Seit alters her sind sie aus der Naturmedizin nicht mehr wegzudenken: Heilpflanzen. FORUM Gesundheit gibt einen Überblick über die Einsatzgebiete der wichtigsten traditionellen Heilpflanzen und besucht eine Kräuter-Expertin in Thüringen.
Der Sommer hat sich längst verabschiedet. Draußen ist es kälter geworden. Die Zeit der warmen Stuben und der heißen Tees hat begonnen. Da erleichtert eine gute Mischung aus Holunderblüten oder Holunderbeeren, aus Zimt und Ingwer den Übergang in den grauen November. Wer sich jetzt bereits mit einer verschnupften Nase, mit Husten oder Magenverstimmung herumplagt, tut gut daran, zunächst auf Heilpflanzen zu setzen, um den Körper auf sanfte Art abzuhärten oder zu kurieren. Denn pflanzliche Mittel gelten als gut verträglich und trotzdem als potente Helfer. Ob Heiserkeit, Schlafschwierigkeiten oder Venenleiden – Heilpflanzen können bei den unterschiedlichsten Gesundheitsproblemen helfen.
So wirken beispielsweise die goldgelben Blütenköpfchen der Kamille, die wie eine Sonne anmuten, gegen vielerlei Beschwerden – von Bauchweh bis Halsschmerzen. Sie helfen gegen Entzündungen, Leberleiden, bei Blähungen und Völlegefühl, sie entspannen verkrampfte Muskeln im Magen-Darm-Bereich.
Bereits im Mittelalter entdeckten Kräuterkundige auch die positive Kraft der Kamille gegen Atemwegserkrankungen. Die Pflanze wirkt antibakteriell, hemmt das Wachstum von Bakterien. Schon den Germanen galt die Kamille als heilig: Sie weihten die Pflanze dem Lichtgott Baldur, dem Gott der Reinheit und Schönheit. Kamille war die Blume des Sonnengottes.
Die echte Kamille blüht von Mai bis September. Sie wächst auf Äckern, Brachland und Schuttplätzen. Man kann mit ihr den Mund spülen bei Zahnfleischentzündung oder gurgeln, wenn der Hals durch eine Erkältung bereits gereizt ist. Bei Husten und Schnupfen lässt sich Kamille auch inhalieren. Beschwerden, die durch Hämorriden oder Infektionen im Anal- und Genitalbereich ausgelöst werden, lassen sich durch Sitzbäder mit Kamille lindern. Auch Kamille-Cremes können bakteriell bedingte Hautstörungen wie die Akne mildern.
Schon die Ahnen schätzten Heilkräuter
Kein neuer Trend, denn schon zu allen Zeiten verehrten die Menschen die Flora und Fauna ihrer umgebenden Landschaft. Die Kelten und Germanen schätzten besonders die Misteln. Sie sollen vom Himmel gefallen sein, hieß es. Misteln galten deshalb als heilig, wurden als wundersame Pflanzen angesehen. Die Mistel wird erst in den Wintermonaten, wenn die Bäume kahl sind, richtig sichtbar. Dann wächst sie in Kugelform auf verschiedenen Baumarten und saugt den Bäumen Wasser und Nährstoffe aus. Sie gilt als ein Allheilmittel und wird vor allem gegen Bluthochdruck, bei Herzschwäche, Arteriosklerose, Fieber, Nervenschwäche, Kopfschmerzen, Schwindel, Arthrose, Rheuma, Ekzemen, Heuschnupfen und begleitend bei der Krebsbehandlung eingesetzt. Allerdings ist Vorsicht bei den Beeren der Mistel geboten, denn die sind leicht giftig.
In Europa zählte der Wacholder zu den wichtigsten rituellen und heilenden Pflanzen. Er war beliebt, weil er die Verdauung anregte und nach altem Glauben böse Hexen und Geister abwehrte. Die Germanen sahen im Wacholder ein Symbol des ewigen Lebens und schätzten ihn als Sonnenweihrauch.
An manchen Orten werden die weiten Hänge, Wiesen und Auen sogar als „Apothekenwiese" bezeichnet. Am thüringischen Hörselberg beispielsweise gedeihen im Sommer duftende Kräuter und Heilpflanzen zur Linderung und Verhütung von Krankheiten. Nicht umsonst ist diese Wiesenapotheke für die Hörselberger so etwas wie eine „botanische Schatztruhe". Eine regelrechte „Arzneiausgabestelle", sagen die Leute hier. In dem kleinen Dorf Waltershausen wohnt Heidrun Diringer in einem alten Fachwerkhaus am Fuße des Hörselberges. Manche der Bewohner nennen sie eine moderne Kräuterhexe. Sie ist ein Tausendsassa, 73 Jahre alt. Doch der Tag ist immer zu kurz. Sie sprudelt über vor lauter Energie. Von der legendären Wiesenapotheke am Hörselberg hat sie sich viele Kräuter in ihren Garten geholt. Die gelernte Floristin schöpft aus dem uralten Erfahrungsschatz der kräuterkundigen Vorfahren. „Gegen jedes Leiden ist mindestens ein Kraut gewachsen", sagt sie und scheint sie alle zu kennen.
Ein einziges Kräuterparadies
Gemütlich und urig ist es in ihrem kleinen Kräuterhaus. Heidrun Diringer rührt eine heiße Gemüsebrühe in ihrem Topf und gibt allerlei Kräuter hinzu. „Da habe ich hier zum Beispiel die fein gehackte Vogelmiere. Viele sagen immer ‚Ha, das frisst ja unser Vogel‘. Dabei enthält die Vogelmiere ganz viel Vitamin C." Die Vogelmiere kann das ganze Jahr über geerntet werden. Zubereitet in Speisen regt sie das Verdauungssystem an sowie den Stoffwechsel. Nicht nur Salate und Kräuterquark, sogar Suppen können mit ihr verfeinert werden. Die Suppe in Heidrun Diringers Kochtopf enthält aber nicht nur Vogelmiere, sondern auch fein gehackten Löwenzahn und Barbarakraut. „Beide beinhalten reichlich Bitterstoffe, die wir für die Leber, den Darm, für den Magen und für die Galle benötigen." Das Barbarakraut bleibt bis Anfang Dezember in voller Kraft. Es wirkt appetitanregend, blutreinigend, harntreibend und wundheilend. Der Geschmack dieser Heilpflanze ist dem der Kresse sehr ähnlich. „Vom Löwenzahn esse ich die Wurzeln, die Blätter, die Blüte, den Stengel. Er hat Bitterstoffe, die wir brauchen. Löwenzahn setze ich sogar mit Schnaps an, also die Löwenzahnwurzeln. Und wenn ich Sodbrennen bekomme, dann nehme ich eine Verschlusskappe voll in den Mund, trinke ein Glas Wasser hinterher, und das Sodbrennen ist weg", sagt Heidrun Diringer. Blüten der Königskerzen helfen gegen Verschleimung. Aus Baumharz macht sie Creme. Die Kräuterkennerin mag die Vielfalt der Heilpflanzen. „Die einen sind scharf, andere lieblich, die nächsten bitter oder mild. Ich sage immer, es ist eine Sinfonie auf der Zunge." Heidrun Diringer bewahrt das alte Heilwissen, das sie von den Großeltern und die wiederum von ihren Eltern übernommen haben. Schon die sammelten die Kräuter von der Wiesen-Apotheke.
Gesammelte, getrocknete und an Strippen aufgefädelte Kräuter liegen und hängen bei Heidrun Diringer im Haus. Täglich nutzt sie diese als Smoothie, für das Süppchen, den Tee oder als Likörchen.
Heidrun Diringer zeigt auf ein Weckglas, auf dem Schafgarbe steht. „Die ist gut zur Beruhigung für den Darm. Man kann die Blüten auch mit hinein in die Badewanne legen. Entspannend ist die Schafgarbe auch bei Beschwerden in den Wechseljahren."
Gold im Herzen und Silber auf dem Kleide
Heidrun Diringer macht noch auf eine weitere Pflanze aufmerksam, die sie im Herbst gesammelt hat. „Er liebt mich … er liebt mich nicht", sagt sie verschmitzt. Mit diesem
Spruch war ihr das Gänseblümchen schon als Schulmädchen bekannt. Dabei kann die Blume viel mehr als eine heimliche Liebe voraussagen. Auch sie hat Heilwirkungen. Die Blüten der Gänseblümchen wirken aufgrund des hohen Saponinanteils auswurffördernd bei Husten, antibiotisch und immunstimulierend. Außerdem regt die Pflanze Verdauung und Stoffwechsel an, ist entzündungshemmend, wundheilend, leicht schmerz- und krampflindernd. Innerlich angewendet, kann das Gänseblümchen bei festsitzendem Husten helfen, indem ein aus Blüten und Blättern zubereiteter Tee getrunken wird. Außerdem dient dieser zur Anregung des Stoffwechsels bei Hauterkrankungen und bei Rheuma. Schön anzusehen ist das Blümchen auch noch, eine Augenweide auf jedem Salat. Schon bei Hans Christian Andersens Märchen „Das Gänseblümchen" hieß es: „Welch liebliche, kleine Blume mit Gold im Herzen und Silber auf dem Kleide!"