Sie sind wuchtig, kugelsicher und gepanzert: Spezialbusse transportieren jeden Tag bis zu 2.000 Gefangene quer durch Deutschland. Dennoch fallen sie kaum auf. Eine Reise mit einem Verkehrsbetrieb, der am liebsten im Geheimen operiert.
Die U70 ist keine normale Buslinie. Der Busfahrer trägt eine Walther P99 am Gürtel. Die Passagiere sitzen hinter verriegelten Stahltüren. „Denkt daran, hier wird nicht geraucht", raunzt Jörg Walzcak in den Zellentrakt. Der 56-jährige Transportleiter schaut durch die schmalen Gucklöcher ins Innere der Kabinen. Besser gleich am Anfang für Respekt sorgen. Niemand raucht, randaliert oder pöbelt. Zumindest noch nicht. Zufrieden zieht Walzcak die vergitterte Zwischentür, die den Fahrerraum von der restlichen Kabine trennt, hinter sich zu. Motor an, Gefängnistor auf, erster Gang: Die Fahrt der U70 kann beginnen.
An Bord sind ein Geiselnehmer, ein Drogendealer sowie mehrere Betrüger, Einbrecher und Schuldner. Außerdem eine suizidgefährdete Frau, deren genaues Delikt die Beamten nicht verraten. Zu ihrer eigenen Sicherheit haben sie die Gefangene als Erste in eine Einzelzelle geführt; die männlichen Mitfahrer wissen nichts von der Passagierin.
Schlichte Plastiksitze, Videokameras, Rufknöpfe und ein kleiner Schlitz als Fenster: Mit dem Komfort eines normalen Reisebusses hat der 13 Tonnen schwere Gefangenentransporter der Marke Bova nichts gemein. 29 Passagiere haben hier Platz, aufgeteilt auf mehrere Einzel- und Mehrpersonenzellen. Das Interieur ist mit Metall verkleidet, die Dachluke auf dem Gang gegen Ausbruch gesichert. Von außen sieht der blau-weiß gestreifte Bus unspektakulär aus, fast so, als gehe es zu einer Kaffeefahrt. Doch auf der Reise von einer Justizvollzugsanstalt (JVA) zur anderen gibt es keinen Kaffee, nicht einmal ein Bord-WC. Die U70 fährt spartanisch.
Mit 100 km/h rollt der Gefangenenbus über die A2. Zwischen Hamm und Bielefeld, der Route der U70, läuft der Verkehr ruhig. Auch im Innenraum ist nicht viel los. Walzcak blättert das Fahrtenbuch durch, in dem die Passagiere aufgelistet sind. Die anderen drei Kollegen üben sich in Routine. Funksprüche absetzen, Umgebung beobachten, Zellen kontrollieren. Alle 15 Minuten geht die Klappe in der Einzelzelle auf: Lebendkontrolle. „Wir sind fast so etwas wie eine normale Buslinie", sagt Walzcak. „Mit dem Unterschied, dass sich manche Fahrgäste schon an der Haltestelle kloppen." Zur Sicherheit liegt die „Bord-Ausstattung" immer bereit: Pistolen, Pfefferspray und 29 Handfesseln.
Die U70 ist kein Einzelfall. Jeden Tag rollen Busse mit bis zu 2.000 Strafgefangenen über deutsche Autobahnen und Landstraßen. Sie werden verlegt, weil sie Ärger in ihrer bisherigen JVA hatten, einen Arzttermin wahrnehmen, ihren Anwalt in einer anderen Stadt treffen oder vor Gericht erscheinen müssen. Bis zu 120 separate Busverbindungen quer durch die Bundesrepublik existieren zu diesem Zweck. Manche „Haltestellen" – also Gefängnisse – werden täglich angefahren, andere nur einmal pro Woche. Über einen streng getakteten Fahrplan ist jedes Gefängnis mit dem Transportnetz verbunden. Das System ist so eingespielt, dass die normale Bevölkerung davon kaum etwas mitbekommt. Deutschlands geheimster Verkehrsbetrieb operiert im Verborgenen.
Die eiserne Regel: niemals anhalten
Damit nichts schief geht, läuft der „Verschub", wie der Gefangenentransport im Amtsdeutsch heißt, nach strengen Vorgaben. Lange bevor die Häftlinge an Bord gehen, prüfen Justizvollzugsbeamte ihre Akten: Leiden die zu transportierenden Personen unter Krankheiten, die unterwegs zum Problem werden könnten? Sind sie schon einmal wegen Gewalt aufgefallen? Oder gehören sie womöglich der organisierten Kriminalität an? „Wir überlassen nichts dem Zufall", sagt Rolf Silwedel, der Leiter der JVA Hamm. „Im Zweifel verschieben wir bestimmte Gefangene lieber einzeln." Die eiserne Regel jedes Transportes: niemals anhalten. Denn sobald der Bus steht, ist er verwundbar – Einzelzellen hin oder her.
Am meisten graut es den Justizvollzugsbeamten vor unerwarteten Ereignissen – vor Umleitungen, Pannen, Unfällen oder Streckensperrungen. Alles, was das akribisch getaktete System durcheinanderbringt, macht die rollenden Festungen angreifbar – zumal längst nicht jede von ihnen mit kugelsicheren Scheiben ausgestattet ist. Doch es gibt auch ganz lapidare Probleme: Was, wenn ein Transporter stundenlang im Stau steht? Wenn die Passagiere hungrig werden oder auf die Toilette müssen? „Ein Gefangener kann in Handschellen schlecht eine Currywurst an der Raststätte bestellen", sagt Silwedel. Zwar sei Wasser grundsätzlich an Bord. Aber gerade bei längeren Standzeiten werde es kritisch. „Jeder Stau bringt das System durcheinander", sagt der JVA-Leiter.
Wie das enden kann, zeigte sich im Dezember 2010. Durch einen verunglückten Lkw war die A2 bei Helmstedt stundenlang blockiert; ein Schneesturm verzögerte die Bergung. Mittendrin: ein Gefangenbus mit sieben Insassen, die allmählich unruhig wurden. Als kein Ende des Staus absehbar war, riefen die Behörden den Notfallplan aus. Sondereinsatzkräfte der Polizei rückten an, um einen Gefangenen nach dem anderen in herbeigeschaffte Kleintransporter zu verfrachten – ein enormer Aufwand. Und ein wunder Punkt. „Wir sprechen hier über einen gefährlichen Job", sagt René Müller, Vorsitzender des Bundes der Strafvollzugsbeamten. „Schon ein normaler Busfahrer hat eine große Verantwortung gegenüber seinen Passagieren. Hier geht es aber zusätzlich um Schwerverbrecher, von denen einige nichts mehr zu verlieren haben."
Zurück in der U70. Als der Bus die Ausfahrt Gütersloh passiert, bemerkt Transportleiter Walzcak einen seltsamen Geruch. Feuer? Zigarettenrauch? Oder nur ein Duft von draußen? Zur Sicherheit geht er nach hinten, öffnet die Gucklöcher der Zellen. „Hast du geraucht?", fragt er einen Mann im hinteren Trakt. Keine Antwort. „Ob du geraucht hast?" Starrer Blick, Schulterzucken. Eine Zigarette ist nicht zu sehen, der Mann hinter der Tür schaut gelangweilt nach draußen. Für Walzcak ist die Sache damit erledigt. In seiner 30-jährigen Dienstzeit hat der Justizvollzugsbeamte schon weit Schlimmeres gesehen. Einmal musste er den Notarzt rufen, weil ein Häftling während der Fahrt zusammengebrochen war. Auch Schlägereien sind in den engen Zellen schon ausgebrochen, obwohl Klimaanlage und Bord-Radio normalerweise für Entspannung sorgen. Jedenfalls dann, wenn den Passagieren die Musik gefällt.
Eine Million Euro pro Bus an Kosten
Damit die Transporte heil am Ziel ankommen, ist das Verschub-System genauestens durchgeplant. Jedes Bundesland stellt eigene Bedingungen an seine Gefangenenbusse: Schiebetüren oder Scharniere? Einzelzellen oder Gruppenräume? Panzerglas oder normale Fenster? „Am Ende ist das natürlich eine Preisfrage", sagt Detlef Fahr, Verkaufsleiter beim Fahrzeugbau-Unternehmen Friederichs in Frankfurt. Der mittelständische Betrieb panzert so ziemlich alles – vom Geldtransporter bis zum Luxus-Sprinter des russischen Präsidenten. Etwa zehn Prozent ihres Umsatzes macht die Firma mit Gefangenentransportern. „Die Busse kommen nur mit Fahrersitz und Holzboden bei uns an", sagt Fahr. „Alles andere erledigen wir." Etwa 500.000 Euro koste das reine Chassis, der Umbau mindestens noch einmal so viel.
„Das ist ein hartes Geschäft", meint Fahr. „Wir gewinnen vielleicht jede dritte Ausschreibung." Der schwedische Hauptkonkurrent Volvo, der bei einem finnischen Zulieferer produzieren lässt, sieht das ähnlich: Manchmal gebe es nur drei Aufträge pro Jahr, ein anderes Mal acht oder neun. Einig sind sich beide Unternehmen darin, dass die Wünsche der Kunden stark variieren – nicht nur von Bundesland zu Bundesland, sondern auch von JVA zu JVA.
Bislang scheinen die unterschiedlichen Konzepte aber gut zu funktionieren: Erfolgreiche Fluchtversuche oder Überfälle hat es laut Angaben der Landesjustizministerien schon lange nicht mehr gegeben. Getürkte Polizeikontrollen, Befreiungsaktionen mit Panzerfäusten und Sprengstoff – für die Beamten lediglich Szenen aus Hollywood. „Zum Glück", meint Transportleiter Walzcak. „Aufpassen müssen wir natürlich trotzdem."
Kurz vor der Autobahnabfahrt rast ein Audi A6 hupend an der U70 vorbei. Für eine Schrecksekunde zucken die Beamten zusammen, alle Blicke richten sich auf das schwarze Auto. Schließlich löst Walzcak die Anspannung auf: „Den Fahrer kenn’ ich doch", sagt der langjährige Beamte. „Ich glaube, den hatte ich schon mal an Bord."