Giulia Paolillo und Koch Simone Proietto bringen mit ihrem „Orlando" sizilianische Lebensfreude nach Berlin. Eine perfekte Kombination, denn sie ist „mehr der Typ Panini" und er der Mann mit dem Händchen fürs Gebackene.
Sizilien hat eine Außenstelle in Berlin. Sie liegt mitten im Prenzlauer Berg, im Erdgeschoss eines Wohnhauses. Wein, Öle, Würste, Käse und andere Spezereien liegen in hölzernen Regalen. Dolci, Panini und eine Früchtetorte präsentieren sich auf einem Tisch-Tresen im Eingangsraum. Drei große Tische stehen im Gastraum nebenan, eine Tafel verweist auf die Tagesgerichte. Ab 17 Uhr gibt’s den „Aperitivo": Häppchen vom Buffet und ein Bier dazu für den zwanglosen Übergang in den Abend. Bis 20 Uhr ist die kleine italienische Bar mit angeschlossener Feinschmeckereien-Verkaufsstelle montags bis freitags geöffnet. Besitzerin Giulia Paolillo und Koch Simone Proietto versorgen seit März 2017 in dieser Zeit ihre Gäste mit Frühstück, Kaffee und Mittagessen und „Aperitivo".
„Kommt am besten ab 14 Uhr", hatte Giulia geraten. „Dann ist mehr Platz, und ich habe Zeit für euch." Beim Blick auf die mit verschiedenfarbigen Marmorstücken selbst „gefliesten" Holztische wird klar, warum: Zur Mittagszeit sind die 20 Plätze im Gastraum fix belegt, wenn sich die Menschheit aus der Umgebung an Pasta und Burger, Panini oder Kuchen gütlich tut. Bei der Caponata auf Tisch und Tellern wird uns augenblicklich wärmer, sonniger und süditalienisch ums Gemüt. Tomatig und „mit ausschließlich grünen Oliven" abgeschmeckt, geraten der italienische Fotograf, die Foodie-Freundin, Giulia und ich ins mehrsprachige Diskutieren über die Zutaten, die wir selbst in so ein Auberginen-Tomaten-Hack geben. Ich sage: „Mit Rosinen" und ziehe kritische Blicke auf mich. Der Fotograf mag’s lieber ohne. Auch an der Dosentomaten-Frage scheiden sich die Geister. „Ich mache die Caponata immer ohne Paprika und in total vegan", sagt Giulia.
Es ist wie es eben ist mit den Heiligen – die Gläubigen beten unterschiedliche an. Die süditalienische Leibspeise wird in Apulien oder in der Basilikata anders zubereitet als in Sizilien, und jede Hausfrau hat selbstredend „ihr" Geheimrezept. Giulias hat eine besondere Zutat – ein Olivenöl der eigenen Marke. Es kommt aus Terra Nova, ist „extra vergine 1a" und wird von jungen Sizilianern, die in die Heimat ihrer Eltern zurückkehrten, traditionell gepresst.
Zibibbo zum Ei ist einer dieser besonderen „Kicks alla Giulia"
Die 34-Jährige stammt aus Palermo, studierte Marketing und Vertrieb in Mailand. Sie kehrte mit Sehnsucht nach heimatlicher Vertrautheit im Gepäck nach Sizilien zurück: „Ich wusste zu Hause nicht mehr, wo die Gabeln im Schrank liegen." Sie blieb drei Jahre und befasste sich mit ganz anderem als zuvor – gutem Essen und Trinken. Die Tradition, in der Produktqualität und im Ansatz ihrer Rezepte, ist Giulia nun auch in Berlin wichtig. „Ich bin natürlich ein Mensch der Gegenwart", sagt Giulia. „Grundlage ist die sizilianische Küche, aber ich will mich auch selbst in meinen Gerichten ausdrücken, herumspielen und Spaß haben." Den teilen wir gern mit Messer, Gabel und unseren Geschmacksknospen. Meist steht Koch Simone am Herd und hält das Tagesgeschäft am Laufen. „Aber ich bin ebenfalls oft in der Küche", sagt Giulia. Sie organisiert sonst Caterings und etwa die Teilnahme an Aktionen von „True Italian" in Berlin oder kümmert sich um Streetfood- oder Weihnachtsmärkte.
Einen Kick „alla Giulia" bekam die Vorspeise „gekochte Eier mit Zibibbo". Die hartgekochten Eier sind halbiert, das Eigelb mit Kapern aus Panteleria zu einer salzigen Creme vermischt. „Ein Biss vom Ei, ein Schluck vom Zibibbo dazu nehmen", gibt Giulia vor. Die Salzigkeit des Eis mischt sich m´ it dem weißen Süßwein aus der Rebsorte Muskat d’Alexandrie, der in Süditalien „Zibibbo" genannt wird. „Alla salute!" Fünf bis sechs Gerichte stehen dauerhaft auf der Karte – Pasta, Burger, Salat und ein tägliches Special.
Sie kosten acht oder neun Euro. Bei unserem Besuch sind es etwa der vegetarische „Etna Burger" und der rote „Pachino Burger" mit Salciccia. In einem pechschwarzen Burgerbrötchen mit hellem Sesam obenauf versteckt sich bei ersterem ein italienischer Streetfood-Klassiker: Panelle. Eine mit Kräutern und Knoblauch gewürzte Kichererbsenpaste wird in heißem Öl gebraten. Fertig ist das vegetarische Burger-Patty, das nicht nach alter Väter Sitte einfach nur in Weißbrot geklemmt wird. Sizilianisch modern heißt in diesem Fall: Ein mit Kokosnuss-Asche gefärbtes Burger-Brötchen umrahmt die Panelle-Scheiben. Eine Creme aus Frischkäse und Petersilie sowie rote Zwiebeln aus Giarratana kommen dazu. Ein Salat aus Blattspinat, Champignons, Zitrone und Parmesan lässt die Gegend um den Vulkan auf dem Teller ergrünen.
Die Foodie-Freundin und ich sind zudem schwer angetan vom roten Kollegen, dem „Pachino Burger" mit würziger Salciccia-Wurst. Aubergine, Feldsalat, Käse und salzige Süßkartoffel-Pommes begleiten das schärfere Modell. Nicht ganz so rot wie das pumuckelfarbene Brötchen, aber feurig angeschärft ist die Paprika-Sauce dazu.
Zuvor hatten wir uns bereits an einer in Türmchen geschichteten Parmigiana, einem Auberginen-Tomaten-Auflauf, erfreut. In Giulias Abwandlung kommt er mit gekochtem Schinken zu Parmigiano, also Parmesan-Käse, Tomaten und Basilikum daher. Dann lernen wir: sonntags gibt’s in Sizilien „Anelletti al Forno" – eine Nudeltorte aus den namensgebenden „Anelli", kleinen, ringförmigen Nudeln. Simone stellt eine prächtige ganze Pastatorte zum Fotografieren auf den Tisch. Sie wird mit „Ragú", also stückiger Fleischsauce, Bechamel, Gemüsen und Käse gebacken. „Im Sommer macht man sie beispielsweise mit frittierten Auberginen", sagt Giulia. „Eigentlich kann man alles hineingeben, was in der Woche übriggeblieben ist."
Die Freundin meint: „Das italienische Sonntagsessen ist eigentlich ein Resteessen." So wie ein samstäglicher Eintopf in Deutschland? Weit gefehlt, denn die Zubereitung der einzelnen Bestandteile ist so aufwendig oder unaufwendig wie bei jedem Auflauf. Alle Komponenten werden einzeln vorbereitet. Das Tortenstück mit den zerschnittenen Nudel-Kringeln, die Fleischstückchen und die Weichheit der Pasta erinnern mich an „Kinderessen": Nudeln, Saucen und Käse in gefälliger Form, die froh und glücklich stimmen.
Egal ob herzhaft oder süß – Simone ist der Mann mit dem Händchen fürs Gebackene. „Er macht die Kuchen und Süßigkeiten", sagt Giulia, während sie am Tresen einem Gast einen Espresso zubereitet. „Ich bin mehr der Typ Panini." Der Blick schweift ausführlicher über den Tisch-Tresen. Belegte Panini, italienische Sandwich-Brötchen, stehen unter einer Glasglocke zur Auswahl. Wer ein Cornetto zum Frühstück mag, findet die italienischen Hörnchen in Spanholzdosen. Mit Pistazien, Crema, Schoko oder mit „Leer" gefüllt, wie ein Schild verheißt. Leer sind ebenfalls noch die Cannoli unter einem Glassturz. Sei es zum Frühstück als süßer Happen oder wie bei uns zum abschließenden Kaffee – Simone füllt die knusprig frittierten Blätterteigröllchen immer frisch vor den Augen der Gäste mit Ricotta-Creme und Schokotupfen. Eine Puderzuckerwolke staubt in den Raum, als wir versuchen, das Gebäck in zwei Bissen zu verzehren. Nichts ist mit Anmut, viel mit Gebröckel. „Emmanuele isst das mit so einer Grandezza", sagt die Freundin mit Blick auf den italienischen Fotografen. „Bei uns sieht das nur aus wie Unfall."
„Erste Tage der süßen italienischen Sünden" Ende November
Vielleicht wäre „unfallfreies Dolci-Essen" ein Thema für Simones Workshops am 22. und 23. November im Rahmen der „First Italian Guilty Pleasure Days"? Bei den „Ersten Tagen der süßen italienischen Sünden" bieten vom 20. bis 26. November 15 italienische Lokale und Feinkostläden für jeweils vier Euro die Möglichkeit, eine italienische Süßigkeit plus einen Kaffee oder eine Schokolade zu probieren. Die italienische Feinschmecker-Community ist in Berlin sehr rührig; das „Orlando" mittendrin. Ein Etikett der Vereinigung „True Italian" klebt an der Tür.
Am 13. Dezember wiederum zieht ein Teil der Küche vom „Orlando" sogar vor die gläserne Eingangstür. Am Lucia-Tag gibt es „Arancini, die Königin des sizilianischen Streetfood", verrät Giulia. Die mit Safran orangegolden gefärbten und gefüllten Reisbällchen müssen frittiert werden; das ist nicht in der Küche möglich. Sicher ist: Die Arancini finden auch an einem kalten Dezembertag auf der kleinen Bürgersteig-Terrasse ihre Abnehmer. Sonst wird einfach innen unterm Kronleuchter und unter dem aufmerksamen Blick der Mauren, die in Gestalt von Keramikköpfen über den Gastraum wachen, weitergespeist.