Diane Kruger spielt in Fatih Akins neuem Film „Aus dem Nichts" eine Frau, deren Familie bei einem Anschlag getötet wird.
Am Morgen bringt Katja (Diane Kruger) ihren sechsjährigen Sohn ins Büro ihres Mannes. Am Abend explodiert eine Bombe und tötet Vater und Kind. Sprichwörtlich „Aus dem Nichts" wird die Frau aus ihrem gewohnten Leben gerissen. Plötzlich muss sie sich mit einem unendlichen Schmerz und unkontrollierbaren Rachegefühlen auseinandersetzten – und mit der Erkenntnis, dass das Rechtssystem nicht immer für Recht im System sorgt.
Fatih Akin nimmt sich mit seinem neuen Film „Aus dem Nichts" ein Stück deutscher Gegenwartsgeschichte vor. Der Regisseur („Tschick" 2016, „Soul Kitchen" 2009) hat sich durch die fremdenfeindlichen Morde des NSU (Nationalsozialistischer Untergrund) und durch den Prozess um Mittäterin Beate Zschäpe inspirieren lassen. Ein gewagtes Filmprojekt: Leicht hätte „Aus dem Nichts" ein Krimi werden können, der im reinen Nacherzählen stecken bleibt oder der es wegen des geringen zeitlichen Abstands an Distanz vermissen lässt. „Aus dem Nichts" aber ist ein spannender, sehr emotionaler Film, der rechtzeitig die NSU-Vorlage verlässt und gegen Ende die Zuschauer noch einmal verblüfft.
Die Vergangenheit kommt ans Licht
Diane Kruger spielt die Frau mit Namen Katja. Sekerci heißt die blonde Deutsche mit Nachnamen, weil sie den Türken Nuri Sekerci geheiratet hat. Mit Sohn Rocco und einem Haus am Stadtrand von Hamburg steht dem Glück der kleinen Familie eigentlich nichts mehr im Wege. Dass Nuri früher einmal mit Drogen gedealt hat ist ein Aspekt, der zur Vergangenheit gehört und mit der Familie erst einmal nichts mehr zu tun hat. Auf den Tisch kommt die Drogen-Geschichte erst, nachdem die Polizei das Neonazi-Paar Edda (Hanna Hilsdorf) und André Möller (Ulrich Friedrich Brandhoff) als Verdächtige verhaften konnte und das Paar vor Gericht steht. Katja – in ihrer Trauer völlig versteinert – nimmt als Nebenklägerin am Prozess teil. Bei Prozessende muss sie erneut einen Schock verkraften. Ihr Anwalt (Denis Moschitto) konnte trotz vieler belastender Beweise nicht verhindern, dass der Verteidiger (Johannes Krisch) in der Vergangenheit des Ermordeten gräbt und geschickt Zweifel an der Schuld der Angeklagten streut. Sie werden freigesprochen.
Fatih Akin verlässt an dieser Stelle – also nach etwa der Hälfte des Films – die Nähe zum NSU. Es geht den Rest des Films um die Kluft zwischen Recht und Gerechtigkeit, um den Unterschied zwischen staatlicher Justiz und privatem Rechtsgefühl sowie um die Frage, wie eine Frau den gewaltigen und gewalttätigen Verlust von Mann und Kind bewältigen kann. Mit diesen Aspekten schickt Akin seine Hauptfigur Katja auf einen Rachetrip. Eine an sich gute Idee, denn so erhält „Aus dem Nichts" ein neues Thema, dessen weiteren Verlauf der Zuschauer nicht voraussagen kann. Oder doch? Wird Katja zum Racheengel, zu einer blonden Version von „Ein Mann sieht Rot" oder „Django Unchained"? Tatsächlich kratzt der Film in seiner zweiten Hälfte an so manchem Klischee. Das ruiniert aber nicht den insgesamt positiven Eindruck über den Film, weil er sich mit einer Szene am Ende wieder auf die realen Ereignisse der NSU-Anschläge bezieht und erneut für eine Wende sorgt.
Kruger überzeugt in ihrer Rolle
Was „Aus dem Nichts" auch sehenswert macht, ist die Hauptdarstellerin. Diane Kruger überzeugt als sorgende Mutter ebenso wie als verzweifelte Witwe und als Frau, die hasserfüllt den richtigen Weg zu gehen glaubt. „Aus dem Nichts" ist der erste deutsche Film Krugers, die aus dem Raum Hildesheim stammt und als Fotomodell Karriere machte. Für die Rolle der Katja in „Aus dem Nichts" hat Diane Kruger bereits den Darstellerpreis beim Filmfestival in Cannes 2017 bekommen – ein beeindruckender Karriereschritt für Kruger, die bei ihrem Karrierestart mit Wolfgang Petersens „Troja" (2004) noch sehr blass auf der Leinwand erschien. In Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds" (2009) zeigte die Norddeutsche einen beeindruckenden Leinwand-Tod. Es folgten unter anderem der Science-Fiction-Film „Seelen" (2013) und die TV-Serie „The Bridge" (2014). Möglich, dass „Aus dem Nichts" auch den Filmpreis Nummer eins erhält. Für die Oscar-Verleihung 2018 geht Fatih Akins Arbeit ins Rennen um den Preis für den besten ausländischen Film.