Jedes Jahr kürt Berlin seine Meisterköche, und auch in diesem Jahr hat es sich die 14-köpfige Jury nicht leicht gemacht. Aus 76 Kandidaten wurden 25 nominiert und in fünf Kategorien bewertet.
Die einen sind gerade heimatlos, die anderen so richtig in der Stadt angekommen oder gar im Universum angelangt. Alle eint, dass die Luft oben ganz schön dünn war. Die Rede ist von den Ausgezeichneten. Den Köchen und der Gastgeberin des Jahres in Berlin und in der Region, die die Jury der Berliner Meisterköche 2017 überzeugten.
„Die Besten waren besser denn je“, sagte Stefan Elfenbein, Juryvorsitzender der „Berliner Meisterköche“ bei der Vorstellung der Ausgezeichneten. „Wir mussten in allen Kategorien drei Wahlgänge durchführen.“ Den Regional-Oscar der Gastronomie erhält nur, wer die absolute Mehrheit der 14 Jury-Stimmen auf sich vereint. Zeit und besonders spitzfindige Geschmacksknospen waren also gefragt, um aus 76 Kandidaten 25 Nominierte zu bestimmen und diese in fünf Kategorien zu bewerten: Aufsteiger, Gastgeberin, Szenerestaurant, Berliner sowie Meisterkoch der Region 2017. Außerdem kürte die Jury den Gastronomischen Innovator 2017.
Berliner Meisterkoch 2017 wurde Sebastian Frank vom „Horváth“. Die Kochkunst des Küchenchefs und Besitzers verlockte Stefan Elfenbein zur Aussage, dass „das Gericht mit Rosen-Seitling das vielleicht schönste Gericht das ich in diesem Jahr gesehen habe“ gewesen sei. Nicht nur Schönheit, sondern vor allem die Emanzipation der traditionellen Küche aus Franks österreichischer Heimat von klassischen Darreichungsformen ist charakteristisch für den 35-Jährigen, dessen Restaurant seit 2015 zudem einen zweiten Michelin-Stern führt. Er löst Regeln auf und lässt Produkte in neuen Rollen als Gewürz, Konsistenzgeber, Aromaträger oder Hauptdarsteller auftreten. Zudem beschränkt Frank sich auf regionale Produkte oder auf die aus seiner Heimat. „Für mich ist es die größte Herausforderung, mich zum 100. Mal mit einer Sellerie auseinanderzusetzen und sie immer wieder in eine neue Kreation zu verwandeln.“ Sebastian Frank dankte der Jury: „Ich fühle mich als Wahlberliner nun noch ein Stück mehr angekommen.“
Sein Sommelier Jakob Petritsch fand ebenso Erwähnung in der Jury-Begründung. Er war, wie Ivo Ebert vom „einsunternull“, Steve Pietschmann vom „Restaurant am Steinplatz“ und Stefan Grill als Gastgeber 2017 nominiert. Doch es konnte nur eine geben: Ilona Scholl vom „Tulus Lotrek“. Sie wurde kurzerhand gleich zur „Gastgeberin des Universums“ gekürt: „Zur Gastgeberin ihres Universums im Tulus Lotrek“, wie ihr Begleiter anmerkte. „Schwabenland fluchtartig verlassen“, „in Spelunken gejobbt“ und Restaurant „Frau Mittenmang“ lauteten die Schlagworte bei der Vorstellung. In letztgenanntem hatte Ilona Scholl neben dem Studium gejobbt, später die Restaurantleitung übernommen. Dort traf sie auf ihren „Begleiter“, Lebenspartner und Meisterköche-Aufsteiger 2016 Maximilian Strohe, mit dem sie das „Tulus Lotrek“ gemeinsam betreibt. Die 35-Jährige erfreut ihre Gäste seit zwei Jahren im eigenen Lokal mit „fuchsteufelsfröhlicher“ Ansprache und gleichermaßen unaufdringlichem Kenntnisreichtum: „Kurz abdampfen lassen, dann ran an die Austern – haut rein!“
Stefan Grill war in der Gastgeber-Kategorie noch für Tim Raues „Sra Bua“ nominiert. Er wechselte zwischenzeitlich ins „Crackers“ von Heinz „Cookie“ Gindullis, in dessen „Data Kitchen“ die Präsentation stattfand.
Aufsteiger ohne eigenes Restaurant
„Wir haben gleich drei Kandidaten auf dem Weg verloren“, resümierte Stefan Elfenbein. Auch das sei ein Novum in der 21 Jahre währenden Geschichte der „Berliner Meisterköche“. Es wird gewechselt, und es werden kulinarische Marken dort gesetzt, wo kreative Arbeit in einem der 1.500 Berliner Restaurants geschätzt wird. Einer der „Abhandengekommenen“ ist Tilo Roth, der die als Szenerestaurant nominierte „Gaststätte am Ufer“ kürzlich verlassen hatte. Er wechselte ins „Rio Grande“ an der Oberbaumbrücke. Dort will er nun mit Menüs und neuen Gerichten „frischen Wind in die Abendkarte bringen“.
Christopher Kümper ist dagegen der erste Küchenchef, der ohne derzeit eigenes Restaurant als „Aufsteiger des Jahres 2017“ ausgezeichnet wird. Das „Schwein“ in Mitte hatte kurzfristig Ende August geschlossen. „Steigende Kosten und Gewerbemieten, Behördliches wie der Abbau von Restaurant-Außenflächen sowie Investoren und Hoteliers ohne Vision und Mut“ forderten in Berlin ihren Tribut, merkte Jury-Vorsitzender Elfenbein an. Das Restaurant, das ohnehin Expansionspläne gen Westen hegte, werde mit demselben Team, aber voraussichtlich neuem Namen an der Mommsen-, Ecke Schlüterstraße Ende Oktober eröffnen, verriet Christopher Kümper. Blutwurst-Dumpling im Dashi-Sud, in Kohlblätter Eingepacktes, Variationen vom Tatar. Deutsche Produkte, aber auf japanische Art zubereitet kennzeichnen Kümpers Küchen-Handschrift.
Bescheidenheit trotz großem Erfolg
Nach Stationen im Mehrsterne-Kosmos bei Nils Henkel, Daniel Boloud in New York und André Chiang in Singapur entwickelte der 31-Jährige als Küchenchef im „Schwein“ seinen eigenen Stil. Ganz ohne Schielen auf Punkte und Sterne: „Ich möchte keine Gastro machen, wo man mich abhakt wie beim Sightseeing, sondern einen Laden, in den man zwei oder drei Mal in der Woche kommen kann.“ Man müsse nicht auf einem Teller zeigen, was man alles könne. Dass er es kann, weiß Kümper. Das „Sechserlei vom Tier“, wie er es bei Chiang bereitete, mag er nicht nachahmen, „ein perfektes Stück“ sei ihm lieber.
Ob aus Niederösterreich, Schwaben, Nordrhein-Westfalen, „Urberliner“ mit Schlenkern durch die USA und Asien oder mit multinationaler Herkunft: Die Ausgezeichneten des Jahres 2017 eint, dass sie von überall her nach Berlin gekommen oder zurückgekehrt sind. „Früher haben sich Talente den Wohnort nach ihrem Wunscharbeitgeber ausgesucht. Heute ist es genau anders herum: Als erstes fällt die Entscheidung für die Stadt, in der man leben möchte, und da begeistert Berlin im internationalen Vergleich unglaublich viele Menschen durch seine kulturelle wie kulinarische Vielfalt“, fasste Stefan Franzke, Geschäftsführer von Berlin Partner, zusammen.
Die Berliner Wirtschaftsförderer zeichnen mit den „Meisterköchen“ seit 1997 – bislang 129 – wegweisende Köche und Gastgeber aus und entsenden sie, beispielsweise in „Berlin Labs“, als kulinarische Botschafter in Partnerstädte und den Rest der Welt.
Bei den „Meisterköchen“ findet das Umland ebenso Beachtung wie die Stadt. René Klages, Küchenchef im „17fuffzig“ in der „Bleiche“ in Burg, wurde zum Meisterkoch der Region 2017 gekürt. Der 29-Jährige sei „mit einem Paukenschlag in der Lausitz aufgeschlagen“, so Stefan Elfenbein. Schon im „Le Noir“ in Saarbrücken habe er für Aufsehen gesorgt. „Beinah wissenschaftlich akribisch lotet er Geheimnisse und Ähnlichkeiten der japanischen und französischen Küche aus und kreiert neu – ein Schuss Alchemie aus dem Spreewald kommt nun noch dazu“, begründete die Jury die Entscheidung. „Ich freue mich sehr“, dankte René Klages. Brandenburg sei Zufall gewesen. Nirgendwo sonst habe er ein Haus gefunden, in dem man an ihn geglaubt hätte. Das wird sich gewiss bald ändern und viele Feinschmecker werden sich nach dieser offiziellen Empfehlung auf den Weg in den Spreewald machen.
Bescheidenheit gehörte auch bei Ben Pommer und Katharina Kurz vom „Brło Brwhouse“ zum guten Ton. Küchenchef und Geschäftsführerin kamen für das Betreiber- und Gründungsteam, zu dem auch Braumeister Michael Lembke und Christian Laase zählen. Im Januar wurden die Gypsy Brauer im „Brło Brwhouse“ mit Brauerei und Craft Beer, mit gemüsefokussierter neuzeitlicher Küche, geradliniger Architektur in Übersee-Containern und Biergarten am Gleisdreieck-Park endgültig sesshaft. Und bekannt.
„Wir freuen uns, dass wir 1.500 bis 2.000 Gäste in der Woche glücklich machen, ohne dass wir groß ein Gourmetrestaurant wären“, sagte Ben Pommer. Wer allerdings Dry Aged Mangalitza Schwein aus dem Smoker mit Honig-Whiskey-Barbecue-Sauce und „German Kimchi“ aus mit Ingwer und Kümmel eingelegtem Spitzkohl zu Pale Ale, Porter oder Matcha Weisse genossen hat, weiß rasch, womit sich das „Brło“ trotz kompliziertem Namen von traditionellen Schankstuben mit Eisbein und Boulette abhebt.
Lieber in der Küche als im Rampenlicht
Das urdeutsche Produkt Bier brauchte einen Schlenker über amerikanische Craft-Beer-Brauer, um das Handwerk in Deutschland neu zu beleben. The Duc Ngo wiederum brachte den Berlinern als „quasi Urberliner und dennoch Immigrant“ mit vietnamesisch-chinesischen Wurzeln als einer der ersten Gastronomen in der Stadt Sushi, Ramen, Pho und Fisch nahe. Letzter Streich und elfte Eröffnung seit 1999 war die des „Funky Fisch“ vor einigen Wochen. „Man sieht ihn selten in der Öffentlichkeit“, sagte Stefan Elfenbein. Man findet den Sushi-Koch mit Japanologie-Studium vielmehr in seinen Lokalen. Ihm gehören in der Kantstraße das „Kuchi“, „Madame Ngo“, das „893 Ryotei“ sowie das „Cocolo Ramen“ in Mitte und Kreuzberg. Der 43-Jährige, nunmehrige Gastronomische Innovator 2017, sagte: „Ich stehe in Kochkleidung hier, weil ich mich immer noch als Koch sehe und nicht als Gastronom.“ Sicher nicht die schlechteste Voraussetzung, um weiterhin langfristig wirksame Impulse in die Stadt zu geben.