Das Meer birgt noch viele Geheimnisse. Dazu gehören auch die größtenteils unerforschten Seeberge. Ihr Ökosystem ist einzigartig und artenreich – aber auch bedroht.
Mindestens 200.000 Berge mit einer Höhe von mehr als 1.000 Metern sind es, die sich vor menschlichen Blicken geschützt unter der Oberfläche der Weltmeere erheben, größtenteils an den Rändern der Kontinentalplatten. Die höchsten Gipfel dieser Seeberge vulkanischen oder tektonischen Ursprungs in den Tiefsee-Ebenen der Ozeane, im englischen Fachausdruck Seamounts genannt, können es locker mit dem Matterhorn aufnehmen, das immerhin 4.750 Meter hoch ist. Nur ein Bruchteil davon, etwa drei Prozent, sind bislang erforscht worden. Unterseeische Berge weisen häufig riesige Plateaus auf, Tausende Meter abfallende Kliffe und steile Hänge. Es sind zerklüftete Landschaften mit reicher Fauna, in deren Gärten aus Schwämmen und Korallen sich unvergleichlich viele Arten von Meeresbewohnern angesiedelt haben.
„Diese Seeberge sind ein bisschen wie Oasen“, erklärt die renommierte Meeresforscherin und Projektmanagerin der Weltnaturschutzunion IUCN Aurelie Spadone. „Das Meer ist zwar nicht wie eine Wüste, aber an diesen Bergen entwickeln sich ganz eigene, oft sehr artenreiche Ökosysteme.“ Was auf die speziellen, hier vorherrschenden Strömungsverhältnisse zurückgeführt werden kann, die dadurch entstehen, dass die Riesen im Meer wie mächtige, natürliche Hindernisse wirken. Die Strömung befördert aus der Tiefsee Nährstoffe nach oben, die sich über dem Seeberg in einer Art Wirbel mit einem Überangebot an Plankton, Algen oder Nesseltieren konzentrieren. Das wiederum lockt viele Arten von Meeresbewohnern an, von Krustentieren, Muscheln und Seesternen bis hin zu räuberischen Fischen wie Haien, Schwertfischen oder Tunfischen.
Manche seltene Lebewesen sind nur isoliert an Seebergen anzutreffen. Andere Meeresbewohner nutzen die Bergriesen als Rastplatz oder zur Laichablage. „Seeberge sind besonders interessant, weil sie Fels, Geröll, Algen und oft Seetang haben und sich dort ganz andere Lebensgemeinschaften bilden als am Meeresboden, der meist mit Schlick bedeckt ist“, erklärt der Meeresbiologe Bernd Christiansen von der Universität Hamburg. Ganz ähnlich sieht das Hauke Reuter vom Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung in Bremen: „In solch entlegenen Ökosystemen gibt es oft einen ganz eigenen Artenpool. Der Austausch mit anderen Ökosystemen ist sehr begrenzt. Da kann man zu grundlegenden Erkenntnissen kommen, etwa, wie spezifische Artengemeinschaften und Nahrungsnetze funktionieren. Wenn der Berg sehr isoliert ist, kann man womöglich einmalige evolutionäre Entwicklungen dokumentieren.“
Manche Seeberge liegen in so unwirtlichen Gegenden, dass Expeditionen dorthin kaum möglich sind. Andere, deren Gipfel nicht zu weit unter dem Meeresspiegel liegen, könnten für die Fischerei oder den Tiefseebergbau sehr interessant werden. Inhaber kommerzieller Hochseeflotten haben längst erkannt, dass dort reiche Fischgründe warten. Ihre Schleppnetze könnten zu einer Bedrohung oder gar Zerstörung der lokalen Ökosysteme werden. „In diesen Ökosystemen gibt es Fische, die erst mit 30, 40 Jahren fortpflanzungsfähig sind. Und es gibt Korallenbäume, die in 1.000 Jahren nur eineinhalb Meter groß geworden sind“, merkt Aurelie Spadone an. Diese langen Entwicklungsabläufe hätten zur Folge, dass eine Erholung der Bestände praktisch unmöglich sei.
Bedrohung durch tiefseebergbau
Der Lebensraum der Seeberge könnte zusätzlich auch vom Tiefseebergbau bedroht werden, weil bei vielen Bergen mit einem Plateau in erschließbarer Tiefe von bis zu 1.000 Metern unter dem Meeresspiegel der Abbau von Ferromangan- oder Kobaltkrusten lukrativ sein kann. Dadurch würden allerdings alle Organismen in Bodennähe zwangsläufig zerstört. Das möchten Organisationen wie die IUCN oder der WWF natürlich unbedingt verhindern. „Aber in den internationalen Gewässern ist es ein bisschen wie im Wilden Westen“, sagt Spadone.
„Wo notwendig, sollen gefährliche Praktiken, die nachhaltig Gesundheit und Produktivität der Lebensräume bedrohen, eingeschränkt werden“, so der WWF. „Im Rahmen des von der EU geförderten Oasis-Projektes wurden Seeberg-Ökosysteme im Nordost-Atlantik intensiv erforscht und Schutzempfehlungen erarbeitet. Seitdem wurden einzelne Seeberge wie ‚Sedlo Seamount’, ‚Josephine Bank’ und unterseeische Gebirgsketten am Charlie-Gibbs-Graben des Mittelatlantischen Rückens als Schutzgebiete ausgewiesen beziehungsweise für Bodenschleppnetze gesperrt.“ Inzwischen hat Spanien einen 200 Kilometer vor der Westküste gelegenen, 4.000 Meter hohen und mit einem 6.200 Quadratkilometer großen Plateau ausgestatteten Seeberg namens „Galizienbank“ zum Schutzgebiet deklariert. Schottland hat gleiches mit dem bis zu 1.000 Meter hohen Seeberg „Rosemary Bank“ vor der Westküste gemacht. Portugal hat angekündigt, mit den Seebergketten „Große Meteorbank“ und „Gorringebank“, die zusammen eine Fläche von 250.000 Quadratkilometern haben, nachzuziehen.