Ende 2016 hatte Indiens Premier Narendra Modi 90 Prozent des Bargeldbestandes für ungültig erklärt. Mehr als zehn Monate nach der Hauruck-Reform legt ein Zentralbankbericht nahe, dass der radikale Eingriff gescheitert ist. Das Wirtschaftswachstum ist eingebrochen. Die Kritiker sind empört.
Es ist 8 Uhr abends am 8. November 2016, als Indiens Premierminister Narendra Modi sein Volk auf einen Kampf voller Entbehrungen einschwört. „Korruption und Schwarzgeld breiten sich immer weiter aus“, warnt der Politiker. Staatsmännisch verkündet er: „Es ist der Moment in der Geschichte des Landes gekommen, in dem ein harter und entschiedener Einschnitt nötig ist.“ Was dann folgt, trifft das 1,3 Milliarden Einwohner große Land völlig unvorbereitet: Sämtliche 500- und 1.000-Rupien-Scheine würden bereits zu Mitternacht ihre Gültigkeit als Zahlungsmittel verlieren, erklärt Modi. 50 Tage blieben den Bürgern, um die Banknoten, die fast 90 Prozent des gesamten Bargeldes ausmachen, auf Konten einzuzahlen.
Seit Modis Rede sind inzwischen mehr als zehn Monate vergangen. Abgeebbt ist die Schockwelle aber immer noch nicht. Neue Konjunkturzahlen legen nahe, dass die Wirtschaft noch immer unter der radikalen Reform leidet. Und ein Bericht der Zentralbank führt vor Augen, dass die Regierung ihre Ziele offenbar klar verfehlt hat.
Modis Hoffnung war eindeutig: Wer Geld aus illegalen Quellen besitzt oder Steuern hinterzogen hat, würde es nicht wagen, es gegen neue Noten einzutauschen. Den Korrupten und Kriminellen bliebe nichts anderes übrig, als ihre Scheine in den Ganges zu werfen, sagte der Premier. Bis zu 20 Prozent der Bargeldsumme von 240 Milliarden Dollar (200 Milliarden Euro) könnten so aus dem Verkehr gezogen werden, verbreitete die Regierung.
Auch die Kriminellen trugen ihre Rupien-Scheine zur Bank
Die Bilanz, die Indiens Notenbanker nun vorlegen, zeichnet jedoch ein ganz anderes Bild: 99 Prozent der 15,4 Billionen Rupien, die Modis Bargeldreform für unbrauchbar erklärte, wurden demnach wieder in Umlauf gebracht. Sollten tatsächlich riesige Summen aus illegalen Quellen im Umlauf gewesen sein, wie die Regierung vermutete, hatten die Besitzer offenbar kaum Scheu, das Geld wie jeder andere zu den Banken zu tragen.
Zu dieser Erkenntnis zu gelangen, stellte sich für den Subkontinent jedoch als teures Experiment heraus. Weil die Banken Ende vergangenen Jahres monatelang mit dem Ansturm überfordert waren und in den Geldautomaten ein akuter Mangel an neuen Scheinen herrschte, war Indiens Wirtschaft lange Zeit mit Bargeld unterversorgt. Das ließ den Konsum einbrechen, bescherte Geschäftsleuten Kapitalengpässe und ließ Preise etwa für landwirtschaftliche Rohstoffe stark sinken.
Die Folgen sind nach wie vor spürbar. Nachdem die Wirtschaft insgesamt den Bargeldschock in den ersten Monaten halbwegs gut zu verdauen schien, dreht sich der Wind nun.
Indiens Wirtschaftswachstum sank im jüngsten Quartal überraschend stark auf 5,7 Prozent, wie die Statistikbehörden mitteilten. Noch vor einem Jahr lagen die Zuwächse der Wirtschaftsleistung im gleichen Zeitraum bei 7,9 Prozent – Indien war damit klar die am schnellsten wachsende große Volkswirtschaft. Doch das war vor Modis riskantem Experiment. „Der schwerfällige private Konsum war aufgrund der anhaltenden Auswirkungen der Bargeldreform zu erwarten“, kommentierte Hugo Erken, Analyst bei der niederländischen Rabobank. „Es hätte niemals dazu kommen dürfen“, sagte N.R. Bhanumurthy, Ökonom am National Institute of Public Finance and Policy in Neu-Delhi. Das Programm sei in erster Linie politisch und nicht ökonomisch angelegt gewesen.
Auch Modis politische Gegner zeigten sich empört: Modi habe die Menschen in die Irre geführt und falsche Aussagen gemacht, sagte Anand Sharma, einer der Führer der oppositionellen Kongresspartei. Die Bargeldreform bezeichnete er als „größte Abzocke“.
Trotz der Verwerfungen, die Modis Reform verursachte, war die Maßnahme in der Bevölkerung nicht unbeliebt. Der Anschein der Korruptionsbekämpfung gefiel den Anhängern von Modis hindu-nationalistischer Partei BJP, die in den vergangenen Monaten mehrere Wahlen gewann. Wie sie auf ein Ende des stürmischen Wachstums der indischen Volkswirtschaft reagieren werden, bleibt indes abzuwarten.