In der Mühle-Manufaktur im Erzgebirge werden Rasierpinsel in Handarbeit hergestellt. Das Unter-nehmen hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich.
Ob Pinsel zum Malen oder Rasierpinsel – Kenner bevorzugen in beiden Fällen echtes Dachshaar. Denn es schmeichelt der Haut an Kinn und Hals. Besonders angenehm ist das, wenn der weiche Pinsel den sahnigen Rasierschaum sanft verteilt.
Dachshaarpinsel sind rar, ihre Fertigung beherrschen nur noch wenige – in Deutschland etwa die 75 Mitarbeiter der Firma Mühle im sächsischen Hundshübel. „Seit 200 Jahren haben wir hier Bürstenmacher in der Gegend, die früher noch mit ihren Bauchläden von Dorf zu Dorf zogen und ihre Sachen verkauften", erzählt Andreas Müller, der Juniorchef. Er führt die Manufaktur zusammen mit seinem Bruder. „Wir haben eben das Pinsel-Gen", scherzt er. Mühle wurde 1945 von Otto Johannes Müller im sächsischen Stützengrün gegründet. Die Fertigung verlief primitiv: In einer Waschküche wurden Borsten gekocht, Tierhaare aufgearbeitet und neben Bürsten und Pinseln auch lebensnotwendige Dinge wie Kerzen produziert; da es zu dieser Zeit nicht immer Strom gab, wurden sie rege nachgefragt. Die Produkte verließen die Manufaktur anfangs noch mit Pferd und Wagen.
Das Geschäft wuchs, und bald exportierte Mühle auch ins Ausland. 1972 wurde Klaus Jürgen Müller enteignet, die DDR gliederte Mühle dem VEB Flamingo-Bürsten mit DDR-weit 3.000 Beschäftigten an.
1990 kam die Reprivatisierung. Klaus Jürgen Müller übernahm den Betrieb wieder. Nach mühseligem Beginn mit gerade einmal vier Mitarbeitern ging es ab Mitte der 90er wieder aufwärts. 2005 gelangten 30 Prozent der Produkte in den Export. 2016 gelang es Mühle, den Umsatz von einem siebenstelligen auf ein achtstelliges Ergebnis zu steigern; konkrete Zahlen nennt die Firma nicht.
Die Mühle-Rasierpinsel, die die Manufaktur verlassen, sind in allen Arbeitsschritten von Hand gefertigt – vom Griff bis zu den Pinselhaaren. 20.000 Einzelhaare vereinigen sich in jedem Pinsel zu einem dichten, fächerförmigen Körper. Das wertvolle Haar vom Rücken des Dachses wird grammgenau abgewogen und ausgekämmt, dann in der Formbüchse aufgestoßen, mit einem Faden festgebunden und in eine Ringzwinge eingeklebt. Höchstens 100 Pinsel des Modells „Silberspitz-Dachszupf Handarbeit" kann ein Mitarbeiter an einem Tag herstellen.
Zu den aufwendigen Arbeitsschritten der Dachshaarverarbeitung zählt das Bleichen und Sterilisieren. Manchmal bieten Jäger der Firma Dachsfelle an, doch dann muss Müller ablehnen: Die fachgerechte Verarbeitung der Haare kann hier niemand übernehmen. „Die komplette Infrastruktur zur Gewinnung der Haare existiert in Europa nicht mehr", sagt der Juniorchef. „Das Rohmaterial kommt aus China und der Mongolei, wir beziehen es von sogenannten Feinhaarzurichtern.
Das Kennzeichen von Silberspitz- Dachszupf ist seine silbrig schimmernde Farbe und ein schwarzes Band im natürlichen Haarverlauf, der Spiegel. Dachshaar ist der ideale Besatz für Rasierpinsel, denn es ist sehr fein und auch im nassen Zustand elastisch. Es ist nicht porös, und hat nur den Bruchteil des Durchmessers von Schweineborsten. Mit Dachshaar lässt sich ein besonders feiner, cremiger Schaum erzeugen. Müller: „Unter allen Naturhaaren eignen sich lediglich Dachshaare, da sie im nassen Zustand nicht filzen. Das ist auf ihre hohe Flexibilität zurückzuführen. Synthetische Fasern bieten aber inzwischen noch deutlich bessere Eigenschaften als das Naturhaar, und sie sind langlebiger und unempfindlicher."
Um die Produktpalette zu erweitern, tüftelte man eine Kunstfaser aus, die dem Dachshaar mindestens ebenbürtig ist. „Silvertip Fibre" nennt sich das Produkt. Die meisten Anwender meinten, dass es noch bessere Eigenschaften als das Naturhaar biete, sagt Andreas Müller. „Silvertip Fibre" ist an den Spitzen sehr weich, im mittleren Bereich jedoch etwas stabiler als Naturhaar.
Auch für Veganer gibt es einen Rasierpinsel
Für die Griffe verwendet Mühle Büffelhorn, das sich durch seine schöne Struktur und Haltbarkeit auszeichnet, oder geöltes Olivenholz mit Maserung. Griffe gibt es auch aus dekorativen Hölzern und Edelharzen, Porzellan oder Carbon. Der Produktdesigner Mark Braun hat eine Designedition entworfen. Sie besteht aus Rasierhobel, Rasierpinsel und Halter. Halter und Hobelkopf sind aus Chrom. Der Rasierpinselkopf ist in den Farben des Erzgebirges erhältlich: Grün, Bronze und Graphit. In diesem Jahr erhielt diese Edition den „Red Dot"-Designpreis.
Neben der Handwerkskunst und den Materialien, die für die Rasierpinsel verwendet werden, ist die Gestaltung der Produkte laut Müller ein wichtiger Verkaufsaspekt: „Wir möchten die tägliche Nassrasur in ein schönes, persönliches Ritual verwandeln, mit duftenden, natürlichen Pflegeprodukten und ästhetischen Rasier-Accessoires. Unsere Produkte sollen ein Blickfang im Badezimmer sein."
Die neueste Auflage ist die Mühle Edition No. 3, gefertigt aus feinster Mooreiche. Dieses Eichenholz ruhte Jahrtausende luftdicht in Mooren, Sümpfen oder an Flussufern und erhält so seine besondere, dunkle Färbung. Als Kontrast wird Sterlingsilber eingearbeitet, sodass die feinen Vertiefungen des Holzes leuchtend schimmern. Anschließend wird die Oberfläche glänzend lackiert.
Die Edelstahl-Edition „Rocca" mit Rasierpinsel und -hobel verbindet puristisches Design mit Funktionalität. Birkenrinden-Laminat am Griff fühlt sich angenehm in der Hand an und ist selbst in nassem Zustand rutschfest.
Die passende Rasierseife von Mühle gibt es in den Varianten Sandelholz, Aloe Vera und Sanddorn. Natürlich kann man die Rasierer von Mühle auch auf die Reise mitnehmen: dafür gibt es Reise-rasierer in handgefertigten Ledertaschen. Für Veganer und Öko-Orientierte wurde die Pflegeserie „Organic" entwickelt, die Inhaltsstoffe stammen aus biologischem Anbau. Müller: „Wir haben das Produkt nicht in erster Linie für Veganer entwickelt, sondern wollten den Rasierpinsel verbessern. Und diese Eigenschaften ließen sich nicht mit Naturhaar umsetzen."
Weil immer mehr Besucher die manuelle Pinselherstellung interessiert, wurde sie in eine Schaumanufaktur ausgelagert. Wenn man schon mal in Hundshübel vorbeikommt, wartet dort auch die „Sammlung Mühle". Die hat Seniorchef Hans-Jürgen Müller in mühevoller Kleinarbeit zusammengetragen. Rund 1.000 Exponate aus 200 Jahren Rasur gibt es zu bestaunen. Skurril ist die „Barttasse" für den Kaiser-Wilhelm-Bart: ein Balken, quer durch die Porzellantasse, sollte verhindern, dass das „Prachtstück" in den Kaffee tauchte. Der „Be-Be-Strop" faszinierte sogar Albert Einstein. Das mechanische Wunderwerk wendete die Klinge beim Rasiermesserschleifen automatisch. Glanzstück der Sammlung ist ein original nachgebauter Friseursalon aus den 30er-Jahren – allerdings ohne entsprechenden Service. Müller ist stolz auf sein Museum: „Bereits vor Tausenden Jahren haben sich Männer rasiert. Es ist sicherlich das älteste männliche Pflegeritual. Rasier- und Friseurkultur sind Bestandteil unserer Kulturgeschichte. Und die hat manch interessante Blüte getrieben. Einige davon sind in der Sammlung zu bestaunen – etwa ein Wochensatz Rasiermesser, für jeden Tag eins. Man war der Meinung, der Stahl müsse sich ‚erholen‘ können, um seine volle Schneidkraft wieder zu erlangen."
Eigentlich schade, dass eine fachmännische Nassrasur mit edlen Pflegeprodukten in Deutschland zur Rarität geworden ist, während für Frauen in Beauty-Salons und Spas jede erdenkliche Pflege angeboten wird. So bleibt nichts anderes übrig, als selbst zu Rasierpinsel und Klinge zu greifen. Oder man macht sich auf in die Hackeschen Höfe. Dort hat Mühle einen neuen Showroom eingerichtet, in dem sich alle Produkte in Augenschein nehmen lassen. Und dort wartet auch ein stilechter Rasiersalon, wo Männer ihre Barthaare loswerden können.