Jede Fälschung hat ihre Zeit: Oft sind Menschen weniger an Fakten interessiert als daran, was sie gerne glauben möchten. Betrüger nutzen das aus – und fälschen Reliquien, Van-Gogh-Gemälde oder Hitler-Tagebücher.
Es war eine Sensation. Historiker bestätigten die Echtheit, Graphologen sprachen von der Originalhandschrift. Selbst das Bundesarchiv war überzeugt. Bis Gutachten des Bundeskriminalamts und der Bundesanstalt für Materialprüfung zweifelsfrei ergaben, dass die bei der Buchbindung verwendeten Materialien erst nach dem Zweiten Weltkrieg hergestellt worden waren. Und dass das Papier optische Aufheller enthielt, die erst seit 1950 eingesetzt werden. Die Hitler-Tagebücher waren als Fälschung des Jahrhunderts entlarvt.
Das war 1983. Seitdem sind keine verschollenen Tagebücher prominenter Zeitgenossen mehr aufgetaucht. Sollten irgendwann einmal geheime Kohl-Tagebücher erscheinen, wird man sie wohl nur mit sehr spitzen Fingern anfassen.
Konrad Kujau, der Fälscher, landete seinen Coup vor 34 Jahren. Alle Zutaten stimmten: Kujau hatte sich eine schlüssige Story über die Herkunft ausgedacht: Flugzeug stürzt kurz vor Kriegsende mit einer Kiste voller Tagebücher ab. Er hatte Zeitzeugen und Experten zur Hand. Und er kannte seine möglichen Abnehmer, denn er handelte mit Nazi-Devotionalien – darunter angebliche Werke Hitlers, wie Handschriften, Zeichnungen und Gemälde, die er selbst angefertigt hatte. Sein Gespür trog ihn nicht: Die Öffentlichkeit reagierte elektrisiert, der „Stern“ zahlte am Ende 9,1 Millionen D-Mark für die 62 Bände.
Was macht Fälschungen so erfolgreich? Sie müssen in die Zeit passen – dann wird ihnen geglaubt. Die Päpste beriefen sich jahrhundertelang auf die Konstantinische Schenkung aus dem 4. Jahrhundert, die ihnen den Vatikan und das gesamte restliche Abendland überschrieb. Obwohl bereits im Mittelalter Bedenken laut wurden, dass es sich um eine Fälschung handele, dauerte es bis zum 19. Jahrhundert, bis der Vatikan dies zugab. Mächtig ist der Glaube an Fälschungen auch dann, wenn wie bei den Reliquien eine heilende Wirkung im Spiel ist. Fügte man alle Splitter vom Heiligen Kreuz zusammen, die in den katholischen Wallfahrtsorten aufbewahrt werden, käme wohl ein ganzer Wald von Kreuzen zustande.
Auf dem Kunstmarkt gelten noch andere Gesetze. Fälscher müssen wissen, wann welche Kunstwerke Konjunktur haben. 1890 starb Vincent van Gogh, ohne mit seinen Bildern jemals Erfolg gehabt zu haben. Sie waren überall verstreut, es gab kein Verzeichnis. Sein Bruder Theo erbte einige, Vincent hatte seinen Freunden Bilder geschenkt, bei der Familie und bei einem Pariser Kunsthändler lagerten welche. Um 1900 begann die Bekanntheit des Meisters zu steigen. Von Jahr zu Jahr wurde van Gogh berühmter. Bereits 1911 erwarb ein Berliner Sammler für viel Geld eine Variante der „Sonnenblumen“, die heutige Spezialisten für eine Fälschung halten. 1928 mussten Berliner Galerien Bilder von van Gogh von den Käufern zurückkaufen. Insgesamt 33 Gemälde wurden zu Nachahmungen erklärt. Otto Wacker, der verantwortliche Galerist, behauptete, die Gemälde stammten von einem russischen Privatsammler. Doch im Prozess gegen ihn wurden sich die Sachverständigen nicht einig, welche Bilder nun echt waren und welche nicht.
Modigliani hätte nie alle Bilder malen können
Der italienische Künstler Amedeo Modigliani starb 1920 mit 35 Jahren an Tuberkulose, seine Geliebte folgte einen Tag später durch Selbstmord. Auch von ihm gibt es kein Werkverzeichnis, er hinterließ fertige und halbfertige Gemälde. In den 1950er- und 1960er-Jahren tauchten immer mehr Modiglianis auf – Bilder im Stile des Künstlers, keine Kopien. Die waren en vogue, zu etwas Geld gekommene Bürger begannen Kunst zu kaufen. Heute sind so viele Modiglianis auf dem Markt, wie er sie in seinem kurzen Leben nie hätte malen können. Ähnlich ging es mit den Giacometti-Figuren, jenen dünnen, langen Plastiken, die eine Zeit lang in jedem zweiten besseren Haushalt standen. Im August 2009 entdeckte die Polizei in einem geheimen Lagerhaus in Mainz 1.000 Gips- und Bronzefiguren, die ein Kunsthändler als echt verkaufte. 2012 wurden sie eingeschmolzen.
Gute Fälschergeschichten sind beliebt. In Büchern und Filmen werden geschickte Nachahmer gerne als gewitzte Außenseiter gefeiert, die den Restauratoren, Kunsthändlern, Professoren und Experten, die sich auf dem Kunstmarkt tummeln, ein Schnippchen schlagen. Die Fälscher selbst sind oft schillernde Persönlichkeiten, die sich nicht selten als verkannte Künstler sehen. Wolfgang Fischer, der sich später nach seiner Frau Beltracchi nannte, war so ein Filou, der geschickt die Kunstwelt täuschte. Aufgeflogen sind die Beltracchis nach zwei Jahren verdeckter Ermittlungen im August 2010. Sie hatten mit Gemälden aus zwei Sammlungen gehandelt, die angeblich auf den Kunsthändler Alfred Flechtheim zurückgehen. Das besagte jedenfalls ein Aufkleber auf der Rückseite der Bilder. Flechtheim musste 1933 aus Deutschland fliehen und konnte nur einen Teil seiner Sammlung retten – so die Legende. Die Story war gut, und als die Bilder wieder auftauchten, platzte die Fachwelt vor Neugier. Nur dass die Max Pechsteins, Heinrich von Campendonks und Max Ernsts (um nur die bekanntesten zu nennen) allesamt aus dem Atelier von Wolfgang Beltracchi stammten. Der Aufkleber hatte sie verraten: Beltracchi verwendete modernen Klebstoff. Das Ehepaar legte 2011 ein umfassendes Geständnis ab. Wolfgang kam mit sechs Jahren Haft davon, die er allerdings als Freigänger verbüßen konnte. Seine Frau erhielt vier Jahre, war aber schon 2013 wieder auf freiem Fuß.
Die Beltracchis stilisierten sich in der Öffentlichkeit als geniale Künstler, drehten einen Film über ihr Leben und verkauften später für teures Geld „echte Beltracchis“. Auch das ist ein Phänomen, das viele berühmte Fälscher auszeichnet: Sie wurden vom Publikum nicht verurteilt, sie wurden zu Helden. So wie zum Beispiel Han van Meegeren, der Gemälde im Geiste Vermeers schuf. Weil er es schaffte, NS-Funktionär Hermann Göring ein falsches Gemälde für viel Geld anzudrehen, wird er heute noch in den Niederlanden gefeiert.
Der Fälscher als gefeierter Volksheld
Und immer noch sind selbst die renommiertesten Galerien nicht vor Fälschungen gefeit. In der Berlinischen Galerie in Berlin-Kreuzberg hing jahrelang ein Relief aus Holz, das der russische Künstler Wladimir Lebedew in den 20ern geschaffen haben soll. Sein Wert wurde auf 300.000 Euro geschätzt. Ende 2015 sinkt sein Wert auf Null, das Bild verschwindet kommentarlos aus der Ausstellung. Ein Kunsthändler hatte eine Untersuchung veranlasst. Dabei stellte sich heraus, dass ein in dem Relief benutztes weißes Holzstück ein Pigment enthält, das es erst seit den 40ern gibt.
Das zeigt: Die Methoden, Fälschungen zu erkennen, haben sich im Laufe der Jahre verfeinert. Ein traditionelles Verfahren ist der Stilvergleich – ein Kunsthistoriker stellt das Werk anderen Werken des Künstlers gegenüber. Wirklich vertrauen sollte man in diesem Fall aber nur einem wirklichen Kenner, der keine finanziellen Interessen verfolgt. Restauratoren können mit einem Fadenzähler erkennen, ob eine Leinwand oder eine Farbschicht alt ist oder nicht: Sie zählen die feinen Brüche in der Oberfläche.
Neu sind die technischen Finessen. Man kann Bilder röntgen, Farben chemisch analysieren und über die Radiokarbonmethode das Alter des Materials bestimmen. Eine dritte Möglichkeit, eine Fälschung zu entlarven, haben die Provenienzforscher. Sie können aus der Herkunft eines zweifelhaften Kunstobjekts ableiten, ob da eine Legende gesponnen wurde oder ob es echt ist.
Diese Herkunftsbezeichnungen spielen eine wesentliche Rolle, wenn es um den Handel mit Antiken geht. Das hessische Landeskriminalamt ist vor einiger Zeit auf einen schwunghaften Handel mit Kunstwerken aus Syrien und dem Irak aufmerksam geworden. Das hing mit dem Vormarsch des sogenannten Islamischen Staats zusammen. Der IS zerschlägt nicht nur antike Bauwerke, er hat sich auch den Handel mit Ausgrabungen in seinem Kriegsgebiet unter den Nagel gerissen. Alles, was wertvoll ist, wird mit schön präparierten Herkunftsbezeichnungen langsam in den Markt eingespeist. Der schottische Archäologe Neil Brodie von der Universität Glasgow weiß, wie das geht: „Wenn Sie in London bei einem Händler ein irakisches Objekt kaufen wollen, bekommen Sie eine Provenienz. Zum Beispiel aus einer jordanischen Familiensammlung seit den 1950er-Jahren. Oder erworben vom Vater des Besitzers, als er im Eisenbahnbau im Irak tätig war. Ob Sie diese glauben, ist Ihre Sache – wahrscheinlicher ist, dass das Stück aus einer frischen Raubgrabung stammt.“
Gier nach den Werken erleichtert den Betrug
Kleine Antikendealer versorgen die Straßenhändler in den Touristikzentren. Wertvolle Stücke – ob gefunden oder gefälscht – finden ihren Weg in die prächtigen Verkaufsgalerien im Genfer Zollfreilager oder in Dubai, bis sie schließlich auf Antikenmessen oder beim Auktionator landen, den die Herkunft der heißen Ware nicht mehr interessiert.
In Deutschland soll das nicht mehr so einfach gehen. Mitte 2016 ist das Kulturschutzgesetz in Kraft getreten: Es soll verhindern, dass Deuschland zum Abnehmer geraubter Werke aus dubiosen Quellen wird. Das Ziel hat Kulturstaatsministerin Monika Grütters so formuliert: „Künftig soll nach Deutschland nur dann ein Kunstwerk aus einem anderen Staat eingeführt werden, wenn es eine Ausfuhrgenehmigung des Herkunftsstaates bei sich trägt.“
Perfekte Fälschungen sind nur die, die niemals entdeckt werden. Aber da Menschen, wenn sie meinen, sie müssten ganz dringend dieses oder jenes Kunstobjekt haben, leicht zu täuschen sind, werden Fälscher immer Erfolg haben. Also trifft niemals allein die Fälscher die Schuld. Denn schon die alten Römer wussten: Die Welt will betrogen sein – also soll sie betrogen werden.