Das Meer liefert Energie, Rohstoffe und Nahrung. Neue Ansätze zeigen, wie vielfältig sein Potenzial ist. Doch der Mensch nutzt es oft weder schlau noch nachhaltig.
Das Meer hat uns Menschen viel zu bieten: Bodenschätze, wichtige Rohstoffe, Energie über Wasserturbinen und Windräder etwa und nicht zuletzt Nahrung. Seit der Mensch sich Zugangswege zu den marinen Ressourcen erschlossen hat, will er mehr davon. Immer neue Ideen und Techniken denkt er sich aus, um das Potenzial der Ozeane auszuschöpfen.
Auf der Suche nach Energiequellen rückten vor mehr als 100 Jahren Erdgas und Erdöl in den Fokus des Interesses. Jetzt geht es auch um Erze und metallhaltige Mineralien. Denn ohne verschiedene seltene Metalle funktionieren Smartphones, Flachbildschirme und Hybridautos nicht. Meeresforscher versuchen daher rauszufinden, ob und wie Manganknollen, Kobaltkrusten, Massivsulfide und andere mineralische Rohstoffe in bis zu 6.500 Metern Meerestiefe abbaubar wären. Manganknollen etwa enthalten Mangan, Nickel und einige andere wirtschaftsstrategische Metalle. Sie sehen aus wie ein verkohlter Blumenkohl und bedecken riesige Flächen des Meeresbodens im Pazifik und im Indischen Ozean. Seit 2006 erforschen deutsche Experten zwei Gebiete im Pazifik. Sie haben eine Fläche von 75.000 Quadratmetern, sind also etwas größer als Bayern. Die Menge an Manganknollen in diesen Gebieten wird auf rund eine Milliarde Tonnen geschätzt. Bereits ein kleiner Teil davon würde den nationalen Bedarf über Jahrzehnte decken.
Die Erforschung des Rohstofflagers befindet sich allerdings erst in der Anfangsphase und wirft noch Fragen auf. Wie können die Metalle beispielsweise abgebaut werden, ohne dabei zu nachhaltigen Umweltschäden zu führen? Und wer darf sie fördern? Der industrielle Abbau – eine neue Idee, bei der noch nicht klar ist, ob und wann sie starten kann.
Aber nicht nur die Europäer forschen, die Asiaten etwa haben ihrerseits ein besonderes Interesse: Methanhydrat. Hydrate kommen vor allem in 200-Meilen-Zonen der angrenzenden Küstenstaaten vor. Japan, Indien, Südkorea und China investieren stark, um den Abbau im Meer durchzusetzen. Denn aus Methanhydrat lässt sich Erdgas gewinnen. Gerade Japan und Südkorea, weltweit zwei der größten Nettogasimporteure, hoffen darauf, sich dadurch unabhängiger von russischen Einfuhren zu machen. Umweltforscher warnen allerdings vor einer steigenden Unfallgefahr, je tiefer die Quellen im Meer und unter dem Grund liegen.
Offshore-Windparks vor Deutschlands Küsten
Neben Bodenschätzen und Rohstoffen bergen die Ozeane auch verschiedene Möglichkeiten zur Energiegewinnung. An Deutschlands Küsten etwa entstehen zahlreiche Offshore-Windparks. Das Ziel: Der Anteil an alternativen Quellen soll steigen. Im Offshore-Windpark DanTysk, 90 Kilometer vor der Küste Schleswig-Holsteins, produzieren 80 Windräder jährlich fast 1,3 Milliarden Kilowattstunden klimafreundlichen Strom von der deutschen Nordsee. 400.000 Haushalte können dadurch ein Jahr lang mit Elektrizität versorgt werden. Bevor der Park in Betrieb ging, wurde zwei Jahre lang seine Umweltverträglichkeit untersucht. Die Meeresumwelt, Fische, Kleinstlebewesen, Vögel und marine Säugetiere sollen nicht gefährdet werden.
Auch mit Hilfe von Turbinen und Generatoren wird elektrischer Strom gewonnen, angetrieben durch Ebbe und Flut. Strömungskraftwerke beispielsweise funktionieren ähnlich wie Windkraftanlagen unter Wasser. Der Unterschied: Statt des Windes, also der Strömung der Luft, wird die Gezeitenströmung des Wassers genutzt. 2003 wurde das erste Meeresströmungskraftwerk der Welt vor der Küste Großbritanniens in Betrieb genommen. Ein deutsch-britisches Pilotprojekt, das den Namen „Seaflow“ trägt. Im Vergleich mit anderen Optionen, wie einem Gezeitenkraftwerk oder einem Wellenkraftwerk, kann das Strömungskraftwerk eine relativ konstante Energie liefern und ist wetterunabhängig.
Ein Gezeitenkraftwerk steht beispielsweise in St. Malo in der Normandie. Durch einen 750 Meter langen Damm wird die Bucht vom Meer abgetrennt. Das Wasser kann nur durch 24 Rohrturbinen auf die andere Seite gelangen. Beim Einlaufen (Flut) und Auslaufen (Ebbe) des Wassers erzeugen die Turbinen Strom. Solche Gezeitenkraftwerke sind allerdings kaum wirtschaftlich. Zum Betreiben benötigt man mindestens einen Tidenhub, also einen Unterschied von Scheitelpegel und unterstem Pegelstand, von fünf Metern und eine geeignete Bucht. Auf der ganzen Welt existieren nur wenige Dutzend solcher Stellen. Erzeugen ließen sich so zwölf Gigawatt Strom, dadurch könnten gerade mal zehn Kohlekraftwerke ersetzt werden. Dazu kommt, dass die Energie beim Strömungskraftwerk nicht kontinuierlich zur Verfügung steht.
Auch beim Wellenkraftwerk sieht es nicht viel besser aus, denn dessen Energiegewinn ist stark wetterabhängig. 2011 ging an der Küste der baskischen Kleinstadt Mutriku das erste kommerziell betriebene Wellenkraftwerk ans Netz. Es funktioniert über eine schwingende Wassersäule. In einer Art Kamin wird durch das ständige Auf und Ab des Wassers eine Luftsäule angetrieben. Bei ansteigendem Wasser wird die Luft nach oben durch die Turbine gedrückt – ähnlich wie bei einer Luftpumpe. Sinkt das Wasser ab, wird die Luft durch die Turbine angesogen. In beiden Fällen dreht die Turbine in dieselbe Richtung. Das baskische Kraftwerk erzeugt allerdings weniger Strom als erhofft: Mit 300 Kilowatt können nur etwa 250 Haushalte versorgt werden. Im Vergleich zu Wind, Sonne und Biomasse steht die Energienutzung aus dem Meer folglich noch am Anfang. Experten glauben dennoch, dass in der Kombination unterschiedlicher Meereskraftwerke ein wichtiger Pfeiler für erneuerbare Energien entstehen kann.
14 Kilogramm Fisch pro Jahr isst jeder Deutsche
Aber auch lebende Ressourcen des Meeres sind von großer Bedeutung für den Menschen. Jährlich werden über 100 Millionen Tonnen Algen, Fische, Krebse und andere Organismen gefangen und kultiviert. Über drei Milliarden Menschen beziehen mindestens 20 Prozent ihres Bedarfs an tierischem Eiweiß aus Fisch. 14 Kilogramm Fisch isst der Deutsche im Durchschnitt pro Jahr. Da die Weltbevölkerung bis 2050 auf fast zehn Milliarden Menschen ansteigen soll, wird in Zukunft noch mehr benötigt. Doch die Gier nach Fisch hat dazu geführt, dass innerhalb weniger Jahrzehnte die Bestände der wichtigsten Speise- und Raubfische nahezu vollständig geplündert sind. Thunfisch, Schwertfisch und Hai beispielsweise sind in ihrer Masse um 90 Prozent zurückgegangen. Laut der Weltgesundheitsorganisation sind über die Hälfte aller Fischbestände bis an die biologische Grenze befischt, 30 Prozent sind schon völlig erschöpft.
Aber nicht nur die Überfischung der Meere sondern auch die Praktiken geben zu denken. Immer größere Fangschiffe mit größeren Motoren rücken auf die Ozeane aus, um dort ihre riesigen Netze auszuwerfen. Bis zu 2.000 Meter in die Tiefsee hinein können sie mittlerweile hinabgelassen werden. Werden sie über den Grund geschleppt, geraten auch Meerestiere wie Krabben oder Seesterne hinein. Was nicht ins Netz gerät, etwa festsitzende Muscheln, wird durch die Rollen oder Metallketten zerstört. Bis zu dreimal jährlich werden weite Bereiche der Nordsee auf diese Weise umgegraben. Was von seinem Fang verwendet kann, sieht der Fischer erst, wenn es bereits im Netz ist. So werden über feine Netze beispielsweise Jungfische mitgefangen, ohne dass es dafür Verwertung gibt. Wie viel sogenannter Beifang wieder über Bord geht, ist auch aufgrund der lückenhaften und zum Teil falschen Informationen der Länder nicht ganz klar. Wissenschaftler schätzen, dass im Schnitt ein Drittel des Fangs betroffen ist.
Werden die Fischbestände nicht stärker geschont, wird laut des UN-Umweltprogramms Unep spätestens 2050 keine kommerzielle Fischerei mehr möglich sein. Staaten wie Neuseeland und Australien haben daher Schutzgebiete eingerichtet, in denen die Tiefsee nicht befischt oder zumindest nicht mit Grundschleppnetzen bearbeitet werden darf. Die Europäische Union hat eine Fischereireform verabschiedet, durch die der Beifang von 30 auf fünf Prozent gesenkt werden soll. Zudem gibt es Fangquoten für nachhaltiges Fischen.
Neben dem Fisch birgt das Meer aber auch anderes, lebendiges Potenzial. So werden aus Mikroalgen beispielsweise Nahrungsergänzungsmittel gewonnen. Es gibt Naturkosmetik mit Tang, Enzyme zur Herstellung von Textilfarben, Züchtung von Knorpelzellen mit Quallen-Kollagen, antimikrobielle Beschichtungen auf Hüftprothesen und Energiegewinnung mit Wasserstoff aus Algen. Das Potenzial der Meere scheint nahezu unendlich.
Das Meer ist Kloake und Müllbehältnis
Allerdings ist der Mensch weit davon entfernt es clever zu nutzen, sagt Dr. Levent Piker, geschäftsführender Gesellschafter von oceanBASIS. „Wie sollte eine Quelle, die gleichzeitig Kloake und größtes Müllbehältnis der Menschheit ist, jemals zuverlässige Lieferantin für saubere Nahrung und Medikamente sein? Wie kann man sich der marinen Ökosysteme und ihrer ‚Services‘ bedienen, wenn die Menschen am Austilgen von Arten mitwirken, von denen man einen Großteil – wenn nicht die meisten – noch gar nicht kennt?“, klagt er an. Die Verseuchung der Meere mit Öl, Plastikmüll und radioaktiven Abfällen, wirken sich laut Piker auf den Wert der biologischen Ressourcen und auf ihr Nutzungspotenzial aus. Hinzu kämen Belastungen, deren Folgen noch nicht abschätzbar wären – der Tiefseebergebau und die Freisetzung von Methan etwa.
Doch es gibt Hoffnung: In den vergangenen Jahren wurden bereits ethische, juristische und politische Prinzipien für einen besseren Weg erarbeitet. Auch konkrete Handlungs- und Zielvorgaben gebe es bereits, sagt Piker. Zum Beispiel die „Sustainable Developement Goals“, Ziele der Vereinten Nationen mit deren Hilfe eine nachhaltige Entwicklung ökonomisch, sozial und ökologisch erreicht werden soll. Anfang 2016 sind sie in Kraft getreten, Laufzeit bis 2030. Dringliche Aufgabe sei es nun, so Piker, diese Ziele national und international über Politik, Administration und Aufklärung umzusetzen.