Museen ziehen Diebe an. Kunst gilt als sichere Wertanlage. Sammler geben Unsummen aus, Versicherungsgesellschaften zahlen „Lösegeld“. Und trotz ausgefeilter Sicherheitstechnik gelingt immer wieder ein spektakulärer Coup.
Ein Diebstahl ist für einen Museumsdirektor eine der schlimmsten Nachrichten überhaupt“, sagt Michael Eisenhauer, Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin. Möglicherweise meint er den 28. März 2017. Da erfuhr die Welt, dass Diebe am Abend zuvor eine 100 Kilogramm schwere Goldmünze aus dem Bode-Museum entwendet hatten, die „Big Maple Leaf“. Von ihr gibt es weltweit nur fünf Exemplare. Ihr Wert: 3,7 Millionen Euro. Die nachträgliche Rekonstruktion des Diebstahls ergab, dass die Räuber offenbar über eine Leiter von der S-Bahn-Trasse eingedrungen waren. Sie zerschlugen die Fenster, zertrümmerten die mit Panzerglas gesicherte Vitrine, schoben das schwere Goldstück mit einer Schubkarre durchs Museum und seilten sich ab.
Vier mutmaßliche Täter wurden inzwischen gefasst, einer davon aus dem Wachbereich des Bode-Museums. „Die aktuellen Ermittlungen der Polizei betreffen auch zwei Personen, die als Servicekräfte für die Staatlichen Museen zu Berlin gearbeitet und dies ausgenutzt haben, um gegen die Museen tätig zu werden und diese zu schädigen“, erklärt René Allonge, Dienstleiter der Abteilung Kunstdelikte beim LKA Berlin.
Wenn Insider mitmischen
Das ist die eine Methode: Museumsleute oder externe Dienstleister beteiligen sich selbst an dem Raub und stellen ihr Insiderwissen zu Verfügung. So wie in München, wo 19 Kunstwerke im Gesamtwert von 2,5 Millionen Euro des international bekannten Künstlers Georg Baselitz gestohlen wurden. Nicht aus dem Museum, nein, aus einer Spedition. Das Bayerische Landeskriminalamt hat inzwischen 15 Gemälde sichergestellt, vier fehlen noch. Ein Tatverdächtiger raubte die Werke aus dem Lager einer Spedition nahe München, in der er als Fahrer beschäftigt war. Die Bilder gab er an zwei weitere Verdächtige, ebenfalls aus der Speditionsbranche, weiter. Der Diebstahl war nur mit Insiderwissen möglich.
Die jahrelangen Kunstdiebstähle in der St. Petersburger Eremitage und im Moskauer Staatsarchiv entpuppten sich 2006 ebenfalls als Insidergeschäft. Der Ehemann der ehemaligen Museumskonservatorin, dessen Sohn, ein Universitätsprofessor und ein Antiquitätenhändler hatten im Laufe der Jahre 221 Meisterwerke der russischen Goldschmiedekunst und Emaillearbeiten im Wert von 3,9 Millionen Euro entwendet.
Ein Alarmanlagenexperte stiehlt 2003 das kunstvoll gearbeitete goldene Salzfässchen des florentinischen Schmieds und Bildhauers Benvenuto Cellini aus dem Kunsthistorischen Museum in Wien. Das Fässchen, die „Saliera“, ist rund 50 Millionen Euro wert. Der Dieb fordert drei Jahre später zehn Millionen Euro Lösegeld, wird dann aber von der Polizei festgenommen.
Die Alarmanlage war schon installiert, aber noch nicht betriebsbereit, als in der Nacht zum 14. Dezember 1979 Diebe in Gotha zuschlugen. Sie entwendeten fünf Gemälde aus Schloss Friedenstein. Der Raub gilt als der schwerwiegendste Kunstraub in der Geschichte der DDR. Gestohlen wurden Gemälde von Frans Hals, Jan Brueghel dem Älteren, Anton van Dyck und Hans Holbein dem Älteren. Von den Bildern fehlt bis heute jede Spur.
Diebesgut wird global gehandelt
Die andere Methode ist schlicht Brutalität. In Schottland setzten Diebe einer Aufseherin ein Messer an die Kehle, um eine Leonardo-Madonna zu stehlen. In Norwegen stürmten 2004 Maskierte das Munch-Museum mit abgesägten Schrotflinten. Auch beim Raubüberfall auf das „Musée des Beaux-Arts Jules Chéret“ 2010 in Nizza waren Waffen im Spiel. Dazu passt, dass Kunstwerke immer häufiger von der organisierten Kriminalität und sogar auf Bestellung gestohlen werden. Diese Kunstwerke werden dann als Geldanlage, zur Geldwäsche oder als Zahlungsmittel verwendet.
Dabei gibt es immer wieder sehr skurril ablaufende Diebstähle. 2008 wurden aus der Sammlung E.G. Bührle in Zürich vier Gemälde von Vincent van Gogh, Claude Monet, Paul Cézanne und Edgar Degas gestohlen. Die Ermittler sprachen von dem größten Kunstdiebstahl in Europa. Etwa eine Woche später wurden die gestohlenen Bilder von Monet und van Gogh in Zürich auf der Rückbank eines gestohlenen Autos entdeckt.
Kein anderes Bild gelangte so oft in die Hände von Dieben wie Rembrandts Porträt von Jacob de Gheyn III. Zwischen 1966 und 1986 wurde es vier Mal aus der Londoner Dulwich Picture Gallery gestohlen, viermal wieder aufgefunden – unter anderem unter einer Bank auf einem Friedhof oder auf dem Gepäckträger eines Fahrrades. Mittlerweile wird das Bild mit speziellen Sicherheitsvorkehrungen bewacht.
Das Bundeskriminalamt hat für 2016 insgesamt 1.483 Fälle von Kunstdiebstählen erfasst. 308 Fälle (21 Prozent) konnten aufgeklärt, 383 Tatverdächtige ermittelt werden. Illegaler Handel mit Kulturgut aus Raubgrabungen, zerstörerische Plünderungen von antiken Kultstätten und Kunstraub aus Kirchen, Museen und Sammlungen stehen neben Geldwäsche, Korruption, Drogen-, Menschen- und illegalem Waffenhandel mittlerweile weltweit an oberster Stelle krimineller Aktivitäten. Laut dem bayerischen LKA entstehen jährliche Schäden in Höhe von fünf Milliarden US-Dollar. Nach Angaben des Art-Loss-Registers werden Kunstwerke von Picasso, Miró und Chagall am häufigsten entwendet.
In Berlin werden bis zu 40 Prozent der Kunst- und Antiquitätendiebstähle aufgeklärt. Damit liegt die Aufklärungsquote deutlich höher als bei einem normalen Diebstahl. Das LKA verfügt über ein gut funktionierendes Netzwerk aus Kunstexperten, Händlern und Auktionshäusern.
Spätestens, wenn die Objekte oder Gemälde auf dem Kunstmarkt angeboten werden, erhält die Polizei in der Regel Informationen. Aber das kann manchmal auch Jahre dauern. So ist der Kunstraub der Spitzweg-Gemälde aus dem Schloss Charlottenburg im Jahre 1989 immer noch unaufgeklärt. „Wir sind für jede Möglichkeit dankbar, diesen Kunstraub immer wieder in der Öffentlichkeit in Erinnerung zu rufen. Auch nach über 25 Jahren gehen wir zweckdienlichen Hinweisen nach, um die Bilder wiederzufinden“, sagt René Allonge. Die Bilder „Der Liebesbrief“ und der „Der arme Poet“, damals geschätzter Wert jeweils über eine Million Mark, raubten ein Rollstuhlfahrer und sein unauffälliger Begleiter – und das trotz Alarmanlage. Die Belohnung von 10.000 D-Mark steht noch aus.
Warum stehlen Diebe immer wieder Werke, die sie schwerlich auf dem Kunstmarkt verkaufen können, weil sie einfach zu bekannt sind? Oft besteht der Grund simpel darin, sie den Versicherungen unter dem Versicherungswert wieder anzubieten und so ein „Lösegeld“ zu erzielen. Manchmal verschwinden Gemälde auch in Tresoren oder privaten Depots. Die Besitzer hoffen, sie später als Geldanlage zu versilbern. Oder sie sind superreich und können es sich leisten, ihren eigenen van Gogh im Tresor hängen zu haben.
„Wir denken ständig über unser Sicherheitskonzept nach und versuchen es anzupassen. Da sich im Sprengel-Museum noch kein Diebstahl ereignet hat, könnte man daraus den Rückschluss ziehen, dass unsere Sicherheitsvorkehrungen bislang ausreichend und erfolgreich waren. Ob das auch für die Zukunft gilt, kann man natürlich jetzt nur hoffen“, sagt Reinhard Spieler, Direktor des Sprengel-Museums Hannover. Zwei Picasso-Gemälde aus dem Sprengel-Museum hat es 2008 trotzdem erwischt: Das Museum hatte die vier Millionen teuren Bilder in die Schweiz ausgeliehen. Mithilfe von Scotland Yard fand der Diebstahl ein gutes Ende: Beide Werke „Verre et pichet“ (Glas und Krug) und „Tête de cheval“ (Pferdekopf) wurden nach drei Jahren Suche unbeschadet aus Serbien wieder nach Hannover zurückgebracht. „Die Lehren daraus: die Sicherheitsstandards werden vor Leihzusagen extrem akkurat und streng geprüft. Wenn es für uns erkennbare Sicherheitslücken gibt, stimmen wir einer Ausleihe nicht zu”, stellt Reinhard Spieler klar.
Ebenfalls ein gutes, aber sehr ungewöhnliches Ende nahm der Kunstraub von zum Teil unvollendeten Bildern des Malers Markus Lüpertz. Dem bekannten Maler wurden Ende 2015 mehr als 30 Bilder aus seinem Atelier entwendet. Sein Appell an die Diebe, ihm die Bilder einfach wieder vor die Tür zu stellen hatte Erfolg. Alle Gemälde, bis auf eins, tauchten nach knapp zwei Monaten wieder auf. Sie galten in der Kunstszene als unverkäuflich, auch, weil sie nicht fertig und zum Teil unsigniert waren.