Philipp Kessler ist der neue Cheftrainer der HG Saarlouis. Der Ex-Spieler und Co-Trainer beerbt Jörg Bohrmann, den der Verein nach drei überdeutlichen Ligapleiten in Folge am vergangenen Wochenende freistellte. Mit dem neuen Coach soll wieder Stabilität einkehren.
Die 19:29-Blamage letzte Woche in Essen war eine zu viel: Handball-Zweitligist HG Saarlouis stellte danach Cheftrainer Jörg Bohrmann frei. Co-Trainer und Ex-Spieler Philipp Kessler übernimmt vorerst bis zum Saisonende. Das erste Spiel unter seiner sportlichen Leitung gewann Saarlouis mit 33:24 gegen den HC Elbflorenz Dresden. Doch schon im zweiten Spiel setzte es auswärts bei den Rhein-Vikings in Düsseldorf eine schmerzhafte 19:28-Klatsche.
„Die sportliche Entwicklung mit dem schlechtesten Torverhältnis von allen ließ uns keine andere Wahl. Sie zeigte in den letzten vier Wochen nicht nach oben und ist auch nicht gleichbleibend, sondern es ist sogar eine Verunsicherung eingetreten", erklärt der HG-Vorsitzende Richard Jungmann, der dem geschassten Bohrmann „unbestrittene menschliche Qualitäten" zuspricht, aber: „Es fehlt die Kontinuität. Das trägt nicht dazu bei, dass die Spieler den Freiraum haben, ihre individuellen Qualitäten voll in die Waagschale zu werfen." Gerade einmal zwei Siege und ein Unentschieden gelangen den Saarländern in den elf Ligaspielen. 5:17 Punkte und das katastrophale Torverhältnis von 262:317 bedeuteten Platz 15 in der Tabelle – nur einen Punkt vor einem Abstiegsplatz.
Auswärts ohne Punkt
„Das ist eine große Herausforderung für mich und gleichzeitig eine riesige Wertschätzung des Vereins, mir das Vertrauen auszusprechen. Ich habe mich dafür entschieden und will die Chance nutzen", sagt Philipp Kessler. Die Zeitspanne zwischen Angebot und Zusage bot ihm keinen Spielraum zur „reiflichen Überlegung": „Die Nacht war recht kurz, wir kamen erst um drei Uhr zu Hause an, und dann musste ich noch zu einer Veranstaltung an die Schule. Ich wurde irgendwann gebeten, zu einer Vorstandssitzung zu kommen, und dann ging alles ganz schnell", berichtet Kessler. Der 32-jährige Lehrer für Wirtschaft und Sport besitzt die Trainer-B-Lizenz und will die Chance nutzen, „mit dieser Mannschaft etwas zu bewegen und die gesetzten Ziele schnellstmöglich zu erreichen." Perspektivisch muss er dafür die Trainer-A-Lizenz machen, die man als Zweitligatrainer nach einer Übergangsphase braucht. Noch in der letzten Saison gehörte er selbst zum Kader, bevor er im Sommer seine Spielerkarriere beendete und Co-Trainer wurde. Für die nächsten Tage und Wochen nimmt er sich Folgendes vor: „Wir müssen Automatismen in unser Spiel bekommen. Das wird in der Abwehr ganz wichtig sein, um im Angriff mehr Stabilität zu finden. Das sehe ich als meine größte Aufgabe an." Um diese zu erfüllen, opfert Kessler wieder mehr Freizeit für den Handball. Lehrerberuf und Trainerposten scheinen sich allerdings kombinieren zu lassen: „Ich arbeite ja weiterhin mit unserem Athletiktrainer Yannic Wilhelmi zusammen, der nach wie vor zwei Einheiten am Vormittag übernimmt. Dazu habe ich das Glück, dass es mein Stundenplan zulässt, an zwei Vormittagen selbst vor Ort sein zu können", erklärt Kessler, „Die Details müssen demnächst noch geklärt werden. Ohnehin muss sich das alles erst einspielen." Trotz der vielen Mehrarbeit, die auf ihn zukommt, ist sich Kessler sicher: „Das kriege ich schon hin."
Mit dem Ex-Cheftrainer nahm der Verein der Mannschaft auch ein Alibi. Hinter vorgehaltener Hand wurde die taktische Ausrichtung schon länger kritisiert – nach der 18:26-Heimpleite gegen Coburg dann sprach Torwart Patrick Schulz öffentlich darüber, dass er sich eine andere Abwehrformation als das offensive 3-2-1 gewünscht hätte. In seinem letzten Spiel für die HG ließ Jörg Bohrmann sein Team mit einer 6-0-Deckung agieren, was passabel funktionierte. Doch der Angriff versagte mal wieder. Zahlreiche Chancen wurden nicht genutzt und dadurch gegen schnelle Essener zu leichte Gegentore provoziert. „Keiner hat gegen den Trainer gespielt. Die Jungs wollten das Spiel gewinnen, und die freien Bälle wurden auch nicht mit Absicht verworfen. Entscheidend ist, was danach geschieht, nachdem der Ball verworfen wurde", findet Kessler und erklärt: „Dann muss man sich auf ein System stützen können, das von Stabilität geprägt ist. Die Aktion muss abgehakt werden, es muss mit Vollgas nach hinten gehen und das Team, also alle 14 Spieler, holen sich den Ball gemeinsam in der Abwehr wieder zurück." Die Geschlossenheit in der Abwehr und Abläufe, auf dies sich die Spieler verlassen können, sind für Kessler der Schlüssel für gelungene Aktionen im Angriff. Nur so können weitere peinlich hohe Niederlagen vermieden werden, was bisher nicht gelungen ist. „Das wird eine große Aufgabe", weiß Kessler. „Letzten Endes ist das auch ein Autoritätsproblem. Ich denke, dass Philipp diese Autorität mitbringt", sagt Richard Jungmann, der sich ein Engagement des HG-Eigengewächses über das Saisonende hinaus sehr gut vorstellen kann: „Wenn das machbar ist, würden wir diese Zusammenarbeit gerne weiterführen. Philipp Kessler ist ein Mann, der nicht nur die Autorität, sondern auch den sportfachlichen Hintergrund hat, sich hier zu etablieren."
„Klare Struktur und Stabilität"
Leichter wird die Situation allerdings nicht. Noch hat die HGS auswärts keinen Punkt geholt. Im Heimspiel gegen Dresden zog sich Führungsspieler Peter Walz eine schwere Knieverletzung zu und wird mehere Monate ausfallen. „Das ist für uns natürlich eine mittlere Kastastrophe. Peter ist vor allem auch wegen seiner Mentalität sehr wichtig für uns", sagte Kessler. Ex-Junioren-Nationalspieler Michael Schulz muss nun in die Bresche springen.
Es liegt nun in Kesslers Hand, die richtigen Akzente zu setzen und die Spieler wieder dazu zu bringen, ihre bestmögliche Leistung abzurufen. „Das haben wir zuletzt leider nicht geschafft", muss er eingestehen und kündigt an: „Mir einer klaren Struktur und der nötigen Stabilität wollen wir Punkte einfahren." Die nächste Gelegenheit bietet sich am Samstag. Dann kommt Dessau in die Stadtgartenhalle. „Wir brauchen dringend Punkte", sagt Kessler.