Obergrenze, Mütterrente, Volksentscheide: Das Bayernprogramm der CSU ist Auffangbecken für Forderungen, die im gemeinsamen CDU/CSU-Wahlprogramm keinen Platz gefunden haben. Horst Seehofer pokert hoch. Denn in seinen „Garantien“ steckt Sprengstoff für den Zusammenhalt der Union.
ie zwei sich aneinander reibende Sandpapierflächen: Wenn Angela Merkel und Horst Seehofer aufeinandertreffen, die Chefs der Schwesterparteien CDU und CSU, flimmern die immer gleichen Szenen über den Bildschirm – vom angepappten Lächeln bis zum offenen Schlagabtausch. Seehofer, mit der absoluten Mehrheit in seinem Bundesland im Rücken, bratzt gerne mal rein. „Die einen sind halt Diplomaten, die anderen, die sind halt Bayern“, stellte er Mitte Juli klar. Anlass: die Vorstellung des „Bayernplans“. In dieser Verpackung haben Seehofersche Forderungen Platz, die im Gesamt-Bundestagswahlprogramm der Union am Widerstand der Kanzlerin gescheitert sind.
Die CSU schärft so ihr Profil. Ein kluger Schachzug: 2018 sind Landtagswahlen in Bayern. Und 60 Jahre absolute Mehrheit für die CSU zeigen, dass dem Wähler im Süden knackige Programme und verlässliche Zusagen wohl besser gefallen als wachsweiches Herumgeeiere. „Klar für unser Land“ steht außen auf dem Bayernplan-Titel. Was aber steht nun drin im weiß-blauen Extraprogramm?
Garantien stehen drin, so zumindest benennt die CSU ihre Hauptforderungen. Und eine davon hat nicht nur Sandpapier-Potenzial, sondern ganz klar Sprengkraft: die Ordnungsgarantie, sprich: nie wieder solche unübersichtlichen Zustände wie 2015. Damals kamen Flüchtlinge zu Tausenden von Ungarn her nach Deutschland – über die bayrische Grenze. Der Zunder liegt in der Forderung nach einer „Flüchtlings-Obergrenze“. 200.000 Geflüchtete pro Jahr sollen maximal nach Deutschland kommen dürfen, so hat es Seehofer immer wieder bekräftigt. Merkel ist strikt gegen eine solche Zahl, schon beim Wort „Obergrenze“ zieht sie regelmäßig eine Leichenbittermiene.
Knackiges Programm statt Herumgeeiere
Momentan herrscht zwar – abgesehen von einigen direkten Interview-Nachfragen – Vor-Wahl-Burgfrieden. Doch wie will Seehofer seine krachlederne Garantie nach dem 24. September einlösen? Vielleicht funktioniert das ja dann andersherum: Im nächsten Regierungsprogramm könnte Merkel mit einer „angestrebten“ Zahl auf Seehofer zugehen. Und wenn die 200.000 dann erst mal irgendwo auftauchen, kann Seehofer sich für seinen Landeswahlkampf auf die Schulter klopfen – verhandeln muss man schließlich immer, mehr war halt nicht drin als kleinere Schwesterpartei, aber immerhin, Ziel erreicht.
Weitere Garantien gibt es für Steuerentlastungen oder, wen wundert´s, mehr Polizei und generell Sicherheit. Beim Baukindergeld, der Förderung von Hausbau für junge Familien, sind sich CDU und CSU einig. Hakelei wird es noch mal geben bei der Mütterrente: Für Kinder, die vor 1992 geboren sind, sollen Mütter drei Jahre Erziehungszeit angerechnet bekommen. Bislang gilt quasi eine Light-Version der CSU-Forderung – nach Wunsch der Bayern wäre es künftig ein Jahr mehr. Geht es nach Merkel, soll das jedoch nicht passieren. Kein Geld, so die klare Absage.
Nummer drei der Explosiv-Garantien aus dem Bayernprogramm ist die Beteiligungsgarantie: In „wichtigen politischen Fragen“ soll es bundesweite Volksentscheide geben, bis hin zu Verfassungsänderungen mit Zweidrittelmehrheit. Diese Möglichkeit hatte sich die CSU im Oktober 2016 nach ihrer allerersten Mitgliederbefragung auf die Fahne geschrieben. Die Widerstände bei der großen Schwesterpartei sind mit Verweis auf die britische Brexit-Entscheidung groß, auch Parteichefin Angela Merkel möchte so weitgehende Mitbestimmung laut Sommerinterview „unter keinen Umständen“. Beim ersten Blick wundert man sich auch über die Forderung: Die sieht doch aus wie aus dem Piraten-Wahlprogramm geklaut. Sie könnte aber auch einen ganz anderen Hintergrund haben. Seehofer wolle auf diese Weise der AfD Wähler abspenstig machen, heißt es – die „Alternative“ fordert Volksabstimmungen nach Schweizer Vorbild.
Volksentscheide zur Verfassung
Die anderen im Bayernplan festgehaltenen Programmpunkte unterscheiden sich nicht so grundsätzlich von den CDU-Forderungen wie eben jene Garantien für Obergrenze, Mütterrente und Volksentscheide. Aber was tun mit den unüberwindlich scheinenden Streitpunkten? Immerhin sollte deren Durchsetzung im gemeinsamen Regierungsprogramm – so Seehofer ursprünglich – Bedingung für eine CDU/CSU-Koalition auch in der nächsten Legislatur sein. Haben sich die Bayern da böse verschätzt und allzu viel schon mit Blick auf ihre eigene Wahl im kommenden Jahr eingetütet – noch dazu mit der markigen Zusage des CSU-Generalsekretärs Andreas Scheuer „Garantie ist Garantie. Mehr geht nicht“?
Nun, zumindest erst mal ist Ruhe. „Jetzt machen wir Wahlkampf“, meint Horst Seehofer. Was danach passiert – dahingestellt. Drohungen, sich von der CDU zu trennen, gab es ja immer mal wieder, bislang waren sie immer hohles Getrommel in schönster Mia-san-mia-Manier. Spätestens in den Koalitionsverhandlungen nach der Wahl wird sich zwangsläufig zeigen, ob es so läuft wie mit der Pkw-Maut: Da hatte sich CSU-Verkehrsminister Alexander Dobrindt mit dem Linken Bodo Ramelow gegen Angela Merkel zusammengetan und sein Projekt durchgeboxt. Ob so etwas auch mit den aktuellen weiß-blauen Explosivstoffen wieder klappt? Das wird noch spannend.
