Eislaufen ist wieder im Kommen, mehr Berliner als in früheren Jahren kaufen sich eine Eisbahn-Saisonkarte. Grund zur Freude auch für den Betreiber, das Land Berlin. Auf geht´s: Seit Mitte Oktober läuft die Saison.
Nach Einbruch der Dunkelheit steigt aus dem Sportpark Wilmersdorf weißer, dichter Nebel auf. Prompt alarmierten Anwohner die Feuerwehr, weil sie ein Großfeuer vermuteten. Doch der Hintergrund ist viel profaner – die Eismeister sind mit ihrem Sprengwagen auf den offenen Eisbahnen unterwegs und machen Eis. Im Wedding ist es das Erika-Hess-Eisstadion, in Neukölln die Eisbahn im Werner-Seelenbinder-Sportpark und in Wilmersdorf das Horst-Dohm-Eisstadion.
Drei Nächte braucht das Eis
Das Eismachen Anfang Oktober auf einer Freiluftbahn ist nicht ganz einfach und bei Außentemperaturen von 10 bis 15 Grad ein besonderes Spektakel. Denn die anfangs nackte Betonfläche wird auf rund minus zehn Grad heruntergekühlt. Kommt dann das acht Grad warme Leitungswasser drauf und herrscht dazu noch eine relativ hohe Luftfeuchtigkeit, steht innerhalb von Sekunden dichter Nebel über der Fläche. Selbst der Fahrer des Unimogs mit dem Wassertank sieht dann kaum noch etwas. Um eine solche Hockeyfläche auf nur fünf Zentimeter Eis zu bringen, braucht man drei Nächte. Danach können die Eismeister froh sein, wenn das eisige Nachtwerk den Tag überlebt.
In Wilmersdorf, nahe dem S-Bahnhof Hohenzollerndamm, ist die Eisfläche am größten, daher gibt es auch den meisten Nebel. Zur Eishockey-Innenfläche dort kommt noch der 400-Meter-Ring dazu, insgesamt 6.200 Quadratmeter Eis, das durchgekühlt werden muss. Für einen Zentimeter Eis werden im Eisstadion Wilmersdorf 44.000 Liter Wasser gebraucht. Die Läufer ziehen also auf insgesamt 220.000 Liter gefrorenem Wasser ihre Runden.
Es gibt noch eine Besonderheit im Horst-Dohm-Eisstadion: Dort steht noch die Original-Kühlanlage aus den frühen 70ern, schwärmt der neue Betriebsleiter Sebastian John. Er ist erst seit Anfang August hier, kennt aber seinen Arbeitsplatz schon seit Kindesbeinen. Denn früher war er hier Gast und als Jugendlicher nicht besonders auffällig, berichtet Eisbahn-Mitarbeiter Detlef Kloth: „Er ist zwar damals sehr forsch übers Eis geschossen, hatte aber immer den nötigen Überblick. Ab und zu hab ich dann schon mal was gesagt, vor allem wenn es gegen die Laufrichtung ging“, grinst der 60-jährige Eismann über seinen neuen Chef. Eisbahn-Betriebsleiter Sebastian John ist bundesweit der jüngste Chef staatlicher Eisbahnen, er ist nämlich gerade 26 geworden. John, studierter Maschinenbau-Techniker, hatte im Sommer ein Jahr auf Montage hinter sich und fand die Stellenanzeige des Landes Berlin zum Betriebsleiter. „Ich hab das gesehen und da gab es kein Halten mehr, den Job will ich“, erzählt er im krachlauten Maschinenraum unter der Tribüne des Eisstadions.
Die nächsten Tage ist dort sein Platz und nicht im Büro. Er volontiert bei Eis-Maschinist Peter Lehmann, der seit 1985 im „Horst-Dohm“ beschäftigt ist. „Dass die fünf Kompressoren nicht nur wie neu aussehen, sondern auch ohne jegliches Mucken funktionieren, hat sehr viel mit Wartung zu tun und das kostet viel Zeit“, berichtet Lehmann. Für die Wartung werden die Sommermonate genutzt, da hat der Eiswart also keine Ferien, sondern baut an der Anlage. Die Kühlung basiert auf Ammoniak-Basis, Ende der 60er-Jahre der letzte Schrei, da sie nicht so energieintensiv wie die Wärmetausch-Technik unseres herkömmlichen Kühlschranks ist. Allerdings – Ammoniak ist ein giftiger Stoff und darum sind solche Anlagen extrem wartungs- und damit auch kostenintensiv. „Immer im Spätsommer ist Tüv-Abnahme“, erzählt Betriebsleiter John, „die sind dann auch immer ganz angetan vom Zustand unserer Kompressor-Anlage von Anfang der 70er-Jahre.“
Das Horst-Dohm-Eisstadion, benannt nach dem ehemaligen Wilmersdorfer Bezirksbürgermeister, wurde 1974 eröffnet. Die sportlichen Ideen für das Eisstadion waren dem damals vorherrschenden West-Berliner Geist gemäß gigantisch. Immerhin hatte man sich mitten in ein Sumpfgebiet, das mit Trümmern erst zu- und dann noch aufgeschüttet wurde, eine olympiataugliche Eissportanlage mit 400-Meter-Ring gebaut. Kosten spielten in der Mauerstadt keine große Rolle. Bonn zahlte und Berlin wollte olympisch werden.
Der Plan: Auf dem nahe gelegen Teufelsberg sollten Teile der olympischen Abfahrtsläufe stattfinden, im Eisstadion die Eisschnellläufer ihr olympisches Können zeigen. Heute lächelt man darüber, aber 1985 schaffte es der West-Berliner Regierende Eberhard Diepgen (CDU) immerhin, den Eisschnelllauf-Weltcup nach Wilmersdorf zu holen. Eis-Maschinist Peter Lehmann fing damals gerade seinen Dienst an und man glaubte, dem 400-Meter-Ring im „feuchten Wilmersdorfer Fenn“ Weltrekorde entlocken zu können. „Das ist in unseren Breiten auf einer offenen Eisbahn aber schon aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit fast unmöglich. Zwischen Kufe und Eis bildet sich einfach zu viel Wasser und das bremst eher, als dass es trägt“, so Lehmann.
Wie wird das Eisbein zum Schlittschuh?
Damit sind wir in der Eislaufphysik angekommen. Die ersten Eisläufer nahmen angespitzte Knochen, mit denen sie übers Eis glitten, noch in den 1890er- Jahren wurde das auch so in Berlin gehandhabt. „Eisbein abgenagt, Schlittschuh gelaufen“, war das Motto auf den zugefrorenen Seen und Teichen, dazu musste Vattern ein bisschen basteln, der gefeilte Eisbeinknochen wurde unter die Schuhe genagelt. Obwohl auch in Berlin um 1900 beim Schlittschuhlaufen die Eisenzeit angebrochen war, ist der Trick immer noch der alte: Zwischen der Knochen- oder Stahlschiene und dem Eis bildet sich Wasser, auf dem der Läufer gleitet.
„Die Idealtemperatur ist dabei zwischen minus zwei und minus drei Grad über dem Eis und dazu eine Luftfeuchtigkeit von maximal 50 Prozent“, sagt Lehmann. In Wilmersdorf kommt noch eine Besonderheit dazu – die Luftverschmutzung. Nicht von den Schlittschuhläufern, sondern von der nur knapp 200 Meter entfernten Stadtautobahn A 100, der in diesem Teilstück meist befahrenen Autobahn in ganz Europa.
Man kann über die deutschen Dieselpartikelfilter denken was man will, aber die sind offenbar schon besser geworden, so zumindest die einhellige Meinung der „Eismeister zu Wilmersdorf“. Denn bei der berüchtigten Inversionswetterlage im Spätherbst – stehende Luft – war die Eisfläche früher schnell eher grau als weiß. Heute ist das nicht mehr so. Das Eis bleibt weiß. „Aber auch heute haben wir noch das Phänomen bei der Eisschmelze der Bahn im Frühjahr, dass das Wasser, das da abläuft, gräulich ist“, sagt Lehmann, „vermutlich sind das alles Abgaspartikel, die wir da fast ein halbes Jahr lang in unserem Eis einschließen.“
Trotzdem ist die Eisbahn in den letzten Jahren so gut besucht wie seit den 90ern nicht mehr. „Allein in der vergangenen Saison hatten wir über 200.000 Besucher“, sagt Betriebsleiter Sebastian John.
Was ihn besonders freut: „Die Saisonkartenbesitzer sind auf dem Vormarsch.“ Und mit dem neuen Betriebsleiter gibt es jetzt noch einen Stammläufer mehr, denn seine alten T-Blades hat er schon seit Anfang September im Büro liegen und die sollen jetzt wieder regelmäßig zum Einsatz kommen.