Seit der Clinton-Niederlage in den USA wird der Einfluss von „Social Media“ in der Politik kontrovers diskutiert. Die Konzerne hinter diesen Plattformen waschen ihre Hände in Unschuld: Ihre Dienste seien objektiv. Doch wie groß ist der Einfluss neuer Medien auf politische Prozesse?
Deutschland vor der Bundestagswahl: Kanzlerin Angela Merkel und SPD-Kandidat Martin Schulz lassen sich im YouTube-Live-Stream ausfragen. Im Netz schürt eine gefälschte Polizei-Anweisung den Hass gegen Flüchtlinge. Journalisten zitieren Politiker nicht mehr nach deren O-Ton, sondern nach deren „Tweets“. Wo man sich auch einloggt: Es herrscht Online-Wahlkampf.
Wie erfolgreich die einzelnen Kandidaten bei ihrem „Social-Marketing“ sind, ist durchaus messbar. So untersuchte im Frühjahr die PR Agentur territory webguerillas die öffentlichen Facebook-Profile von Deutschlands Top-Politikern. Ihr schmunzelndes Urteil: Die eigentlich so kapitalismusferne Sahra Wagenknecht sichert sich den Sieg „mit links“. SPD-Schulz landet abgeschlagen auf dem letzten Platz – einzig in Bezug auf „Viralität“, also die Geschwindigkeit, mit der Schulz’ Botschaften im Netz verteilt werden, hinkt sein Genosse Frank-Walter Steinmeier noch weiter hinterher. Aber als Bundespräsident kann er sich das erlauben.
Ein Schelm, wer denkt, dass sich das SPD-geführte Justizministerium aus diesem Grund so säbelrasselnd mit dem kalifornischen Zeitfresser Facebook angelegt hat! Jedenfalls droht das neue „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ Betreibern sozialer Netzwerke künftig mit deftigen Strafen, wenn illegale Inhalte nicht schnell genug zensiert werden. Durchgeboxt wurde es unter der Prämisse, Falschmeldungen in Bezug auf Flüchtlingsthemen bekämpfen zu wollen. Kritiker sehen darin aber auch einen hilflosen Versuch des Staates, der politischen Macht über diese neue Form sowohl von Unterhaltung also auch von „wild gewordenen“ Informationen wieder Herr zu werden.
Neue Melde-Funktion
Immerhin: Die strengen Regeln für klassische Medien, wie beispielsweise Urheberrechte, Jugendschutz oder das Verbot von übler Nachrede und Volksverhetzung, galten bislang nicht für die Betreiber von Social-Media-Netzwerken, sondern einzig für deren Nutzer. Doch die schiere Flut an problematischen Inhalten überfordert Polizei und Staatsanwaltschaft; nur sporadisch kommt es bei Übeltätern zu Hausdurchsuchungen.
Nun hat der Druck aus Deutschland und der Europäischen Union zur Einführung neuer „Melde“-Funktionen geführt. Mit ihnen können Nutzer fragwürdige Inhalte schneller als solche markieren. Die Betreiber müssen diese dann überprüfen und gegebenenfalls von der Seite nehmen – zeitnah. In Berlin betreibt Facebook deswegen ein Lösch-Kommando mit 600 Angestellten, weitere 500 sollen bald an einem neuen Standort in Essen dazukommen.
Aber nicht nur Inhalte sind ein Problem, sondern auch die User selbst – vor allem, wenn sie sich von Zahlen beeindrucken lassen, die nichts mit der Wahrheit zu tun haben. Eine halbe Million Klicks auf YouTube, ein Populist mit Tausenden von Followern, ein Twitter-Bild, das anscheinend jeder teilt: So viele Leute mit derselben Meinung können doch nicht irren! Pustekuchen: All diese tollen Zahlen lassen sich manipulieren. Vor wenigen Jahren noch geschah dies meist unter der Hand. Cyberkriminelle legten Hunderte von fingierten ferngesteuerten Profilen an oder heuerten gleich Billiglohnarbeiter in asiatischen Klick-„Farmen“ an.
Mittlerweile haben die Konzerne reagiert – und bieten ähnliche Funktionen kurzerhand selbst an: Follower gegen Cash. Das ehrwürdige Online-Prinzip der „Schwarmintelligenz“, wenn viele Köpfe ihr Wissen zusammenführen wie etwa bei Wikipedia, wurde so auf den Kopf gestellt. Der Schwarm wird heute einfach „angefüttert“. Die Intelligenz bleibt auf der Strecke.
Durchschnittlich rund 16 Dollar verdient Facebook an jedem Kunden pro Jahr. Das Geschäft basiert wie bei allen vergleichbaren Services auf zielgeführter Werbung: Das Verhalten von Nutzern wird analysiert, um Werbung möglichst passend einblenden zu können. „Psychometrisch“ nennt man diese neue Art von Kundendaten; auf Deutsch etwa „Seelen-vermessend“. Wer auf einer Seite wie Facebook nur oft genug unterwegs ist und so seine Spuren hinterlässt, soll angeblich von einem Algorithmus besser eingeschätzt werden, als dies der eigene Ehepartner vermag. Und: Die Daten verschiedener Anbieter sind kombinierbar, um noch genauere Raster – etwa über das Wahlverhalten – anzulegen.
Einige Parteien, vor allem die Grünen und die FDP, haben sich bereits im Vorfeld gegen dieses „Mikrotargeting“ ausgesprochen. Die CDU kaufte hingegen die entsprechenden Daten vom Adresslieferanten Deutsche Post Direkt – auf „Straßenzug-Ebene“, wie die Berliner Zeitung berichtete.
Aber nicht nur das Wahlgeheimnis ist in Gefahr, es findet auch eine schleichende Veränderung der Realität statt. Durch das gleichberechtigte Nebeneinander von journalistischen Inhalten, privaten Meinungen und Meldungen aus unseriösen Quellen verschwimmen die Grenzen zwischen Wirklichkeit, Werbung und Fake News immer weiter. Zusätzlich ermöglicht die Anonymität des Webs den Einsatz sogenannter „Bots“: Das sind automatisierte Profile, die sich bloß als Menschen ausgeben – rund ein Fünftel aller Twitter-Beiträge zum US-Wahlkampf im vergangenen Jahr sollen laut einer Studie der Universität Oxford von solchen Zombies gekommen sein.
Ursprünglich wollte die AfD auch auf diese Technik setzen, im Oktober vergangenen Jahres bestätigte Alice Weidel dies dem Spiegel. Mittlerweile habe man den Plan jedoch wieder fallen lassen. Die Rechtspopulisten liegen ohnehin gut im Rennen. Auf Facebook alleine versammeln sie mehr Follower als SPD und CDU zusammen.
Generell sei die Situation in Deutschland noch vergleichsweise gut, sagt die erwähnte Oxford-Studie. Die Zahl effektiver Bots, die etwa während der Landtagswahlen im Frühjahr Stimmung machten, blieb überschaubar. Allerdings sieht die Studie in Deutschland ganz andere Gefahren. Problematischer seien hierzulande immer noch schlichte Falschmeldungen, die (menschliche) Individuen ins Netz stellen.
Bot-Zahl bisher überschaubar
Denn Social Media florieren eben auch in dem gesellschaftlichen Vakuum, das die klassischen Medien hinterlassen haben. 2016 sollen Google und Facebook zusammen ein Fünftel des globalen Werbebudgets eingeheimst haben. Dieses Geld fehlt natürlich bei den Redaktionen – die aber dummerweise die Inhalte produzieren müssen, von deren Verbreitung Google und Co. leben. Ein Teufelskreis entsteht: Je weniger Geld für journalistische Arbeit zur Verfügung steht, umso mehr sind Journalisten selbst gezwungen, nur noch über Themen zu schreiben, die sich googeln lassen oder die man via Facebook oder Twitter aufgestöbert hat. Kaum ein klassisches Medienunternehmen hat sein Geschäftsmodell rechtzeitig umgestellt. Folglich leidet die Branche unter Sparzwängen – und die Berichterstattung leidet mit. Ein Phänomen kommt hinzu: Für durch die Straßen ziehende Rechte und polternde Internetkommentatoren, die oft und gerne „Lügenpresse“ schreien, scheint der Nachrichtengehalt ohnehin ziemlich nebensächlich.
Spielen Social Media denn nun eine Rolle im Wahlkampf? Ja, auf alle Fälle – und das dummerweise sogar im persönlichen Bereich. Denn immer öfter kommt ein in Frankreich und den USA zu beobachtendes Phänomen auch bei den Bundesbürgern an. Es gibt einen guten Grund, wieso man nicht mit jedem Verwandten, Bekannten oder Kollegen über die eigene Einstellung zu politischen Themen und Parteien redet. Doch wer regelmäßig in sozialen Netzwerken unterwegs ist, kann höchstwahrscheinlich nicht ewig widerstehen – und wird irgendwann etwas „liken“, was ihm das eigene Netzwerk übel nehmen wird.