Der Job für junge Polizisten im Saarland ist nicht leicht: Auf vielen Wachen fehlt Personal, trotz der vielbeschworenen Neueinstellungen durch Innenminister Bouillon. Wie sieht der Alltag während einer Schicht aus? FORUM war nachts auf Streife mit der Homburger Polizei.
Es ist kurz nach 19 Uhr, als Nergiz G. mit ihrem Partner zum ersten Mal ins Auto springen muss, seit ihre Schicht eine halbe Stunde zuvor begonnen hat. Die beiden Polizeibeamten arbeiten auf der Wache der Polizeiinspektion Homburg und haben an diesem Samstagabend eine zwölfstündige Nachtschicht vor sich. Über den Notruf ist ein Unfall mit einem Wildtier auf der Autobahn eingegangen, und so macht sich das Einsatzteam mit Blaulicht und Sirene auf den Weg zur Unfallstelle kurz vor St. Ingbert.
Während ihr Kollege im Dunkeln das tote Tier von der Straße fischen muss, nimmt die 27-jährige Polizistin die Personalien der Anrufer auf. Kaum im Einsatzwagen angekommen, geht eine Meldung der Zentrale ein. Das Team muss sofort in die Homburger Innenstadt: Eine Schlägerei wurde gemeldet, und die beiden sollen die Kollegen unterstützen. Glücklicherweise ist das Team der Tagesschicht noch im Einsatz, so hängt es nicht an zwei Polizisten, die sich gerade an der äußersten Grenze des Zuständigkeitsgebietes aufhalten.
Nergiz G. beschleunigt wieder, und so geht es erneut mit Blaulicht und Sirene zum nächsten Einsatz. Als das Einsatzteam wenig später in der Innenstadt eintrifft, haben Kollegen die Schlägerei bereits aufgelöst.
Meist verbale Beleidigungen
Beim Anblick der zierlichen Polizistin stellt sich ohnehin die Frage, wie sie sich im Falle eines Angriffs hätte wehren können. Hat eine Frau, besonders wenn sie körperlich derart unterlegen ist, überhaupt eine Chance? Nergiz G. überlegt kurz. „In der dreijährigen Ausbildung zur Polizistin werden wir nicht nur theoretisch, sondern auch körperlich ausgebildet. Hinzu kommen all die Hilfsmittel, die jeder Polizist, egal ob männlich oder weiblich, am Gürtel trägt: Waffe, Schlagstock, Pfefferspray.“ Würde sie aber tatsächlich von einem oder mehreren Personen angegriffen, so hätte sie körperlich wenig entgegenzusetzen, findet sie. Allerdings könnte auch einem männlichen Polizisten ein Angreifer überlegen sein, und so verspürt sie in dieser Hinsicht keinen Nachteil darin, eine Frau zu sein. „Wir werden schon auch angegriffen“, erklärt sie. Allerdings handele es sich zum Großteil um verbale Beleidigungen, weniger um Handgreiflichkeiten. Und bisher habe sie sich noch immer wehren können, ihre Waffe musste sie bisher dabei zum Glück noch nie benutzen.
An diesem Abend muss sich Nergiz G. nicht verteidigen, und nachdem sich die Situation in der Innenstadt geklärt hat, fahren die beiden Streife. Bestimmte Orte werden stichprobenartig kontrolliert, das Team kennt die „üblichen Verdächtigen“. Überall können sie nun mal nicht zur gleichen Zeit sein, schließlich erstreckt sich das Einsatzgebiet für das Team und die anderen Kollegen der Nachtschicht von Jägersburg bis Einöd, 20 Kilometer von Nord nach Süd. An manchen Tagen sogar noch weiter.
Manchmal ist das eine zusätzliche Belastungsprobe für beide, wie die beiden Polizisten schildern. Doch ihre Streife wird jäh unterbrochen. Von der Wache wird ein vermeintlicher Einbruch gemeldet. Während die beiden Bewohner vor der Tür warten, kontrollieren Nergiz G. und ihr Partner mit gezückter Waffe die Wohnung, denn die Haustür stand sperrangelweit offen, als die Anwohner nach Hause kamen. Dazwischen beruhigen sie das Paar, das sich nicht mehr in die eigene Wohnung traut. Am Ende war es wohl ein Fehlalarm, in der Wohnung war alles unverändert und die Haustür vor dem Abschließen scheinbar nicht richtig zugezogen worden.
Von dort aus können sich die beiden gleich um eine Ruhestörung kümmern, bei der sich eine Gruppe von Studenten wohl etwas zu laut verhalten hat. Die Personen sind nur wenige Jahre jünger als die beiden Polizisten selbst, und obwohl von außen von einer Lärmbelästigung nichts zu hören ist, gibt es einen kurzen Kontrollbesuch in der WG-Küche – das dürfte auch die Nachbarn zufrieden stimmen.
Da kein weiterer Einsatz ansteht, geht es erst mal zur Wache zurück. Die Zeit bis zum nächsten Einsatz nutzen sie, um die andere Seite dieses Berufes zu erledigen. „Der Löwenanteil ist die Schreibtischarbeit“, erklärt Nergiz G. und macht sich in ihrem kleinen Büro gleich an die Arbeit. Jeder Fall, der draußen bearbeitet wird, wird zurück auf der Wache genauestens im System erfasst. Da kommt in einer Nacht wie dieser so einiges an Schreibarbeit zusammen.
Keine Situation ist wie die andere
Langweilig wird es Nergiz G. jedoch nie. „Es gefällt mir, dass man immer etwas Neues erlebt und in Situationen kommt, die man nicht erlebt, wenn man den ganzen Tag nur im Büro sitzt. Das ist sehr fordernd, denn keine Situation ist wie die andere“, erklärt sie. Das erfordert auch, dass sich die junge Polizistin auf alle möglichen Situationen einstellen und Beleidigungen einstecken kann, freundlich und mitfühlend ist, wenn es darauf ankommt, und gleichzeitig immer eine gewisse Autorität ausstrahlt.
Im allgemein sehr jungen Team fühlte sie sich von Anfang an gut aufgenommen, der Polizeiberuf war für sie schon seit der Schulzeit ein Wunschberuf. Mit Vorurteilen gerade gegenüber ihrem Geschlecht hat sie selten zu tun, da habe sich das Bild allgemein gewandelt, findet sie. „Es gibt auch Situationen, in denen man durchaus Vorteile hat, wenn man eine Frau ist“, findet sie. Etwa dann, wenn eine Frau Opfer einer Gewalttat wurde und es wichtig ist, einen Zugang zur jeweiligen Person zu bekommen. Begeht eine Frau übrigens beispielsweise einen Ladendiebstahl und muss durchsucht werden, so ist das nur durch eine Frau möglich, es gibt also Situationen, bei denen eine Kommissarin sogar dabei sein muss.
Bei Männern kommt es schon eher mal auf das Gegenüber an, ob sie sich von einer Frau etwas sagen lassen oder nicht. Da sorgt ihr Aussehen, das von einer türkisch-stämmigen Herkunft seitens ihres Vaters zeugt, schon eher für Gesprächsstoff und nicht zuletzt auch mal für Beleidigungen. In anderen Situationen hilft es hingegen, wieder Zugang zu finden.
Aber auch das gehört für Nergiz G. zum Arbeitsalltag. Wichtig ist für sie hingegen das gegenseitige Vertrauen im Team und das gute Verhältnis untereinander. Da werden dann auch Themen besprochen, die verarbeitet werden müssen. Bei Dingen, die besonders nahegehen, können die Kommissare zudem die Seelsorge in Anspruch nehmen, etwa nach dem Vorfall im Kombibad im letzten Jahr, als ein vierjähriger Junge leblos im Wasser aufgefunden wurde. Dass Nergiz G. auch etwas zu Gesicht bekommrn kann, das nicht schön ist, ist ihr bewusst.
Während dieser Samstagnacht bleibt es zum Glück bei ein paar Kleinigkeiten. Was passiert noch? Eine vermisste Jugendliche taucht wieder auf, die beiden Zelleninsassen werden von Zeit zu Zeit von mindestens drei Kommissaren gleichzeitig zur Toilette geführt, ein toter Hase wird von der Straße entfernt, die Polizei wird wegen eines angeblichen Feuerteufels gerufen, der vor Ort nicht auffindbar ist, ein umgefallenes Straßenschild wird wieder aufgerichtet, ein angetrunkener Mann randaliert direkt vor der Wache, und zwei Fahrzeuge werden kontrolliert.
Erst nachts um drei wird es langsam wieder ruhig auf der Wache in Homburg. Nergiz G. widmet sich wieder der Schreibtischarbeit.