Die Silfra-Spalte in Island gilt als Hotspot für Taucher. Durch das Aufeinandertreffen der amerikanischen und eurasischen Erdplatte entstand in dem eisigen Blau eine atemberaubende Unterwasserwelt.
Island, eine Insel voller eindrucksvoller Naturgewalten und -phänomene. In keinem Land habe ich bisher diese Extreme so erlebt wie hier. Hochaktive Vulkane, Polarlichter, Europas größter Gletscher, sprudelnde Geysire, glasklare blaue Seen, zahlreiche Thermalquellen, Landschaften in giftgrün mit schwarzer Lava oder weißem Schnee bedeckt – ein wunderschönes Farbenspiel und eine imposante, malerische Landschaft. Ich stehe hier, und es kommt mir surreal vor. Kenne ich diese Bilder doch sonst nur aus bekannten Reisemagazinen – und plötzlich stehe ich in dieser Kulisse. Es ist nicht verwunderlich, warum Island schon mehrfach als Schauplatz zahlreicher Filme oder Serien wie „James Bond“ oder „Game of Thrones“ diente.
Sichtweite bis zu 130 Metern
Auf dieser Reise geht für mich ein lang gehegter Lebenstraum in Erfüllung. Wer ist schon einmal im Eiswasser geschnorchelt oder getaucht? So nenne ich das Gewässer in der Silfra-Spalte. Das ist der Ort, wo die amerikanische und die eurasische Erdplatte aufeinandertreffen. Unsere gesamte Erde liegt auf solchen Platten, die sich ständig bewegen. Hier in Island kann man zwischen solchen Kontinentalplatten schnorcheln oder tauchen und dabei einen Blick ins Innere der Erde erhaschen. Im Meeresboden erstreckt sich ein knapp 20.000 Kilometer langer Riss, der Mittelatlantische Rücken im Atlantik. Genau auf dieser Naht liegen unter anderem die Azoren. Einst schoss so viel Lava daraus empor, dass sich die Vulkane erhoben und auch Island entstand. Mit jedem Ausbruch driften die Erdplatten weiter auseinander – pro Jahr sind es rund sieben Millimeter. Zwischen den Platten sind tiefe Gräben entstanden, darunter die Silfra-Spalte. Sie ist mit eiskaltem Wasser gefüllt, das eine knapp 1.000 Jahre lange Reise vom entfernten Langjökull-Gletscher hinter sich hat. Das ganze Jahr über bleibt die Wassertemperatur konstant zwischen null und drei Grad Celsius.
Das Lavagestein ist ein optimales Filtersystem, das für Trinkwasserqualität sorgt. Die Silfra-Spalte soll das klarste und sauberste Wasser der Welt enthalten. Das wiederum sorgt beim Tauchen für eine Sichtweite von bis zu 130 Metern. Das kristallklare Wasser und die einzigartigen Lavafeldformationen sind nur zwei Gründe, darin zu schnorcheln oder zu tauchen, die beeindruckenden Aussichten die anderen. Im Vorfeld beschäftigten mich viele Fragen. Kann man bei der glasklaren tiefen Sicht Höhenangst kriegen, auch wenn man unter Wasser ist? Ich leide unter extremer Höhenangst, auch wenn ich schon den Eiffelturm, den Pico del Teide und den Kölner Dom bestiegen habe. Wie kalt fühlt es sich tatsächlich an, trotz Trockenanzug? Die tiefste Stelle in der Silfra-Spalte beträgt 63 Meter. Kann ich trotz Anzug untergehen?
„Lasst euch einfach treiben“
Unsere Gruppe von acht Leuten zieht sich in einem extra bereitgestellten und beheizten Transporter um. Lange Thermounterwäsche und warme Strümpfe musste jeder selbst mitbringen. Ein wärmender Overall, ein Trockenanzug und Schnorchel werden uns von Dive.is gestellt. Vorab kann ich schon sagen, dass die größte Herausforderung der gesamten Tour für mich das An- und spätere Ausziehen des engen Trockenanzugs samt Kopfbedeckung und Handschuhen war. Und das ging auch dem Rest der Gruppe so. Ist man einmal im Anzug drin, stellt sich prompt die Frage, wie man später wieder rauskommt. Alles muss eng anliegen, sodass kein Wasser eindringt.
Bei manchen, wie auch bei mir, wird an Hals und Handgelenken zusätzlich mit Klebeband gearbeitet. Das wirkt erst einmal beklemmend, ist aber bei dem Gedanken, gleich im zwei Grad kalten Wasser zu schnorcheln, auf jeden Fall die bessere Option. Der Trockenanzug fühlt sich ungewohnt schwer an. Bevor es losgeht, gibt uns unser Schnorchel-Guide einige Tipps und Hinweise. Der Trip als solcher dauert etwa 35 Minuten. Länger ist aufgrund der kalten Temperaturen für den Körper kaum machbar. Vom Parkplatz aus marschieren wir knapp 200 Meter weit zur Spalte. Über eine Stahltreppe gelangen wir in das Gewässer. Mit jedem Schritt ins Wasser zieht sich der Anzug zusammen – ähnlich wie bei einem Vakuum. Lediglich die Luft im Brustbereich ermöglicht es uns, zu floaten und nicht unterzutauchen. „Lasst euch einfach treiben und paddelt ein wenig mit den Flossen”, sagt unser Guide. „Ihr könnt nicht untergehen.”
Von oben wirkt alles noch unscheinbar. Ich lege mich auf den Bauch. Wasser schießt in die Handschuhe und in den Kopfbereich. Obwohl Catherine Jane es angekündigt hat, überkommt mich ein mulmiges Gefühl. Doch das ist normal. Der Rest bleibt trocken. Unsere Schnorcheltour beginnt in einem Vorbecken mit etwa 15 Metern Tiefe. Über schroffe Felsen, die gerade einmal knapp einen halben Meter unter meiner Brust liegen, gelangen wir in das Höhlensystem der Silfra. Nach zwölf Minuten sind meine Zeigefinger taub, aber das ist in dem Moment irrelevant. Es verschlägt mir den Atem! Passiert das gerade wirklich? Die Schönheit dieses Ortes und meinen Gefühlszustand kann ich kaum in Worte fassen. Man muss das einfach selbst erlebt haben. Schnorcheln in der blauen Unendlichkeit. Vor lauter Gucken und Staunen bin ich stets die Letzte in der Gruppe, die immer wieder hinterherschwimmt.
Abstrakte Felsen in vielen Farben
Die Spalte wirkt unendlich groß und tief, einfach atemberaubend. Mich überkommt Ehrfurcht. Wie klein man doch plötzlich in dieser Welt wirkt. Unsere gesamte Erde liegt auf diesen Platten. Diese Schnorcheltour stellt sich schnell als etwas ganz Besonderes und Einzigartiges heraus. Ich weiß nicht, wohin ich als erstes schauen soll. Die abstrakten Felsformationen in verschiedenen Farben, dann das tiefe Blau des Wassers, und ich treibe dazwischen. An manchen Stellen kann man beide Kontinentalplatten berühren. Im Moment befinde ich mich gleichzeitig in Amerika und Europa. Wahnsinn!
Am Ende der Tour befinden wir uns in der Silfra-Lagune, die einen Durchmesser von etwa 120 Metern hat. Das Wasser ist so klar, dass ich aus der weiten Entfernung schon die Ausstiegstreppe sehen kann. Unglaublich, wie schnell die Zeit verfliegt. Beim Ausstieg bin ich dazu geneigt, mir umgehend die mit Wasser gefüllten Handschuhe auszuziehen. Doch Catherine Jane rät mir, diese noch anzubehalten, sonst würde zu viel Wärme von meinem bereits kühlen Körper abgehen. Am Parkplatz ziehe ich sie endlich aus und bemerke da erst die doch funktionierende Wirkung der isolierenden Neoprenhandschuhe.
Mein Fazit: Das Erlebte lässt sich kaum in Worte fassen. Die gesamten Eindrücke verarbeite ich erst hinterher. Adrenalin pur, ein absoluter Gefühlsrausch und eine einmalige Erfahrung, die man einfach einmal gemacht haben muss.