Die Betreiber der grenznahen französischen Chemieplattform Carling versuchen seit Jahren, die Umweltbelastungen in den Griff zu bekommen. Trotzdem gelangen Schadstoffe über die Rossel ins Saarland. Unter der Oberfläche hat sich ein giftiger Cocktail angesammelt.
Seit Jahren klagen Anwohner immer wieder über übelriechende Belästigungen, wenn der Westwind von Frankreich über die Warndt-Region zieht. Es ist der „Duft von Carling", wie es im Volksmund heißt. Der Ortsname Carling steht für eine der größten Chemieplattformen Frankreichs. Dort wird investiert, die Produktion erweitert. Rund 1.000 Tonnen stark übelriechender Buttersäure sollen ab 2018 jährlich in den Anlagen zwischen Saint Avold und Carling unmittelbar an der Grenze produziert werden. Ab 2020 soll die Produktion der für Tiernahrung benötigten Flüssigkeit gar auf 4.000 Tonnen ansteigen. Das bestätigt das verantwortliche Unternehmen Metex auf FORUM-Anfrage. Über die Neuansiedlung mit zunächst 43 Arbeitsplätzen, über die demnächst definitiv entschieden wird, hatten französische Medien zuerst berichtet. Im Saarland machten die Grünen auf das Thema aufmerksam.
Es kommt nicht selten vor, dass die Saarländer nur über Umwege Neuigkeiten zu den Entwicklungen in Carling erfahren. Die 2014 gegründete Bürgerinitiative „Saubere Luft für die Warndtgemeinden" führt einen mühsamen Kampf um Informationen zum Thema Chemieplattform. Da den Mitgliedern die öffentlich verfügbaren Informationen nicht ausreichten, stellten sie eigene Messungen an. Demnach gebe es „durchaus Episoden mit einer deutlichen Feinstaubbelastung". Neben der Luftverschmutzung machen sich die Vereinsmitglieder auch zunehmend Sorgen um vergiftete Flüsse und Böden.
Belastungen „sehr hoch"
Diese Sorge scheint nicht aus der Luft gegriffen. Die von der Plattform abfließende Merle läuft direkt in die Rossel und damit ins Saarland. Dass Giftstoffe durch Luft-und Wasserströmungen nicht an der Grenze halt machen, daran besteht kein Zweifel. Was da aber genau aus Frankreich ankommt, ist nur wenig bekannt. Die Belastung der Rossel sei „jederzeit sehr hoch", schreibt das Institut für Anorganische und Analytische Chemie der Universität des Saarlandes in seinem im Sommer 2015 veröffentlichten Bericht. Viele Schadstoffe wie Schwermetalle sind dort aus technischen Gründen allerdings nicht erfasst.
Die Messwerte der regionalen französischen Wasserschutzbehörde verraten weitere Details. Der im grenznahen Petite Rosselle gemessene biologische Zustand der Rossel ist im Zeitraum 2014 bis 2016 ebenso schlecht wie die Sauerstoff- und die Nährstoffbilanz. Sowohl bei den Phosphaten als auch bei Nickel und einigen teils hochgiftigen Benzolverbindungen werden neben den nationalen Grenzwerten auch die der EU überschritten. Nicht nur viele Bürger, sondern auch Experten vermuten schon lange einen Zusammenhang mit der Chemieplattform Carling. Schließlich fließen gemäß den neuesten öffentlichen Zahlen jedes Jahr tonnenweise Schadstoffe aus der plattformeigenen Kläranlage in Richtung Saarland ab. Alleine im Jahr 2015 waren das, teils in Reinform, teils als Bestandteile jeweils zwei Tonnen Zink, 176 Kilogramm Nickel, 26 Kilogramm Blei und mehr als 60 Kilogramm Phenole. Hierbei fällt zunächst auf, dass die Konzentrationen der Benzole, Phenole und des Bleis ganz erheblich über den erlaubten Höchstgrenzen liegen.
Schon 2015 warnte die französische Wasserschutzbehörde Agence de l‘Eau Rhin-Meuse in einem Bericht: Die Wasserläufe des Lothringer Kohlebeckens erhalten „Schadstoffe aus Haushalten und von der Industrie, deren Wert die Selbstreinigung weit übersteigt." Stéphane Petitgenet koordiniert bei der Behörde derartige Studien. FORUM sagte er klar und deutlich: „Die Chemieplattform ist, trotz aller Verbesserungen der vergangenen 20 Jahre, einer der größten Verschmutzer der Rossel", deren Wasserqualität auch noch bei Eintritt ins Saarland sehr schlecht sei. Als die Kohleminen noch in Betrieb waren, sei viel Wasser die Merle heruntergeflossen. Heute entspreche dieser künstliche Wasserlauf weitestgehend den Abwässern der Chemieplattform. Deshalb, so der Experte weiter, habe die Merle einen „viel zu geringen Pegel, als dass sie diese große Menge an eingeleiteten Schadstoffen wirksam verdünnen" könne. Vor allem bei den in der Rossel gefundenen, in hohen Mengen giftig wirkenden, Fluoriden und dem Schwermetall Nickel sieht der Experte einen klaren Zusammenhang mit der Plattform.
Schmutzige Fingerabdrücke
Petitgenet warnt jedoch davor, für das Problem allein die Petrochemie verantwortlich zu machen. Die schlechten Werte der Rossel bei Phosphor etwa würden zu rund zwei Dritteln von den umliegenden Gemeinden verursacht und nur zu einem Drittel von der Chemieplattform. Sein Fazit: Die EU-Normen können nur wie gefordert bis 2027 eingehalten werden, wenn alle Akteure ihre Ausstöße verringern.
Umweltverschmutzungen haben eine lange Tradition in Saint Avold. Wo zunächst Kohlemeiler rauchten, entstanden ab Ende des 19. Jahrhunderts Kokereien, zur Produktion von Koks und Gas, wobei auch hochgiftige Nebenprodukte wie Benzol anfielen. Diese Kohlechemie wurde ab den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts schrittweise durch die Petrochemie ersetzt. Dabei handelt es sich um ein ebenfalls höchst umweltschädigendes Verfahren, bei dem aus Erdölbestandteilen Kunstharze und Plastik hergestellt werden, die Grundstoffe vieler Alltagsgegenstände. Während der Jahrzehnte hinterließen so Dutzende Unternehmen auf dem Gelände ihre schmutzigen Fingerabdrücke. Rechtlich verantwortlich für die Beseitigung dieser teils nachhaltigen Umweltschäden sind die heutigen Betreiber der Chemieplattform. Das sind derzeit neun Unternehmen, davon an vorderster Front die Firma Total Petrochemicals France, der Besitzer eines Großteils des Geländes, und Arkema.
Schon 2007 liegt Total öffentlichen Unterlagen zufolge eine „vertiefende Studie" vor, die das Ausmaß der Verunreinigung der Wasserschicht unterhalb des Firmengeländes umreißt. Demnach wurden damals auf einer Tiefe von bis zu 70 Metern Belastungen ausgemacht – gleich darunter beginnt zu der Zeit die Grundwasserschicht. Fünf Metalle finden die Experten in diesem sogenannten Bodenwasser: Kadmium, Kupfer, Quecksilber, Blei und Zink. Besonders stark sei die Belastung durch das krebserregende Benzol, dessen Konzentration „mehrere hundert Milligramm pro Liter" erreiche. Diese Größenordnung erstaunt, schließlich liegen sowohl in Frankreich als auch in Deutschland die Grenzwerte für den Kontakt des Menschen mit Benzol im Mikrogrammbereich, also bei einem rund zehntausendfach geringeren Wert. Nach Informationen von FORUM errechnen Experten einige Jahre später: Im Bodenwasser unter Total schwimmen zwischen 50 und 100 Tonnen Benzol. Auch im Boden unter der damals noch aktiven Kokerei und unter dem Gelände der Firma Arkema wurden zu der Zeit hohe Werte an Benzol und anderen Schadstoffen gemessen.
„Zu der Zeit waren wir uns bestimmter Risiken weniger bewusst", kommentiert Total-Sprecherin Rosemarie Caltabelotta am Telefon zunächst allgemein die Versäumnisse der Vergangenheit und verspricht eine baldige Antwort auf alle Fragen. Erst drei Wochen später äußert sich das Unternehmen dann schriftlich. Beim Thema Umwelt habe sich in den vergangenen Jahren viel getan. Zwischen 2014 und 2016 habe sich der eigene CO²-Ausstoß um 93 Prozent verringert. Die Einleitungen in die Merle, die den Abwässern der Plattform entspreche, würden in einer Biokläranlage und der von Arkema betriebenen Endkläranlage unter dem wachsamen Auge der französischen Behörden gereinigt. Becken verdecke man, um das Austreten von Gasen oder Gerüchen zu vermeiden. Sechs Mitarbeiter kümmern sich demnach um die Bodendekontaminierung.
Pläne zur Dekontaminierung
Der Beginn der Dekontaminierung habe sich aus mehreren Gründen verzögert. Grund seien die „Vielzahl an bisherigen Betreibern und Aktivitäten" sowie die lokalen „geologischen und hydrologischen Besonderheiten" und die deshalb notwendigen „Studien und vertieften Analysen". Im Jahr 2013 habe Total einen ersten Maßnahmenplan erstellt. Seitdem liefen Tests. Im Juli dieses Jahres habe das Unternehmen den französischen Behörden einen aktualisierten Plan zugestellt. Eine Arbeitsgruppe aus Vertretern mehrerer Unternehmen der Plattform kümmerte sich um die seit Jahren gemeinsam betriebene „hydraulische Kammer". Bei diesem Konzept wird, vereinfacht gesagt, durch ständiges Pumpen verhindert, dass sich die unterirdische Verunreinigung weiter ausbreitet.
Die Firma Arkema erklärt, auch sie habe der Umweltbehörde Dreal „in diesem Jahr einen Plan zur Dekontaminierung der Böden" zugesandt. Dieser Bericht, der sich an nationale Richtlinien halte, beinhalte eine Risikobewertung für eine industrielle Nutzung. Umweltbelange würden gemeinsam mit den anderen Unternehmen der Plattform behandelt. Dazu gehöre auch die erwähnte „hydraulische Kammer", die Arkema demnach unter Kontrolle der Dreal betreibt. Wie stark die Erdschichten unter dem eigenen Unternehmen noch heute verschmutzt sind, dazu äußerten sich auf Anfrage weder Total noch Arkema. Zum Thema Benzol stellen sowohl Total als auch Arkema klar, dass diese Verschmutzung geerbt wurde und nicht mit den eigenen Aktivitäten zusammenhänge. Einmal im Jahr stellen die Unternehmen umfangreiche Umweltdaten im Begleitausschuss der Plattform (CSS) vor. Die Luftqualität werde von der Vereinigung Atmo Grand Est überwacht, die im Übrigen von der öffentlichen Hand, Unternehmen und Umweltvereinen gemeinsam getragen wird.
Vielen Saarländern werden diese Antworten wohl nicht ausreichen, schließlich wurden ihnen über Jahre weitere wichtige Informationen vorenthalten. Das Unternehmen sei „nicht in der Lage, die Benzol-Dekontaminierung zu beherrschen", schreibt 2010 ein Gericht in Saint Avold in einem Urteil zulasten Totals. Die Wirksamkeit der „hydraulischen Kammer" könne „gestört" werden. Bereits Ende 2007 hätte das Unternehmen deshalb mit der Dekontaminierung beginnen sollen. Stéphane Petitgenet von der französischen Wasserschutzbehörde erklärt, warum die „hydraulische Kammer" keine langfristige Lösung darstellen kann: „Die schützende Zwischenschicht zum Grundwasser ist zunehmend porös und der Grundwasserpegel steigt fortlaufend."