Kapstadt wird zum Hotspot der Kunstwelt: Im Hafenareal eröffnet das „Zeitz MOCAA“, das erste Museum für südafrikanische Gegenwartskunst. Die Architektur und die Ausstellungen sind spektakulär, doch auch im Viertel Woodstock und in einem als Hotel getarnten Privatmuseum erlebt man die kreative Seite des Kontinents.
Ein winziges, unscheinbares Maiskorn: Manchmal braucht es nur etwas ganz Kleines, um daraus etwas ganz Großes zu entwickeln. „Es war ein Zufallsfund, eine spontane Idee“, erinnert sich Thomas Heatherwick. Trotz seines Ruhms – der 47-Jährige ist derzeit einer der angesagtesten Designer der Welt – wirkt der Brite mit dem schwarzen Wuschelhaar bescheiden. Aber er ist ambitioniert, kein Zweifel, und offenbar ein Mann mit scharfen Augen, der alles, was ihn umgibt, penibel betrachtet.
So wie das Maiskorn, dem er seinen spektakulären Entwurf für das am 22. September eröffnende Museum für zeitgenössische afrikanische Kunst in Kapstadt verdankt: „Mit diesem Samen hat alles angefangen.“
Das 200-köpfige Team der Heatherwick Studios hat neue Doppeldeckerbusse für London entwickelt und plant eine bewachsene „Garden Bridge“ über die Themse, baut für Google eine Firmenzentrale im Silicon Valley, will in New York mit dem Pier 55 einen schwimmenden Park errichten und tüftelt dort auch an einer 15-stöckigen begehbaren Treppenskulptur namens „The Vessel“. In Kapstadt ging es aber nicht um einen innovativen Neubau, sondern um die Verwandlung von etwas Altem. Vor mehr als zehn Jahren begann Thomas Heatherwick mit den Planungen, ein 1921 gebautes Getreidesilo im Hafen von Kapstadt in ein Museum zu verwandeln. Und suchte nach der Antwort auf die Frage: „Wie zeigt man Fotografien, Gemälde und Installationen in 116 zylinderförmigen Betontanks?“
Nach der Erkundung der verwahrlosten Ruine nahm er eines jener Maiskörner, die einst hier gelagert wurden, und vergrößerte es am Computer. Dann ließ der Designer genau diese Form, organisch-unregelmäßig und damit ein Horror für seine Architekten und Ingenieure, aus den 33 Meter hohen Betonröhren des alten Speichers fräsen. So entstand ein gigantisches Atrium, ein Raum von den Ausmaßen eines gotischen Kirchenschiffs, erhellt durch große Glasfenster auf dem Dach.
Dahinter liegen die Ausstellungsflächen: 80 Räume verteilt auf sechs Etagen, dazu viel Platz für Performances, Filmpräsentationen und Workshops. Das neue „Zeitz Museum of Contemporary Art Africa“ (Zeitz MOCAA) will nicht nur eine Kathedrale der Künste sein. Es sieht auch tatsächlich so aus. Und es löst das Versprechen, eines Tages in einer Liga mit den großen Museen in Asien, Amerika und Europa zu spielen, auch in den Ausstellungen ein. Vorurteile sollte man also an der Garderobe abgeben: Das „Zeitz MOCAA“ zeigt nämlich keine „Township Art“, also Kunsthandwerk wie Holzmasken oder Drahtskulpturen, sondern starke Kunst. Zum Beispiel Fotografien des Performancekünstlers Athi-Patra Ruga, der vor einigen Jahren das Triptychon „Nacht der langen Messer“ geschaffen hat. „In Südafrika gab es unter den Weißen die Urangst, nach dem Tod von Nelson Mandela würden sie alle umgebracht. Ich habe dem meine eigene Vision dagegen gestellt“, erzählt er. Die Bilder seiner Intervention zeigen Fahnen schwenkende Figuren, die auf Zebras reiten, gekleidet in kunterbunte Textilien und unterwegs mit Wolken voller Luftballons. Blut fließt bei Athi-Patra Ruga keines in jener Nacht – es ist vielmehr eine große Party: „Die Pop-Kultur, nicht die Politik erschafft im neuen Südafrika inzwischen unsere Helden.“
Davon kann auch Kudzanai Chuirai ein Lied singen: Der Künstler aus Zimbabwe musste sein Land verlassen, weil er in seinen Plakaten Präsident Mugabe aufs Korn nahm. Das „Zeitz MOCAA“ zeigt in einer Sonderausstellung nun seine frühen Werke – so findet Street-Art-Kunst den Weg ins Museum. Die Ehre einer eigenen Retrospektive wird auch Nandipha Mntambo aus Swaziland zuteil. Die 34-Jährige hat sich in Portugal gegen alle Widerstände der Männer zum Torero ausbilden lassen, wurde für eine Performance dann selbst zum Stier, und schafft nun Skulpturen aus Kuhhaut. „Eigentlich wollte ich Pathologin werden. Mich hat schon immer interessiert, wie sich organische Materialien verwandeln und wie sie vergehen.“ In ihrem Studio gerbt und färbt sie die Häute – „inzwischen riecht es nicht mehr ganz so streng, so langsam habe ich Erfahrung“ – und nutzt dann ihren Körper als Modell, um damit das Leder in eine neue Form zu bringen. Bilder von Mohau Modisakeng, der dieses Jahr den südafrikanischen Pavillon auf der Biennale in Venedig bespielt, sind zu sehen – Figuren, die von Gewalt und der Misshandlung schwarzer Körper erzählen. Ein Drache mit riesigen Flügeln und ewig langem Schwanz ist von Nicholas Hlobo – inspiriert hat ihn eine Legende der Xhosa. Beeindruckend ist auch die Installation „Hanging Bricks“ von Kendell Geers. Bei dieser müssen die Besucher einen Raum durchqueren, in dem schwingende Ziegelsteine den Weg versperren – eine Referenz an den Widerstand zur Zeit der Apartheid, als Aktivisten Brücken enterten und mit herabhängenden Steinen den Verkehr blockierten. Den Werken sei eines gemeinsam, sagt Museumskurator Mark Coetzee: „Jeder Pinselstrich, jeder Pixel, jede Faser ist politisch.“
Um die Avantgarde der afrikanischen Künstler des 21. Jahrhunderts zu zeigen, im nun größten Museum dieser Art auf dem Kontinent, haben die Betreiber der Victoria & Alfred Waterfront 33 Millionen Euro in den Umbau investiert. Im Lauf der Jahre soll eine Museumssammlung aufgebaut werden – Künstler wie der Fotograf Roger Ballen haben bereits ihr Archiv gestiftet und Geld eingebracht. Was im „Zeitz MOCAA“ jetzt präsentiert wird, stammt zum Großteil aber aus der Kollektion des Namensgebers, einem Deutschen. Der steht, leger gekleidet in Jeans und Jackett, im lichtdurchfluteten Atrium. Jochen Zeitz, bis 2012 der Chef des Sportartikelherstellers Puma, sammelt seit zehn Jahren die Künstler des Kontinents: nicht einzelne Werke, sondern ganze Sammlungen.
„Die Kunst war nie für mich selbst und meine vier Wände gedacht“, kommentiert der 54-Jährige, der in Kenia eine Ranch besitzt und sich als Manager sowie mit einer eigenen Stiftung für nachhaltige Entwicklung engagiert. „Von Anfang an habe ich gesammelt, um die Werke eines Tages in einem Museum ausstellen zu können. Deswegen ist gar nicht wichtig, was mir persönlich gefällt – es muss nur relevant sein.“ Mit Mark Coetzee fand er einen engagierten Experten, der mit ihm die Kunstszene von Kairo bis Kapstadt, von Lagos bis Nairobi erkundete. „Wir betreten Neuland, das macht das Projekt so spannend.“
Mit der Eröffnung des „Zeitz MOCAA“ stehen nun auch die Galerien in Kapstadt im Rampenlicht. Viele haben ihre Räume im alten Industrieviertel Woodstock, das früher so etwas wie die Bronx war und heute wirkt wie SoHo.
Rund um die Old Biscuit Mill tummeln sich die Hipster beim Neighbourgoods Market, in Läden und Coffeshops. Nun streifen nicht nur Besucher auf der Suche nach Street-Art durch die Straßen, sondern auch Kunstliebhaber. „Plötzlich ist Kunst aus Afrika en vogue“, erzählt Ashleigh McLean von der Galerie Whatiftheworld, die unter anderem Athi-Patra Ruga und Mohau Modisakeng vertritt und schon seit zehn Jahren in Woodstock ihr Zuhause hat. Mit den Galerien Goodman und Stevenson, die gleich um die Ecke liegen, entwickelt sich hier ein Hotspot der Kunstwelt. Populär sind auch die „First Thursdays“: Immer am ersten Donnerstag des Monats gibt es in vielen Galerien der Innenstadt eine lange Nacht der Kunst.
Doch Südafrikas Kunstszene ist nicht aus dem Nichts entstanden. Um auch die Künstler der vergangenen Jahrzehnte und Jahrhunderte kennenzulernen, lohnt ein Besuch in der South African National Gallery. Oder noch besser im Ellerman House, der edelsten Unterkunft der Stadt hoch über der Bantry Bay. Paul Harris, der Besitzer, gewährt hier einen Einblick in seine Privatsammlung: Über 800 Gemälde von Südafrikas prominentesten Künstlern wie Gerard Sekoto, John Meyer, Jacob Hendrik Pierneef, Penny Siopis und Irma Stern hängen an den Wänden – angeblich ist die Kollektion mehr wert als das Gebäude in bester Lage.
Rund um den Pool gibt es einen Skulpturenpark, in einem versteckten Pavillon sind die Neuerwerbungen zu bestaunen. Zum Schlafen ist der Ort fast zu schade: Auch wer einmal eine Nacht im Museum verbringen will, sollte hier einchecken.