Es scheint ansteckend zu sein: Alexandre Couillon, aktueller „Koch des Jahres“ im Mutterland des Restaurantführers „Gault&Millau“, war vorigen Sonntag zu Gast bei Christian Bau auf Schloss Berg. Nur einen Tag später wurde der Gastgeber zum deutschen „Koch des Jahres“ gekürt. Über ein Treffen zweier Qualitätsfanatiker.
Manche Geschichten kann man sich nicht ausdenken. Ob Christian Bau an die Macht des Schicksals glaubt? „Nein“, lacht er. „Mit Alexandre beschäftige ich mich schon seit meinem Gastauftritt im „Hangar 7“ voriges Jahr.“ Das Event-Restaurant „Ikarus“ im Salzburger „Hangar 7“ hat ein besonderes Konzept entwickelt: Das dortige Küchenteam lässt sich von einem Spitzenkoch ein komplettes Menü beibringen, bietet es ein paar Wochen an, bis zum nächsten Gastkoch. Als Christian Bau vergangenens Jahr in Salzburg war, löste er Alexandre Couillon ab. „Ich lernte ihn und seine fantastische Küche kennen, und nur wenige Tage später wurde er ,Gault&Millau-Koch des Jahres‘ in Frankreich“, erzählt Christian Bau. Die beiden schlossen Freundschaft, und Bau lud seinen Kollegen zum gemeinsamen „4-Hands-Dinner“ ins „Victor’s Fine Dining“ nach Perl-Nennig ein. „Dass ich nun genau einen Tag nach seinem Besuch nun auch ,Koch des Jahres‘ werden würde, ist purer Zufall.“
Für viele Feinschmecker ist Alexandre Couillon, Jahrgang 1975, der große Shooting Star, das Gesicht der neuen, jungen Haute Cuisine Frankreichs. Dabei wirkt Couillon völlig unkompliziert, bescheiden, locker. Keine „Wir sind der kulinarische Nabel der Welt“-Attitüde. Vielleicht liegt es daran, dass er nicht zu den Pariser Superstars zählt, die ihre Sahnesößchen in vor Kronleuchtern glitzerden Prachthallen kredenzen. Couillon hat als junger Mann mit seiner Frau das elterliche Fischrestaurant in Noirmoutier übernommen. Auf der gleichnamigen Insel. Und es gibt wahrscheinlich keinen Ort, der gefühlt weiter weg ist vom Pariser Großstadt-Pathos. „La Marine“ heißt sein Fisch-Restaurant direkt am Hafen.
Alexandre Couillon liebt Purismus in Reinkultur
Auf Schloss Berg kocht Couillon im Wechsel mit Bau. Die Gerichte der beiden sorgen für einen spannungsvollen Wechsel – jeder hat einen ganz eigenen Stil. Bau setzt auf raffinierte Veredelung, Couillon liefert Purismus in Reinkultur. Was ihn zu seiner preisgekrönten Küche inspiriert? „Das Meer, der Ozean“, sagt er fast demütig. „Muscheln zum Beispiel koche ich nicht klassisch wie in der traditionellen französischen Küche üblich, also in einem Sud mit Wein und Gewürzen“, erklärt er. „Ich gare sie stattdessen in Meerwasser und bereite die Soße separat zu.“ Dafür aber ganz präzise auf den Punkt, so hat das Fleisch die gewünschte Konsistenz, den richtigen Eigengeschmack. „Ich möchte zu den Wurzeln vordringen“, sagt er. Das Wesen des Produkts möchte er zeigen, ohne Schnörkel, ohne Ballast. Ganz akribisch arbeitet der Perfektionist Couillon diese Natur des Produkts heraus.
Christian Bau ist beeindruckt. „Alexandre legt ja fast noch mehr Wert auf Produktqualität als ich“, sagt er. Wer Bau kennt, weiß, dass dies kaum möglich ist. Doch der Franzose hat gelernt, den Standortvorteil seines Restaurants direkt am Hafen von Noirmoutier geschickt zu nutzen. Couillon ist bekannt für die frischeste Küche, die man sich vorstellen kann. Da kommen die Pariser Stars nicht mir. Angefangen bei Meerestieren. „Ich arbeite mit Fischern zusammen, die mir die Ware lebend liefern“, erzählt er. Die Fische schlachtet er dann mit einer speziellen Technik, die für das Tier praktisch schmerzlos ist. Demut vor der Kreatur.
Und damit kommen wir zu den überraschenden Gemeinsamkeiten mit Christian Bau. Die erste ist der asiatische Einfluss. Ike Jime heißt die Schlachtungsmethode, die Couillon als Hospitanz in einem Drei-Sterne-Restaurant in Tokio erlernt hat (siehe Info). Sie sorgt für den besonderen Geschmack seines Fischs, der eben gar nicht nach Fisch schmeckt oder riecht wie sonst üblich. Die gleiche Methode bevorzugt auch Christian Bau, als erster Koch in Deutschland. Couillons Küche ist aber nicht so ausgeprägt japanisch inspiriert wie die von Bau. Er sieht sich in seiner Region verwurzelt. Kann man ihm nicht verübeln: Hier auf seinem Inselchen, in direkter Nachbarschaft zur Bretagne, kriegt er den besten Hummer der Welt, die besten Jakobsmuscheln fangfrisch in die Küche. Austernbänke und Salzgärten in Sichtweite. Damit hört der regionale Frische-Kult noch nicht auf. Alexandre Couillon baut sein Gemüse und seine Kräuter selbst an, sie wachsen im eigenen Garten hinter dem Restaurant. Ein Dessert mit Aromen der Insel Noirmoutier hat er auch nach Perl-Nennig mitgebracht: „Bois de la Chaize“ nennt er es. So heißt der idyllische Pinienwald zwischen dem Städchen Noirmoutier und dem Ozean.
Couillon und Bau verbindet die gemeinsame Liebe zu Meerestieren. Das Restaurant „La Marine“ mit seinen 20 Plätzen ist ähnlich klein und exklusiv wie das „Victor’s Fine Dining“. Ob er darin einen Vorteil sieht? „Ja, in der Tat“, findet Couillon. So könne man sich als Küchenchef intensiver mit jedem einzelnen Gericht beschäftigen, „mehr mit dem ganzen Herzen kochen“, wie er es beschreibt. Dass Couillon sein ganzes Herzblut ins Kochen steckt, nimmt man ihm sofort ab.
Auch im Privatleben können sich Bau und Couillon die Hand geben. Beide Küchenchefs arbeiten jeweils mit ihrer Frau zusammen. Seine Céline hat Alexandre Couillon schon mit 16 in der Schule kennengelernt. Das einzige, was dem jungen Kochtalent jetzt noch zum großen Glück fehlen dürfte, ist der dritte Michelinstern. Aber viele Gastrokritiker sind sich einig: Auch der wird bald den Weg zur Insel finden.
Doch wie findet der Franzose eigentlich die Kochkunst von Christian Bau? „Ganz fantastisch“, schwärmt Couillon. „Seine Küche ist sehr, sehr kreativ. Und man merkt die Erfahrung, die da drin steckt. Ich denke, auch seine Küche kommt von Herzen.“