An der strahlend schönen „Küste des Lichts“ in Andalusien liegt wie eine glänzende Perle Cádiz. Bei einer besonderen Stadtführung können Besucher nicht nur die Schönheiten der Stadt erleben, sondern tauchen auch ein in spannende andalusische Kunst und Kultur.
Ein Meer heller Flachdächer leuchtet im klaren Sonnenlicht der Costa de la Luz vor dem tiefblauen Ozean. Die mit verglasten Balkonen geschmückten Fassaden der Kaufmannshäuser aus dem 18. Jahrhundert werfen ihre Schatten in die vom steten Seewind gekühlten Gassen. Jeder Weg führt nach wenigen Schritten ans Wasser.
Auf den 129 Aussichtstürmen über den Dächern von Cádiz warteten einst die Händler auf die mit Silber, Gold und Erz beladenen Schiffe aus Amerika. Wer sie als Erstes mit seinen Fahnen und Signalen erreichte, hatte Aussicht auf die besten Geschäfte. Die mächtige Kathedrale an der Seepromenade von Cádiz wies den Seeleuten den Weg. Im Mix der Kulturen entstand – in der einst reichsten und heute einer der ärmsten Städte Spaniens – auch eine ganz eigene Richtung des Flamenco. In den Gassen der Altstadt trotzen junge Leute der Krise.
Abseits der Touristenpfade
„Oft klingeln wir einfach bei Leuten“, berichtet Antonio de la Cruz auf einer seiner Führungen durch das Populo, das älteste Stadtviertel von Cádiz. „Viele zeigen uns stolz ihren Innenhof und ihr Haus. Einige erzählen Geschichten über die Gebäude und ihre Bewohner.“ Der junge Historiker hat nach dem Studium keine Stelle gefunden. Statt wie viele arbeitslose Uni-Absolventen auszuwandern, baut sich der Mitt-Dreißiger mit zwei Partnern selbst ein Unternehmen auf: Stadtrundgänge auf Wegen, welche die Touristen alleine nicht finden.
Die drei Gründer bitten ihre Gäste um Lebensmittelspenden, die sie an Armenküchen weitergeben. Im Schnitt bringe jeder Besucher ein Kilo Speisen und Getränke. In drei Jahren hätten sie so schon fünf Tonnen Nahrung gesammelt.
Bedürftige gibt es reichlich in Cádiz. Seit die Werften aufgegeben haben und der Hafen kaum noch Leute beschäftigt, ist die Arbeitslosenquote auf mehr als 40 Prozent gestiegen. „Jobs findet man fast nur noch in Dienstleistungsberufen, vor allem im Tourismus“, erzählt Antonios Kollege Moisés.
Die beiden bieten ihre Stadtführungen unter dem Titel Cuéntame Cádiz, „Erzähl mir Cádiz“ auf Spanisch, Englisch, Französisch und Deutsch jetzt auch zahlenden Touristen an. Ihr Weg führt an der ersten Kathedrale, am Römischen Amphitheater und bei Antonio Gallardo vorbei. Der Wirt der Eckkneipe erinnert sich an die 60er- und 70er-Jahre, als das Quartier verfiel. Auf der Straße warteten Prostituierte auf Matrosen. Dealer verkauften Drogen. Anwohner zogen in die komfortablere Neustadt. Andere blieben, organisierten sich in Nachbarschaftsvereinen, die für die Rettung des Populo-Viertels kämpften. Mütter patrouillierten in den Gassen, um die Drogenhändler zu vertreiben. „Viele wissen gar nicht, welche Schätze ihre Häuser bergen“, ergänzt Moisés. Er zeigt durch eine offene Tür in einen Innenhof: Marmorboden, ein Brunnen in der Mitte umgeben von Galerien mit schmiedeeisernen Gittern. Dunkle, schwere Holztüren führen in die einzelnen Wohnungen. Die meisten Altstadthäuser sind inzwischen saniert.
Geblieben ist die Armut. Wirt Antonio zum Beispiel kann von seinem Café „gerade so leben, wenn er jeden Tag arbeitet und nicht krank wird“. Er schwärmt vom Zusammenhalt in der Nachbarschaft. Die Leute unterstützen sich gegenseitig. „Die gute Laune lässt er sich nicht verderben.“
Moisés und Antonio fragen, woher das Pflaster aus katzenkopfgroßen groben Steinen unter unseren Füßen stammt: Die Schiffe brachten es im 18. Jahrhundert aus Amerika. Unwuchten durch ungleichmäßig verteilte Ladung im Frachtraum füllten die Seeleute mit diesen Brocken, aus denen die Cádizer später ihre Straßen bauten. Ob Gummibäume, Yacarandas, eine wild lebende Papageienkolonie oder Edelhölzer – Überall finden sich Spuren aus den ehemaligen Kolonien in der „lateinamerikanischsten Stadt Europas“. Die beiden Geschichtswissenschaftler erklären an einem Beispiel den Aufbau der Händlerhäuser aus dem 18. Jahrhundert: Im Erdgeschoss wurden die Waren gelagert. Darüber gab es eine niedrige Etage für die Büros. Weil dort die Leute im Sitzen arbeiteten, sparte man an der Deckenhöhe. Dann folgte die hohe, repräsentative Wohnetage und die winzigen Räume für die Hausangestellten. Um die Wohnungen vor dem ständigen Wind zu schützen, verglasten die Bauherren ihre Balkone. Die gesamte Altstadt bauten sie nach diesem Muster. Seit 1976 steht sie unter Denkmalschutz.
In der Abenddämmerung fällt ein Licht aus großen Fenstern auf die Kolumbusstraße, die Calle Cristobal Colón. In einem Gewirr von Staffeleien malen Männer und Frauen mit bunten Ölfarben auf Leinwände. Maler Cecilio Chaves gibt sein Wissen weiter. An den Wänden hängen seine leuchtenden Bilder: weiße Häuser am Meer, Porträts, die Kathedrale mit der Skyline der Altstadt. Cecilio liebt das klare, helle Licht seiner Heimatstadt. Für ihn gibt es zwei Cádiz: Die „Landschaft der Dächer“ mit ihren Terrassen und Aussichtstürmen und die Altstadtgassen- und Plätze. 20 Jahre war der Profi-Künstler weg, hat an der Kunsthochschule Städel in Deutschland studiert und in Galicien gelebt. „Das Licht“ habe ihm im Norden gefehlt – und „der Ozean, der die Seele öffnet“. All das hat Cecilio in fotorealistischen Bildern eingefangen.
Denkmalschutz für die Altstadt
Zwei Häuser weiter streicht ein kleiner Mann zart über ein hauchdünnes Blatt Palisanderholz. Die Tür zu seiner Werkstatt steht offen. Fernando Gómez baut klassische Gitarren. Gerne erklärt er, warum die Instrumente aus Palisander anders klingen als solche aus Zedernholz und warum ihn seine Arbeit auch nach 38 Jahren „glücklich macht“. Er klopft auf das in Gitarrenform geschnittene Holzblatt, hält es ans Ohr und lauscht. Er spüre die innere Verbindung zwischen dem tönenden Holz und dem Menschen.
Lege Deine Hände auf meine und folge mir“, habe ihm einst „Meister“ José Luis Romanillo geraten. So habe er, Fernando, das Handwerk im wahrsten Sinne des Wortes begriffen. Mit dem Lernen sei er längst nicht fertig. Jeden Tag entdecke er Neues in einer Berufung, die er „als Geschenk“ erlebt.
„Ich kann nicht Gitarre spielen“, steht auf einem Zettel an der Wand, weil ihn so viele wie ich danach fragen. „Stradivari konnte auch nicht Geige spielen“, ergänzt er lachend. Halb im Spaß heißt es auf dem zweiten Blatt: „Verbotene Frage: Wie gehen die Geschäfte?“ „Gut“, sagt Fernando lächelnd. Wenn er ein Stück Holz vorsichtig hobelt oder den Deckel einer Gitarre – „90 Prozent des Klangs“, wie er sagt – kreisend schleift, wirken seine Bewegungen und sein konzentrierter Blick wie eine Meditation. Fernando ist im Altstadtviertel Santa Maria mit der Musik aufgewachsen, für die er die Gitarren baut: dem Flamenco. Entstanden sei der Klang Andalusiens als Gesang. Für Instrumente hatten Spaniens „Zigeuner“, die Gitanos, kein Geld. Irgendwann seien sie auf die Idee gekommen, sie sich aus dem Holz wild wachsender Zypressen zu bauen.
Emilio Florido, ein Freund und Kunde Fernandos, singt den Cádizer Flamenco auf seinen Konzerten in ganz Europa, Asien und Amerika. Cádiz sei die Stadt mit dem meisten Palos, den traditionellen Liedern des andalusischen Tanzes. Wie Gitarrenbauer Fernando ist Emilio mit diesen Klängen aufgewachsen. „In den Gassen der Altstadtviertel haben die Leute immer gemeinsam gesungen und getanzt“, erinnern sich die beiden. „Arm waren sie alle, aber für die Musiker gab es immer Essen und Trinken.“ Die Ursprünge des Flamenco liegen im Dunkeln. Viele Elemente hätten die Gitanos aus dem Orient mitgebracht. Auswanderer nahmen die Tradition mit nach Kuba und Argentinien. Von dort kam sie Generationen später verändert zurück. Emilio nennt den Flamenco „eine besondere Sprache“. Tänzer und Sänger achten genau aufeinander. Klackert einer mit den Absätzen auf den Bühnenbrettern, muss der andere aussetzen. Die Texte erzählen von Freuden und Leiden des Alltags, von Liebe und Traurigkeit. In Cádiz entstanden eigene Lieder: In den Malageñas de Cádiz spiegelten sich auch die mittelalterlichen gregorianischen Gesänge eines Klosters der Region. Viele Stücke seien auch „sehr politisch, prangern Ungerechtigkeiten an und kritisieren die Mächtigen.“ So gab es während der Franco-Diktatur kaum öffentliche Konzerte. 1936 ermordeten Francos Faschisten einen der bekanntesten Flamenco-Musiker Andalusiens: Der Dichter, Dramatiker, Sänger und Komponist Frederico García Lorca hatte sich zu seiner Homosexualität bekannt und mit der Linken sympathisiert. Emilio lässt sich von seinen Werken inspirieren. Auch seine Cádizer Kindheitserinnerungen fließen in die Lieder ein. Er hatte das Glück, dass seine flamencobegeisterte Mutter früh sein Talent entdeckte und ihn mit drei Jahren auf eine Tanzschule schickte. Mit sieben begann er, Gitarre zu spielen und schloss sich einem der vielen Karnevals-Chöre an. Ob zum Fasching oder für die Karwoche Semana Santa, die Cádizer lieben Musik, singen und spielen Instrumente.