Sie erfreut sich großer Beliebtheit bei naturheilkundlich orientierten Therapeuten und Patienten: Homöopathie. Doch mittlerweile formiert sich eine starke Anti-Homöopathie-Bewegung, getragen von Ärzten, Wissenschaftlern und Medien. Klare, robuste Forschungsergebnisse sind rar – sowohl bei Befürwortern als auch bei Gegnern.
Werbekampagnen für Medikamente sind nichts Besonderes. Aber eine Online-Kampagne gegen Medikamente? „Susannchen braucht keine Globuli" ist so eine Gegen-Kampagne. Sie richtet sich an Eltern und möchte sie von der Unwirksamkeit homöopathischer Behandlungen überzeugen. Urheber der Kampagne ist ein Skeptiker-Verein namens „Netzwerk Homöopathie". Dessen Mitglieder, darunter die ehemalige homöopathische Ärztin Natalie Grams, wollen Homöopathie noch nicht mal als Teil der Naturheilkunde anerkennen. Auch manche Politiker schießen scharf. Prof. Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses, kritisiert etwa die Verschreibungsfähigkeit homöopathischer Medikamente. „Ich halte es für eine große Errungenschaft in unserem Gesundheitssystem, dass die Gesundheitsversorgung in Deutschland auf der Grundlage der evidenzbasierten, also beweisgestützten, Medizin erfolgt", so Hecken. „Die eingeschlagene Richtung ‚Wissen statt Glauben‘ ist nicht umkehrbar und hat den Patientenschutz enorm gestärkt. Deshalb sollten Leistungen wie die Homöopathie ohne klaren Beleg für Wirksamkeit und Nutzen nicht noch dadurch geadelt werden, dass sie von Kassen als Satzungsleistungen bezahlt werden." Hecken fordert, die gesetzlichen Vorgaben enger zu fassen.
Dieses Jahr mussten Homöopathen einen weiteren Gegenschlag einstecken: Der Wissenschaftliche Beirat der Europäischen Akademien (EASAC) hat kürzlich eine kritische Empfehlung zum Umgang der EU-Staaten mit Homöopathie veröffentlicht. Darin heißt es, dass die Erklärungsmodelle zur Wirkungsweise von Homöopathie unplausibel und mit etablierten wissenschaftlichen Konzepten unvereinbar seien. Der Beirat erkennt lediglich einen Placebo-Effekt an, aber keine Wirksamkeit darüber hinaus. Dagegen sieht der Beirat sogar eine Gefahr für Patienten und bemerkt zur Homöopathie, „dass diese dem Patienten erheblichen Schaden zufügen kann, wenn es zu Verzögerungen bei der Suche nach evidenzbasierter medizinischer Versorgung kommt …" Die Wissenschaftler empfehlen daher unter anderem, öffentliche Gesundheitssysteme sollten homöopathische Behandlungen nur dann erstatten, wenn sie nachweislich wirksam und sicher seien.
Aber existieren wirklich keine Wirkungsnachweise, wie es die Homöopathiegegner vorbringen? Antwort: Nichts Genaues weiß man nicht. So etwa könnte man den aktuellen Stand der Wissenschaft zusammenfassen. Fans der Homöopathie können nicht zweifelsfrei beweisen, dass diese Therapieform wirklich Krankheiten heilen kann aufgrund einer arzneilichen Wirkung der verabreichten Medikamente. Umgekehrt können ihre Gegner aber auch nicht zeigen, dass diese Arzneien bloß Hokuspokus wären. Tatsächlich dreht sich die Diskussion weniger um die Therapie als Ganzes, wie sie von einem geschulten Homöopathen angewendet wird. Vielmehr konzentriert sich der Streit um die Mittel, die berühmten Globuli (Perlchen) und Tropfen mit ihren nach Art der homöopathischen Lehre stark bis extrem stark verdünnten Arzneistoffen. Dass sich Patienten nach einer homöopathischen Behandlung oftmals besser fühlen und nach eigenem Empfinden schneller genesen, wird regelmäßig durch Umfragen bestätigt und auch von Gegnern meist anerkannt. Kritiker wollen aber diese Wirkung nur auf psychosoziale Effekte zurückgeführt wissen, darunter das Kümmern des Arztes oder Heilpraktikers sowie der Glaube an die Wirkung des Medikaments. Den Globuli an sich aber sprechen ihre Gegner jedwede Wirkung ab, die über einen Placebo-Effekt, also die Kraft der Einbildung, hinausginge. Dies also ist der Zankapfel: Wirken homöopathische Arzneimittel besser als reine Zuckerperlchen ohne jeden Arzneistoff, ohne Verschütteln und Potenzieren? Oder gibt es da einen Unterschied?
In Großbritannien, Hochburg der Homöopathie-Kritik, sitzt ein Institut, das für die wissenschaftliche Anerkennung von Globuli und Co. kämpft: das Homeopathy Research Institute HRI in London. Sein Leiter, der Physiker Dr. Alexander Tournier, erforschte an der Uniklinik Heidelberg die Biophysik des Wassers und möchte dem Wirkungsmechanismus homöopathischer Medikamente auf die Spur kommen. Das HRI findet zahlreiche Argumente pro Homöopathie. Und hält es für Humbug, dass ihre Wirkung nicht belegt wäre. „Bis Ende 2014 wurden 189 randomisierte kontrollierte Studien zur Homöopathie bei 100 verschiedenen Erkrankungen in peer-reviewed Zeitschriften veröffentlicht", so Tournier. „Darunter fallen 104 Studien, die Placebo-kontrolliert und für eine weitere detaillierte Bewertung infrage kommen. 41 Prozent davon fielen positiv aus – sie stellten fest, dass Homöopathie wirksam ist. Fünf Prozent fielen negativ aus, 54 Prozent waren nicht eindeutig." Zum Vergleich führt er eine Analyse von 1.016 systematischen Übersichtsarbeiten zu schulmedizinischen Behandlungen an. „Hier fielen 44 Prozent positiv aus, sieben Prozent negativ und 49 Prozent waren nicht eindeutig." Somit wäre auch der Wirkungsnachweis herkömmlicher Medikamente nicht 100-prozentig möglich. Hierbei fällt aber auf, dass die Zahl der verwertbaren Studien zur sogenannten Schulmedizin fast zehn Mal größer ist als die der Homöopathiestudien. Deshalb lassen sich hier keine ausreichend genauen Vergleiche ziehen. Und hier liegt auch gleich das größte Problem der Wissenschaft: Es wurde bisher zu wenig geforscht. Die vorliegenden Ergebnisse, ganz gleich, ob pro Homöopathie oder contra, reichen nicht aus, um zu einem klaren, abschließenden Urteil zu kommen. Diesen Forschungsrückstand sieht auch das HRI und findet ihn „nicht überraschend, wenn man bedenkt, welch verschwindend geringe Finanzmittel für die Forschung im Bereich ‚Komplementär- und Alternativmedizin‘ (CAM – Complementary and Alternative Medicine) bereitgestellt werden. In Großbritannien beispielsweise werden nur 0,0085 Prozent des gesamten Haushalts für medizinische Forschung im Bereich CAM ausgegeben, wovon Homöopathie lediglich ein Beispiel ist", so Alexander Tournier. Sein Institut führt mehrere Studien an, die die Wirksamkeit einzelner homöopathischer Mittel belegen. Darunter die Mittel Galphimia glauca gegen Heuschnupfen und Oscillococcinum zur Behandlung von Grippe, aber auch das Komplexmittel Vertigoheel gegen Schwindel. Auch hier räumt Tornier ein: „Zur Bestätigung der Ergebnisse dieser vielversprechenden Studien ist mehr Forschung notwendig, insbesondere in Form groß angelegter Wiederholungen durch andere Forschungsteams."
Besonders mau sieht es beim Wirkungsmechanismus der homöopathischen Heilkunst aus. Die Wirkstoffe werden stark verdünnt. Homöopathen nennen das Potenzieren. Chemisch betrachtet enthalten sehr hohe Potenzen keinerlei Wirkstoff mehr. Doch wie wirkt eine Arznei, die nach chemisch-analytischer Betrachtungsweise gar nicht wirken dürfte? Hier existiert noch besonders viel Forschungsbedarf.
Bis dahin gilt: Wie Homöopathie wirken soll, weiß niemand. Ob sie wirkt, und wenn ja, wie stark, ist immer noch nicht vollständig erforscht. Sie aber als unwirksam abzutun, weil ihre Wirkung naturwissenschaftlich betrachtet unplausibel erscheint, ist nicht wissenschaftlich korrekt.