel, einen alkoholfreien Rhabarber-Mix für mich. Hübsches Detail für Design-Freunde: Eine getrocknete Orangenscheibe ist mit einer Mini-Wäscheklammer am Glas festgesteckt. Birne, Honig, Pfeffer und Ginger Beer geben meinem Cocktail Schwung. Wir tätscheln beglückt den „Anfasstisch“ vor uns. Die dunkle und mit grünen, abgebürsteten Lackschlieren versehene Platte macht das dicke Holz sinnlich erfahrbar. So lässt sich’s schöner warten auf den Fotografen, der zwar ums Eck wohnt, aber als letzter zu uns stößt. Und die eiserne Regel brechen: Richtig gegessen und getrunken wird erst, wenn die Fotos gemacht sind. Wir legen die Betonung auf „richtig“ und wissen, dass es bestimmt einen weiteren Brottteller und ein Kaltgetränk für ihn geben wird.
Das Wortspiel im Restaurant-Namen ergibt sich nicht allein aus der Nähe zur Gartenstraße, die die meisten eher mit Schwimmbad und Reha-Zentrum als mit Gemüse-, Obst- und Blumenanbau verbinden. Die „Gärtnerei“ ist ebenso folgerichtig der grünbetonte Abkömmling des Gastronomen Bernhard Hötzl, der in Prenzlauer Berg bereits die „Fleischerei“ betreibt. Der Fokus liegt in Mitte ganz klar auf Gemüse.
Küchenchef Sebastian Radtke hatte zuvor bereits im Neuköllner „eins.44“ bewiesen, dass vielfältige und zeitgenössische Interpretationen von Gemüse und Co. keine Fremdworte für ihn sind. „Das Gemüse soll die Aufmerksamkeit bekommen, die es verdient“, sagt Sebastian Radtke. „Ich bin großer Pilzfan“, antwortet er auf die Frage nach Lieblingsgemüse. „Und ich habe immer eine Zwiebelmarmelade auf der Karte.“
Wir sind in der schönsten Karotten-Zeit in der „Gärtnerei“ gelandet und erfreuen uns an ihnen in jeder Form, Textur und Geschmacksnote. Eines der Hauptgerichte stapelt im zeitgenössischen Akkord-Stil mit „Kabeljau, Karotte, Zitrone“ auf der Karte tief. Es spielt mit gebackenen Mini-Karotten, Karottenpüree, eingelegter violetter Karotte und einem Püree vom Karottengrün alle Facetten von Möhre durch. Der gebratene Kabeljau lagert vornehm distanziert dazwischen. Ein Tick vom Zitronenconfit mit kleinen Schalenstücken auf der Gabel dazu, und schon wird der Fisch geradezu „aufregend“, befindet die Begleiterin.
Wie sich an diesem Gericht ebenso wie am Duroc-Schwein mit Kopfsalat und Steinpilz ablesen lässt: Man ist nicht dogmatisch in Sachen Grün und kein rein vegetarisches Restaurant. „Das ganz streng vegane ist mir nichts“, sagt Besitzer Bernhard Hötzl. „So Kleinzeugs“ wie Geflügel und Fisch solle auf der Karte vertreten sein. Sebastian Radtke ergänzt: „Für das Niveau, auf dem wir das hier machen, muss es einfach richtig gutes Fleisch sein. Das darf auch gern ein bisschen fetter sein.“ Das rote Duroc-Schweinderl gemeinden wir unverzüglich in die Kategorie „Kleinzeugs“ ein. Es wäre zu schade, auf die beiden dicken, gebratenen Scheiben mit der knusprigen, gut gewürzten Fettkruste zu verzichten. Die gebratenen Steinpilze, ein breiter Streifen Zwiebelmarmelade und Tupfen von pürierter Petersilie und Kapern weisen genau die gleiche Dichte wie das Fleisch auf. Auf einem Extrateller hat ein nur ganz kurz angebratenes Herz vom Romanasalat mit viel ausgeprägtem Olivenöl und einem Tick Säure seinen Solo-Auftritt. Das feine Gericht für die Momente, an denen es nach etwas mehr Gehalt und Wärme verlangt, ist mit seiner dunkleren Erdigkeit an diesem Abend mein Favorit.
Ist das ein Männeressen? In einem Frauen-Restaurant gar, in dem die Frauen eher zum Grün und Männer zum Fleisch tendieren? „Die Relation von Frauen zu Männern liegt schon bei 60 zu 40“, beobachtete Bernhard Hötzl. Wie zum Gegenbeweis betritt kurz darauf eine große Gruppe Männer das Lokal. Sie lässt sich unter einem der großen Kristall-Kronleuchter im hinteren Gastraum nieder und füllt einige der 60 Plätze. Doch tatsächlich. Während wir uns an den ersten Tellern gütlich tun, fragen zwei Freundinnen am Nachbartisch Restaurantmanagerin Linda Stößer, ob die Tomaten-Tartelette mit Ziegenkäse und Wildkräutern noch auf der Karte stehe. Oh ja, das tut sie – und sie hat bereits das Zeug zum Klassiker. Das Blätterteig-Törtchen ist mit Ziegenkäse-Creme gefüllt. Grüne, gelbe und rote Tomaten fügen eine mit Grapefruit-Vinaigrette abgefangene zarte Fruchtigkeit hinzu. Kräuter, Blüten und eine Handvoll geröstete Sonnenblumenkerne ergänzen die leichte Version von Grün und Bunt für warme Sommerabende, für die 40 Plätze draußen eingedeckt werden können.
Bei aller Liebe zum Grünzeug – einen eigenen Kräuter- und Gemüse-Anbau betreibt Sebastian Radtke nicht im Hinterhof. „In der Küche stehen nur Basilikum und Schnittlauch“, sagt er lachend. Die wilden Kräuter etwa stammen von „Richard’s Wild“ aus Brandenburg. Eingelegt und fermentiert wird, wie Spargel im Mai, dagegen sehr wohl. Und alles, was die Küche verlässt, ist hausgemacht –
bis hin zum chipsigen Sauerteigknusper, der eine angeräucherte Forelle, wilden Broccoli und eingelegte Senfsaat begleitet. Brot-Kanten werden mit Estragon, Senf und der „geheimen Zutat Wasser“, wie Radtke verrät, püriert. Die Masse wird tiefgefroren; es werden Späne abgeraspelt und im Backofen zu hauchdünnen Chips gebacken. Was einfach wirkt, trägt viel komplexe, unsichtbare Arbeit in sich; Finessen gipfeln in „einfachen“ Ergebnissen. Die sind in drei bis fünf Gängen zu 38 bis 58 Euro als Menü oder als Einzelgerichte für neun bis 24 Euro bestellbar.
Potpourri an Aromen
Die Gäste passen jedenfalls perfekt ins Ambiente. Während der Fotograf sich zuerst mit der Kamera und danach mit Messer und Gabel mit einem neuzeitlich aufgebürsteten Berliner Küchenklassiker befasst, schaut ein Bekannter herein. Ist er in seiner zartgrünen Bomberjacke mit gelben Hibiskusblüten Teil des Design-Konzepts? „Nein, ich bin ein Nachbar“, sagt er lachend. Das Senfei in der Keramikschale harmoniert dennoch hervorragend mit seiner Oberbekleidung. Im Vakuum sous vide gegarte Bio-Eier machen es sich im Senfsud mit Spinat, kleinen Drillingen-Kartoffeln, getrockneten Tomaten und in Portwein geschmorten Radieschen gemütlich. Sie gefallen dem Fotografen auch geschmacklich sehr: „Tausend Aromen“, murmelt er, während er die einzelnen Komponenten immer wieder unterschiedlich kombiniert auf die Gabel schiebt. Die Begleiterin dagegen ist von Erbsen in jeder Form zum Saiblingsfilet mit Saiblingskaviar höchst angetan. Gepulte Erbsen und Erbsensprossen kommen „geschmacklich auf den Punkt“ sowie auf Buttermilchsauce plus Nussbutter daher.
Das Küchenteam in der „Gärtnerei“ beherrscht die Kunst, aus einem Produkt das Maximum an Texturen und Zubereitungsarten herauszuholen. „Und sie neu und harmonisch wieder zusammenzusetzen“, merkt die Begleiterin an. In einem orangefarbenen Schlussakkord beweist uns das der Dessertteller mit Mandarine, weißer Schokolade und Rosmarin: Die Zitrusfrucht präsentiert sich als Sorbet-Nocke, Sphäre und Zesten zu Baiser und heller Schokomousse. Jeder Löffel ruft ein anderes Mundgefühl hervor; der Rosmarin würzt das cremige und sanfte Dessert mediterran. Linda Stößer schenkt uns eine 2015er Riesling-Auslese von Schwarzböck dazu ein. Die beinah schon „ölige“ Textur und der Geruch von „zu viel Beere“, wie die etwas herber orientierte Begleiterin anmerkt, sind genau mein Ding. Sie heben die Fruchtigkeit des Tellers hervor.
Eines darf nach nur vier Monaten nach der Eröffnung und an dieser Stelle wohl als gesichert gelten: „Der Laden des Unglücks“, wie der nahebei wohnende Fotograf die glücklosen Versuche wechselnder Vorbesitzer salopp titulierte, ist passé. Gastronomie-Profi Hötzl, Küchenchef Sebastian Radtke und dem vielfältig zubereiteten Grün in der „Gärtnerei“ sei Dank.