Gemeinsam mit Loriot hatte Evelyn Hamann in den 70er-Jahren neue Maßstäbe in Sachen feinsinnigem Humor gesetzt. Danach sollte die vor zehn Jahren verstorbene Hamburgerin beweisen, dass sie nicht nur eine geniale Komödiantin, sondern auch eine Verwandlungskünstlerin sein konnte.
Frauen haben auch ihr Gutes.“ Dieses legendäre Loriot-Zitat galt, zumindest was Vicco von Bülow betraf, wohl für keine andere Dame so trefflich wie für Evelyn Hamann. Sie verdankte ihren Aufstieg zu einer der größten deutschen Komödiantinnen der Entdeckung durch den legendären Humoristen mit preußischen Wurzeln. Ihrem berühmten Kollegen konnte sie bei ihren gemeinsamen legendären Sketchen aber gekonnt Paroli auf Augenhöhe bieten. Es gelang ihr stets, mit sprödem Witz auch verschrobenste Charaktere zu Sympathieträgern aufzubauen. Später stellte sie zudem unter Beweis, dass sie nicht nur eine Begabung für feinsinnig Spaßiges hatte, sondern auch als schauspielerische Verwandlungskünstlerin in insgesamt mehr als 200 Fernseh-Rollen.
Die wahre Evelyn Hamann, die am 28. Oktober 2007 im Alter von 65 Jahren infolge von Lymphknotenkrebs starb, kannte allerdings so gut wie niemand. Denn ihr Privatleben war tabu, wurde von ihr in einer selbst für eine Hamburgerin ungewöhnlich strengen hanseatischen Zurückhaltung und Bescheidenheit von der Öffentlichkeit abgeschirmt. Interviews oder mediale Auftritte gab es so gut wie keine. Wenn sie sich doch einmal dazu überreden ließ, wie Anfang der 80er-Jahre in Wim Thoelkes Quizsendung „Der große Preis“, dann meisterte sie die Aufgabe zwar professionell, wirkte dabei aber irgendwie deplatziert. Des Showmasters Charme-Gesprächseinstieg, „Sie sind ja eine sehr schöne Frau“, unterbrach sie damals übrigens selbstironisch und lautstark mit einer herzlichen Lachattacke.
Evelyn Hamann wurde am 6. August 1942 im Hamburg geboren. Sie wuchs in einer musikalischen Familie auf, ihr Großvater war Konzertmeister in Berlin gewesen. Ihr Vater Bernhard war Geiger und Konzertmeister des NDR-Sinfonieorchesters sowie Gründer des renommierten Hamann-Quartetts. Ihre Mutter war Sängerin, der Bruder Cellist und die Schwester Geigerin. Evelyn lernte Klavierspielen – ein Hobby, dem sie zeitlebens frönen sollte.
Sie suchte verzweifelt nach Rollen
Ihr Taschengeld pflegte sie später als Jazzpianistin aufzubessern. Nach der Scheidung musste ihre Mutter den Beruf aufgeben und den Lebensunterhalt fortan als Gesangslehrerin verdienen. Die Mutter hatte nichts dagegen, dass Evelyn gewissermaßen aus der Art schlagen und nach dem Abitur ein Schauspielstudium an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Hamburg aufnehmen wollte.
Sie machte den Uni-Abschluss als Beste ihrer Klasse und hatte schon während der Ausbildung erste kleinere Rollen am Hamburger Thalia Theater spielen können. Trotzdem stellte es sich zunächst als extrem schwierig heraus, ein festes Engagement an einem größeren Theaterhaus zu bekommen. Hamann selbst machte dafür ihr Aussehen verantwortlich; genauer gesagt ihr „Charaktergesicht“ mit der etwas knolligen Nase und den meist stark verwuschelten Haaren. „Ich war nun mal nicht der Prototyp des Gretchens, nicht im Mindesten hold und lieblich. Ich suchte verzweifelt nach Rollen. Was können junge Mädchen da spielen? Die Julia, das Gretchen, das Kätchen. Ich war aber keine jugendliche Liebhaberin; ich sah immer schon so aus, wie ich jetzt aussehe: viel krause Haare und ein Mund mit zu vielen Zähnen drin.“
Schließlich bekam sie 1968 doch noch das wohl kleinste aller kleinen Engagements – und zwar am Jungen Theater in Göttingen. Dort durfte sie alles spielen, darunter auch Charakterrollen, die ihr besonders lagen. 1971 wechselte sie an die Städtische Bühne in Heidelberg, wo sie als Endzwanzigerin beispielsweise die jüngste Elisabeth in Schillers „Maria Stuart“ mimen durfte. 1973 kehrte sie in den Norden zurück und sollte bis 1979 Mitglied des Ensembles am Theater Bremen bleiben. Dort stellte sie unter anderem eine sehr junge Marthe Schwerdtlein in Goethes „Faust“ oder die alte Semiramis in Ionescos Drama „Die Stühle“ dar. In der kleinen Hansestadt an der Weser kam es 1976 zum schicksalhaften Zusammentreffen mit Vicco von Bülow alias Loriot.
Sie arbeitete hart an ihrer Komik
Zwar hatte Hamann zuvor schon Mini-Rollen in TV-Produktionen wie „Neues vom Hexer“ 1965 oder „Vier Stunden von Elbe 1“ 1968 ergattern können. Doch der eigentliche Durchbruch als Schauspielerin gelang ihr mit der zwischen 1976 und 1978 von Radio Bremen produzierten Comedy-Fernsehserie „Loriot“. In jeder der sechs Folgen, die in römischen Zahlen von I bis VI durchnummeriert wurden, waren Sketche mit Loriot und Hamann als kongenialem Komiker-Duo zu bewundern. Vor Produktionsbeginn hatte man sich beim kleinen Sender aus Kostengründen dazu entschlossen, als Darsteller möglichst nur auf Schauspieler vom Bremer Theater zurückzugreifen.
Dennoch standen die Chancen für Evelyn Hamann, beim Casting den begehrten Job als Loriots femininen Widerpart zu bekommen, eigentlich extrem schlecht. Loriot hatte sich für die weibliche Hauptrolle eigentlich eine mittelgroße, füllige, blonde, dauergewellte Fünfzigerin vorgestellt. Und nicht unbedingt eine schlanke, mit 1,72 Meter recht hoch gewachsene, brünette und noch zudem mit 34 Jahren ziemlich junge Kollegin. Eine blonde Perücke lag allerdings griffbereit.
„Ich spielte ihm tapfer was vor“, erzählte Evelyn Hamann einmal. „Und dann fragte er mich: ‚Liebe Frau Hamann, wenn Sie auf unsere Kosten mehrere Wochen täglich Schweinshaxen essen, meinen Sie, Sie werden dann fülliger?“ Da Loriot einsah, dass Hamann nicht auf diesen absurden Vorschlag eingehen wollte, machte er schnell einen Rückzieher: „Gut, dann eben nicht pummelig.“ Hamann bekam den Job und bezeichnete ihren Entdecker immer als „Geschenk des Himmels“. Von Loriot habe sie gelernt, detailversessen zu arbeiten, auf das genaue Timing zu achten. „Die Inszenierung von Humor“, sagte Hamann, „erfordert Strenge, Kunstfertigkeit und Disziplin.“
Hamanns Sache war nicht der platte Witz, ihre Komik war nicht spontan, sondern Ergebnis harter, unermüdlicher Arbeit. Sie feilte an ihrer Mimik, probte jede Kopfbewegung.
In dem von Loriot in der Serie gezeichneten Sittenbild bundesdeutscher Spießigkeit verhalf Hamann ihren meist brav-biederen Frauenfiguren zu leichter Verschrobenheit. Ihr scheinbar alters- und leidenschaftsloses Gesicht machte einfach alles mit, war geradezu ein wandelbarer Traum für jeden Maskenbildner. Ihre Komik war nie laut, driftete nie ins Lächerliche ab. „Ich versuche immer, meine Figuren durch die Darstellung nicht zu denunzieren“, erklärte Hamann.
Unvergessen sind Episoden wie der „Nudelsketch“ mit Fräulein Hildegard oder die „Jodelschule“ mit der Hausfrau Hoppenstedt. Auch die lispelnde Sekretärin, die sich am englischen „Ti ätsch“ fast die Zunge abbricht, oder die Hausfrau, die sich mit einem Staubsaugervertreter betrinkt, sind längst zu Klassikern des gehobenen Humors geworden.
Es bestand für Evelyn Hamann durchaus die Gefahr, für immer in der Loriot-Ecke abgestellt zu bleiben, zumal sie auch in den beiden Loriot-Kinofilmen „Ödipussi“ 1988 und „Pappa ante Portas“ 1991 die Zusammenarbeit mit dem Humoristen fortsetzte. Doch schon mit der herben Rolle der Haushälterin Carsta Michaelis, des „Schwarzwaldklinik“-Chefarztes Brinkmann, gelang ihr zwischen 1986 und 1989 ein erster Ausbruch aus der Komödiantenschiene.
In den gleichen Jahren wirkte sie bei der Serie „Der Landarzt“ mit und wurde mehr und mehr zu einem Liebling des Massenpublikums, wozu auch ihr gelegentliches Auftreten beim „Traumschiff“ oder bei Krimireihen wie „Tatort“ oder „Der Alte“ beitrug. Einen letzten großen Erfolg konnte Hamann mit der von der ARD zwischen 1992 und 2007 ausgestrahlten satirischen Krimiserie „Adelheid und ihre Mörder“ feiern. Als forsche Polizeisekretärin löste sie all die Fälle, an denen ihr vorgesetzter Kommissar regelmäßig gescheitert war. Etwa zur gleichen Zeit, zwischen 1993 und 2005, brachte das ZDF 56 Episoden der auf die Hauptdarstellerin passgenau zugeschnittenen Serie „Evelyn Hamanns Geschichten aus dem Leben“ auf die Mattscheibe.
Arbeitete als Sprecherin für Hörbücher
Der Bühne blieb Hamann parallel zu ihrer TV-Karriere immer treu. Nicht nur bei Theaterstücken, sondern zunehmend auch bei Lesungen berühmter Autoren wie Tschechow oder Rilke. Als Sprecherin produzierte sie eine ganze Reihe von Hörbüchern. Beispielsweise von Werken der Krimiautorin Patricia Highsmith oder von Daphne du Maurier. Von ihrem Privatleben ist lediglich bekannt, dass sie zwischen 1964 und 1976 mit Hans Walter Braun verheiratet war, dass sie Katzen, Wagner-Musik und Malen liebte. Und dass sie zuletzt mit ihrem Lebensgefährten, dem Schauspieler Stefan Behrens, in einer Dachgeschosswohnung am Nonnenstieg 26 in Hamburg-Harvestehude gewohnt hatte. Der wesentlich ältere Loriot verabschiedete sich von seiner viel zu früh verstorbenen Ex-Schauspiel-Partnerin recht unkonventionell augenzwinkernd: „Liebe Evelyn! Dein Timing war immer perfekt. Nur heute hast Du die Reihenfolge nicht eingehalten. Na warte!“