Sie galt innerhalb der CDU neben ihrem Fraktionskollegen Klaus-Peter Willsch als größte Zumutung: Erika Steinbach. Doch anders als Willsch, wie sie aus Hessen, hat sie ihre Konsequenzen gezogen. Sie trat aus der CDU aus. Nun hat sich die konservative Rebellin aus der Politik zurückgezogen – fast.
Erste Konsequenz für Erika Steinbach nach ihrem Austritt aus der CDU im Januar dieses Jahres: Sie musste innerhalb des Bundestages umziehen und ihr klimatisiertes Büro im Paul-Löbe-Haus verlassen. Aus dem dritten Stock am Platz der Republik gegenüber dem Bundestag ging es in die Dorotheenstraße gut zehn Gehminuten entfernt, außerhalb der Bannmeile. Ihre neue Unterkunft wurde ihr vom Hausmeister in dem denkmalgeschützten Haus direkt unter dem Dach zugewiesen, in Südwestlage. Denkmalgeschützt bedeutet für die Bewohner, von außen sieht das alles sehr schön aus, nur leider fehlt eine Klimaanlage, die darf nicht eingebaut werden, sagt der Landeskonservator. Da sitzt Erika Steinbach nun in ihrem nur noch halb so großen Büro hinter dem Schreibtisch, die Luft steht. An diesem Augusttag erwarten wir einen Höchstwert von 32 Grad, „was glücklicherweise in diesem Sommer ja hier in Berlin eher die Ausnahme war“, lacht die 74-Jährige.
„Dass ich hier mit meiner Mannschaft gelandet bin, verdanke ich CDU-Fraktionschef Volker Kauder, der hat umgehend dafür gesorgt, dass ich weit weg von meiner alten Fraktion platziert werde“, gibt sich Steinbach überzeugt. Von der alten Fraktion spricht eigentlich keiner mehr mit ihr, „einige grüßen mich noch freundlich, aber ansonsten geht man mir offiziell aus dem Weg.“ Das ist nicht weiter verwunderlich, zu sehr hat sich Erika Steinbach von der Union entfernt. Da insistiert Steinbach sofort, „nicht ich habe mich von der Union entfernt, sondern die CDU ist in den letzten Jahren nach links abgebogen und hat alle ihre bürgerlichen Kernpunkte aufgegeben.“
Bog die CDU links ab oder Steinbach rechts?
Die Entfremdung begann mit dem ersten Euro-Rettungsschirm für Griechenland, der von weiten Teilen der CDU/CSU-Fraktion sehr kritisch gesehen wurde. Damals hatte sie auch engen Kontakt zu CDU-Euro-Rebell Klaus-Peter Willsch, der wie Steinbach ebenfalls dem konservativen hessischen CDU-Landesverband entstammt. Doch die beiden sitzen nicht über die Landesliste im Bundestag, sondern holen seit beinahe zwei Jahrzehnten ihre Wahlkreise direkt, Steinbach in Frankfurt am Main.
Der nächste thematische Donnerschlag war für sie der von Kanzlerin Angela Merkel kurzerhand verkündete Atomausstieg nach der Havarie des Atomkraftwerks im japanischen Fukushima. „Da wurde die CDU-Fraktion im Vorfeld überhaupt nicht informiert, sondern das wurde uns per Pressekonferenz mitgeteilt und Fraktionschef Kauder hat uns die Vorteile dieser Entscheidung aufgezählt.“
Das war Erika Steinbach eigentlich schon zu viel. Doch nach fast 40 Jahren in der CDU schmeißt man nicht einfach so hin, sondern versucht, sich mit der neuen Situation zu arrangieren, auch wenn in Steinbachs Wahlkreis die Wogen hoch schlugen. Erstens ist Hessen Atomland und im Übrigen stellten sich nicht nur die Menschen in Frankfurt die Frage: Woher soll denn künftig der Strom kommen? „Das ist schon beinahe paradox, um uns herum stehen die Atomkraftwerke und produzieren Energie für den deutschen Markt, und wir schalten die ab. Da lachen die anderen doch nur noch über uns“, ist Steinbach überzeugt.
Auftritte für die AfD waren vorprogrammiert
Doch für die ehemalige Präsidentin des Bundes der Vertriebenen sollte es zwei Jahre lang noch schwieriger werden, ihre Position mit der neuen CDU-Linie zu synchronisieren. Im Sommer vor zwei Jahren setzte dann ein bis dahin für unmöglich gehaltener Flüchtlingsstrom nach Deutschland ein. Die Kanzlerin gab die Parole „Wir schaffen das“ aus. Da war Steinbach dann mit ihrem Wahlkreis ganz anderer Meinung, und diese kritische Sichtweise brachte für sie zunächst Alexander Gauland von der AfD auf den Punkt. Gauland und Steinbach kennen sich seit den 70er-Jahren. Beide waren in der Frankfurter Kommunalverwaltung tätig und Gauland war es, der die damals junge Steinbach dazu bewegte, in die CDU einzutreten. Gauland machte dann Karriere in der hessischen Landespolitik, brachte es bis zum Leiter der Staatskanzlei unter Ministerpräsident Walter Wallmann (CDU), während Steinbach per Direktmandat im Bundestag landete. Doch nun, fast 30 Jahre später, stehen beide wieder gemeinsam auf der politischen Bühne. Für Steinbach war es dahin ein langer, schwieriger Weg, zumal sie den letzten Schritt, den Eintritt in die AfD, noch nicht getan hat.
Alexander Gauland soll sie in den letzten zwei Jahren mit regelmäßigen Anrufen immer wieder bekniet haben, doch in die AfD einzutreten. Doch noch immer ziert sich Steinbach. Allerdings ergriff sie dann im Frühsommer die Initiative für die AfD und rief in großen Zeitungsanzeigen dazu auf, bei der kommenden Bundestagswahl die AfD zu wählen. Ausschlaggebend für diese Parteinahme war wohl der Umstand, dass sie von der CDU immer mehr bedrängt wurde. So sollen Veranstalter, die sie zu Vorträgen eingeladen haben, „von der CDU-Seite genötigt worden sein, mich doch lieber gleich wieder auszuladen“, sagt Steinbach. Doch nach 40 Jahren im politischen Rampenlicht will sich Steinbach jetzt nicht so einfach wegschieben lassen und nutzt auch ganz offiziell die AfD-Bühne, wie Anfang September im badischen Pforzheim.
Dort hat die AfD bei der Landtagswahl vor anderthalb Jahren über 24 Prozent und damit das höchste Wahlergebnis in den alten Bundesländern überhaupt geholt. In Pforzheim merkte man Steinbach an, wie sehr sie die große Bühne und das herzliche Willkommen liebt, auf das sie in den vergangenen zwei Jahren verzichten musste. Die Frage, warum sie nun nicht die Konsequenzen zieht und in die AfD eintritt, beantwortet Steinbach so: „Ich würde es als Wählerbetrug empfinden, wenn ich jetzt nach 40 Jahren CDU in die AfD eintreten würde. Denn ich bin ja von den CDU-Wählern noch gewählt worden, und darum bleibe ich jetzt mit meinen Positionen parteilos, wie das übrigens 98 Prozent der Bundesbürger auch tun.“ Und noch eines stellt Steinbach klar: Ihre Entscheidung, jetzt nicht mehr zu kandidieren, sei bereits vor vier Jahren bei Beginn der Legislaturperiode gefallen. „Schon 2013 war für mich klar, dass dies meine letzten vier Jahre im Bundestag sein werden“, sagt Steinbach. Auch wenn sie nun mit der Politik aufhört, man kann sicher sein, weitere Auftritte auch für die AfD wird sich Steinbach nicht entgehen lassen. Vor allem, weil sie sich so an der aus ihrer Sicht „neuen, linken CDU“ hervorragend abarbeiten kann.