Einst im Schuldienst führen sie nun im Düsseldorfer Landtag das große Wort. Nach dem Rückzug von Fraktionschef Marcus Pretzell, verheiratet mit Frauke Petry, nutzen die verbliebenen AfD-Hardliner das Parlament zunehmend für gezielte Provokationen.
Immer häufiger macht sich Fremdschämen breit, wenn Abgeordnete der AfD im Düsseldorfer Landtag das Rednerpult verlassen. „Wenn ich fassungslos bin, werde ich nicht laut, sondern sprachlos“, sagt der nordrhein-westfälische Europa- und Bundesratsminister Stephan Holthoff-Pförtner (CDU), als er in der Parlamentsdebatte zum Partnerschaftsabkommen mit Ghana das Wort ergreift. Der 68-jährige Minister mit den feinen Manieren hat erkennbar Probleme, die Contenance zu bewahren. „Schreiben Sie doch mal nieder, was Sie in Wahrheit sagen und denken“, ruft er seinem Vorredner aus der AfD-Fraktion hinterher. „Das wäre befreiend für Ihre Wähler“ Während der vorigen Plenarwochen habe er im Düsseldorfer Landtag „eine Aufführung von Max Frischs ‚Biedermann und die Brandstifter‘“ erlebt.
In der Ghana-Debatte hatte der AfD-Landtagsabgeordnete Roger Beckamp nicht über Partnerschaft, sondern von Bedrohung gesprochen. In düsteren Szenarien malte er eine „Bevölkerungsexplosion“ auf dem afrikanischen Kontinent an die Wand. Dort werde sich die Bevölkerung bis 2050 auf zwei Milliarden Menschen verdoppeln und Europa überfremden, tönte der Rechtsanwalt aus Köln. „Die Migration wird sich in unsere Richtung ergießen.“
Seitdem die AfD mit 7,4 Prozent bei der Landtagswahl am 14. Mai dieses Jahres in den Düsseldorfer Landtag eingezogen ist, geben dort Rechtspopulisten und Rechtsausleger den Ton an. Längst haben die Nationalisten und Völkischen die wenigen Realpolitiker marginalisiert. Zunächst war die 16-köpfige Fraktion von Marcus Pretzell geführt worden, der sich gerne mundflink als Pragmatiker inszenierte und den AfD-Landesverband im bevölkerungsreichsten Bundesland wie eine Ich-AG führte.
Abweichler rund um Pretzell
Gemeinsam mit seiner Ehefrau Frauke Petry hat Pretzell die AfD wegen zunehmender Radikalisierung verlassen. Zwei weitere Abgeordnete der Landtagsfraktion folgten ihm. Jetzt sitzt das fraktionslose Trio in der letzten Plenarreihe des Düsseldorfer Landesparlaments und denkt offenbar über eine Parteineugründung unter dem Namen „Die Blauen“ mit weiteren Abweichlern nach. Im Stadtrat des westfälischen Iserlohn hat sich die dreiköpfige AfD-Fraktion bereits aufgelöst und firmiert dort fortan als „Blaue Fraktion“.
Gegenwärtig wird spekuliert, dass Pretzell in den kommenden Wochen alte Gefolgsleute aus der verbliebenen AfD-Landtagsfraktion keilen könnte. Verlassen vier weitere Parlamentarier ihre Fraktion, würde die AfD ihren Fraktionsstatus und reichlich Steuergelder verlieren. Aus offenkundiger Furcht vor diesem Bedeutungsverlust schlägt die Rechtsaußen-Fraktion im Düsseldorfer Landtag immer radikalere Töne an. Ihr neuer Wortführer ist der stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende Helmut Seifen, der vor seinem Einzug in das Landesparlament als Schulleiter am Gronauer Gymnasium tätig war. Der 63-jährige Deutsch- und Geschichtslehrer, der wegen angeblicher Überfremdung als erstes den Englischunterricht an den nordrhein-westfälischen Grundschulen abschaffen will, bedient sich nach Auffassung der Grünen bei seinem politischen Vokabular aus dem „Wörterbuch des Unmenschen“.
In der Landtags-Debatte um einen gemeinsamen Europantrag von CDU, SPD, FDP und Grünen schleuderte Seifen den von ihm verachteten „Altparteien“ ein ganzes Arsenal des deutschtümelnden Stahlhelmer-Vokabulars entgegen: „Vernichtung der Nationalstaaten“, „Beseitigung der Meinungsfreiheit“, „Entmündigung“, „Herrschaftseliten“, „Pharisäerhafte Gesinnungsdespoten“, „Fürsorgeindustrie von Kirchen und Wohlfahrtsverbänden“, „Jakobiner des 21. Jahrhunderts“. Für die schulpolitische Sprecherin der Landtags-Grünen, Sigrid Beer, ähneln „Vokabular und Tonlage“ des AfD-Lautsprechers Seifen der Skandal-Rede von Björn Höcke am 17. Januar in Dresden. Dort hatte der thüringische AfD-Chef das Berliner Holocaust-Mahnmal als „Denkmal der Schande“ bezeichnet.
Zwar konnte sich Seifen nach dem Parteiaustritt von Pretzell nicht als AfD-Fraktionschef im Düsseldorfer Landtag durchsetzen. Doch der ihm in einer Kampfabstimmung überlegene Markus Wagner, der in Bad Oeynhausen eine Privatklinik betreibt, hat auch eine schillernde politische Vergangenheit. In Hamburg gehörte der heute 52-Jährige lange der rechtsextremen Schill-Partei an. In der Öffentlichkeit kokettiert Wagner gerne mit der Adoption eines dunkelhäutigen Kindes aus Haiti. „Ihm hätte ein Leben als Sklave gedroht.“
Treuer Vasall Gaulands
In seiner Partei ist der undurchsichtige Unternehmer ein treuer Gefolgsmann des völkischen Flügels um Alexander Gauland. Dessen umstrittene Aussagen zur deutschen Wehrmacht und Migrations-Staatsministerin Aydan Özogus verteidigte Wagner. Gaulands Zitate würden in den Medien „immer aus dem Zusammenhang gerissen“, beklagte Wagner. Auf Nordrhein-Westfalen hat der im rheinland-pfälzischen Unkel geborene AfD-Fraktionschef seine eigene Sicht: „Wir leben in einem Bundesland, in dem sich die Regierung einen Kopf ums Kükenschreddern gemacht hat, aber nichts getan hat, um die Zahl der Abtreibungen zu senken.“
Als rhetorischer Scharfmacher in der AfD-Landtagsfraktion gilt der Warendorfer Abgeordnete Christian Blex, der wie sein Parteifreund Seifen vor seiner Parlamentskarriere als Gymnasiallehrer tätig war. Der 42-Jährige posierte im Landtagswahlkampf mit Beatrix von Storch und André Poggenburg, die neben Höcke als maßgebliche Strategen des national-völkischen Flügels in der AfD gelten. Für Blex sind Flüchtlinge „die neuen Eindringlinge“. Er spricht von einer „ungeordneten Massenzuwanderung unvorstellbaren Ausmaßes“, die „uns unserer eigenen Identität berauben wird“. In der Politik von Flüchtlings-Kanzlerin Angela Merkel sieht er beinahe einen „Putsch gegen unserer Volk“.
Als Blex für die AfD in den Warendorfer Kreistag eingezogen war, beantragte er umgehend die Entfernung des dunkelblauen Europa-Sternenbanners aus dem Kommunalparlament. „Wie kann ein demokratischer Politiker, der seine Kraft dem Kreis Warendorf widmen möchte, ruhigen Gewissens unter der Europaflagge sitzen?“ Eine Wahlempfehlung bekam Blex von der „Patriotischen Plattform“, die zwischenzeitlich im Visier des Verfassungsschutzes steht. Der Diplom-Mathematiker und Kernenergie-Befürworter spricht inflationär oft von „Staatsfernsehen“ und „Lügenpresse“. Die Grünen nennt er „Gutmenschen-Gender-Low-Carb-Fantasten“.
Die einstigen Oberstudienräte Höcke, Seifen und Blex sind offenbar AfD-Brüder im Geiste. Wie könne es sein, dass der AfD-Fraktionsvize Seifen mit seinem völkischen Vokabular einmal Direktor eines Gymnasiums in Nordrhein-Westfalen gewesen sei, fragt die grüne Schulexpertin Beer fassungslos. Immerhin Europaminister Holthoff-Pförtner, ein bekennender Katholik, kann der Wahl Seifens in den Landtag noch etwas Gutes abgewinnen: „Herr Ex-Schuldirektor, danken wir Gott, dass die Kinder von Ihnen befreit sind.“