Die Faustballer vom VfK 1901 aus Berlin haben verdient die Deutsche Meisterschaft gewonnen – doch einer kleinen Besonderheit bedurfte es schon.
Faustball ist eine familiäre Sportart. Man kennt sich, man schätzt sich, und im Sommer fahren alle zusammen zu den World Games. Dort gewinnt Deutschland häufig gegen die starke Konkurrenz zum Beispiel aus der Schweiz oder aus Brasilien und rechtfertigt seinen Status als Faustball-Erfinderland. Dabei ist es durchaus kein Kinderspiel, die internationale Konkurrenz auf Distanz zu halten, doch eine Überraschung ist es häufig auch nicht.
Eine Überraschung fand dafür dieses Jahr auf nationaler Ebene statt: Der TSV Pfungstadt wurde nicht Deutscher Meister. Erfolgreich in die Bresche sprangen die Faustballer vom VfK 1901 aus Berlin, sie sind jetzt seit Ende August die Besten Deutschlands. Und gleichzeitig die Fairsten. Denn kurz nach dem lang ersehnten Gewinn des Endspiels gegen den deutschen Dauermeister TSV Pfungstadt posteten die Berliner auf ihrer Homepage einen Text, der zusätzlich den Fairplay-Preis verdient hätte: „Durch die schwere Schulterverletzung des Pfungstädter Ausnahme-Angreifers Patrick Thomas bei den World Games, bot sich den Männern des VfK die riesige Möglichkeit, wieder deutscher Meister zu werden.“ In den letzten sieben Jahren sei man ja einige Male an den Südhessen gescheitert. So kann man das sagen. Denn den Berlinern war klar, dass es auch in diesem Jahr nicht gereicht hätte. Gegen Pfungstadt – mit diesem Patrick Thomas. Der gilt als der herausragende Angreifer im Weltfaustball und führte seinen TSV in den letzten Jahren von Erfolg zu Erfolg. Im Faustball ist er der Star. Bei den World Games in Breslau Ende Juli verletzte er sich schwer an der Schulter bei einem Zusammenprall mit Mitspieler Steve Schmutzler.
zusammenprall mit mitspieler
Der Patrick Thomas vom VfK 1901 heißt Lukas Schubert. Er steht in der Nationalmannschaft neben Thomas, ebenfalls als Angreifer. Auch Schubert ist Weltmeister, World-Games-Sieger und jetzt zum zweiten Mal deutscher Meister auf dem Feld. Darauf musste Schubert acht Jahre lang warten, an Thomas und seinen Pfungstädtern führte in den letzten Jahren kein Weg vorbei. Doch diese Sichtweise wäre alleine zu kurz gegriffen. Denn Schubert ist inzwischen eine Institution im deutschen Faustball. Als Linkshänder ist er der perfekte Partner auf der rechten Angriffsseite neben Patrick Thomas in der Nationalmannschaft.
Schubert ist gleichzeitig das Gesicht der Berliner Faustballszene, kein Wunder bei den Erfolgen. Berichten die großen Blätter in Berlin über den einst sehr populären Sport, steht Schubert stets im Fokus. Er dürfte den Zeitungslesern geläufiger sein als die Regeln seiner Sportart.
Dabei ist Faustball eigentlich ein einfaches Spiel. Eine Faust, ein Ball und ein Band – einfach, aber wirkungsvoll. Die Angriffsbälle erreichen Geschwindigkeiten von über 100 Kilometern pro Stunde, und gelingt den Verteidigern das Kunststück, einen solchen Ball zu verteidigen, ist das nicht selten spektakulär mit anzusehen.
Faustball ist eine Rückschlagsportart und gehört damit zur gleichen Familie wie Volleyball, Tennis oder Prellball. Doch Faustball hat seinen eigenen Charme. Mit „Ball über die Schnur“, wie die Sportart von Unwissenden manchmal tituliert wird, hat das nur wenig zu tun. Fünf Spieler pro Mannschaft treten wie Fußballer auf einem Rasenfeld auf – Trikot, kurze Hose, Stollenschuhe. Nur der Einsatz des Fußes ist nicht erlaubt –Faust statt Fuß lautet die Spielregel. Und das, was die Spieler über das Feld schmettern, ist auch kein Volleyball. Von Ausmaß und Härte gleicht das Spielgerät eher einem Fußball. Neben der Faust ist auch der Unterarm erlaubt, der Ball wird damit über ein Band befördert, früher reichte eine Leine oder eine Schnur. Damit ist auch klar: Es gibt kein Netz. So, wie es andere überflüssige Dinge auch nicht gibt – Faustball eben. Damit hat die Sportart etwas Ursprüngliches, fast Archaisches – ein Blick in den Baukasten der Ballsport-Evolution. Doch wer althergebrachtes Brauchtum vermutet, liegt falsch – es geht eindeutig um Sport. Faustball ist eine deutsche Erfindung, und der Münchner Turnlehrer Georg Heinrich Weber gilt als Kopf des modernen Faustballspiels. Nachdem Weber das Spiel seit 1885 mit seinen Gymnasiasten erprobt hatte, veröffentlichte er 1893 erste Regeln.
30.000 aktive
im Faustball
Aus heutiger Sicht gilt Faustball als vergessene Sportart: Bis in die 60er-Jahre Bestandteil des Schulsports in Deutschland, ging diese Tradition weitgehend verloren, und Faustball schrumpfte auf Exotenstatus. 41.000 aktive Faustballer waren es noch Ende der 90er-Jahre, inzwischen schätzt man die Faustballaktiven auf 30.000. An einer Verbesserung der Situation wird eifrig gearbeitet. Seit 2014 wird Faustball, der organisatorisch immer noch Mitglied des Deutschen Turner Bundes ist, öffentlich gefördert –als aktiver Teil der World Games, bei denen alle vier Jahre nichtolympische Sportarten auftreten. Auf Dauer ist die komplette Emanzipation vom DTB, der seine Faustballsparte mehr als stiefmütterlich behandelt, das Ziel. Dabei kann Deutschland beachtliche Erfolge vorweisen: Weltmeister, Europameister, World-Games-Gewinner.
Nun fehlt der Mannschaft von Bundestrainer Olaf Neuendorf eigentlich nur noch die olympische Goldmedaille. Doch eine Teilnahme an den Sommerspielen unter den fünf Ringen liegt in ferner Zukunft. 62 Mitglieder zählt die International Fistball Association (IFA), mindestens 75 müssen es sein, um überhaupt eine Chance beim Internationalen Olympischen Komitee zu haben.
Doch Faustball kämpft sich langsam zurück in die Öffentlichkeit. Das Finale der World Games Ende Juli gegen die Schweiz sahen 300.000 Zuschauer auf Sport1. IFA Generalsekretär Jörn Verleger zeigt sich jedenfalls optimistisch. „Faustball könnte eine echte Ergänzung für die Programmpalette von Sport1 darstellen. Die Zuschauerzahlen haben gezeigt, dass wir an einem Wochentag-Nachmittag Werte erreichen können, die in die Senderstruktur von Sport1 passen.“ Vielleicht finden die Faustballer hier ihre Nische und können ihre Popularität wieder ausbauen. Das wäre gegenüber dem Traditionssport mit der Faust nur fair.