Der „Palazzo" in Berlin geht in die nächste Runde. Noch bis 4. März verwöhnen Hans-Peter Wodarz und Kolja Kleeberg ihre Gäste mit Akrobatik, Tanz und kulinarischen Leckereien. Menü und Show können sich diesmal wieder sehen lassen.
Böse Zungen behaupten, dass es Hans-Peter Wodarz und Kolja Kleeberg beim neuen Standort des „Palazzo"-Zeltes hinter dem Bahnhof Zoo darum gegangen sei, möglichst kurze Wege zu ihren Wohnungen in Charlottenburg zu haben. Die beiden sind eben ein „altes Ehepaar", die in der fünften Saison miteinander das Dinnertheater im Spiegelzelt veranstalten. Sie nahmen sich beim Auftakt zur „Glanz & Gloria"-Show mit solchen Bemerkungen gegenseitig gern auf die Schippe. Dabei dürfte der Grund für den Wechsel an die Hertzallee einen schlichten pragmatischen Grund haben: Die verfügbaren Flächen für ein 370-Plätze-Zelt mit Küchen- und Garderoben-Containern sowie Gästeparkplätzen werden immer weniger. Am Ostkreuz, wo der „Palazzo" zuvor seinen Standort hatte, wird gebaut. Das Mäandern durch die Stadt gehört zur elfjährigen „Palazzo"-Geschichte und spiegelt die Dynamik der Shows in der Bewegung der Spielstätte durch die Stadt wider.
Der neue Standort im „alten Westen" hat seinen Reiz für die Besucher. Lichtinstallationen vom „Gottvater des Lichts", wie Hans-Peter Wodarz Lichtdesigner Andreas Boehlke nennt, weisen den Weg hinter den Bushaltestellen am Zoo in Richtung „Palazzo"-Eingang. Wer den Kopf noch einmal in Richtung City dreht, hat die ungewohnte und auch ungewohnt freie Sicht auf das Waldorf Astoria, Europa-Center und den Bahnhof. Beste Voraussetzungen also, um nach einem Blick auf die illuminierte Skyline West und auf das mannshohe, weiße Leuchtherz vor dem Entree zu einem glanzvoll-gloriosen Abend im Zelt zu verschwinden. Vier Gänge in den Menüs von Spitzenkoch Kolja Kleeberg wollen in den nächsten dreieinhalb Stunden in der Begleitung von Gesang, Akrobatik, Zauberei und zur Musik der Lonely Hearts-Band genossen werden.
Kolja Kleeberg hat in dieser Saison ein ausgesprochen elegantes Menü kreiert. Die Tomaten-Consommé zum Krustentier-Soufflé in der Tellermitte ist so volltomatig wie ein sommerliches Pomodori-Feld in der Toskana. Die Suppe ist im „Palazzo"-Menü traditionell der Mitmach-Gang: Die Gäste schöpfen die transparente Tomaten-Essenz aus der Terrine selbst. So klappt’s nicht nur mit den Geschmackserlebnissen und einem Nachschlag, sondern auch mit den Gesprächen mit den Nachbarn. Über marinierte Garnelen und Meeresprossen bei den einen. Über Basilikum-Soufflé und weiße Bohnen bei den vegetarischen anderen. Leichtfüßig wie beim Zwischengang geht’s bei der Akrobatin an einem in der Luft schwebenden Reifen zu: Mit der Kraft der Tomate in uns fühlen wir uns animiert, selbst einmal die Beine anmutig senkrecht im Spagat zu strecken oder uns mit allen Extremitäten in luftiger Höhe um den Ring zu wickeln. Ach nein, doch lieber nicht – die Grazie mit unsichtbarem, aber vollem Krafteinsatz überlassen wir lieber der trainierten Artistin Evelyne Allard.
Alle 1,7 Sekunden eine fertige Vorspeise
Ein Gast hatte besonders viel Mitspielerei zu verkraften. Sängerin und Moderatorin Miss Frisky gab ihm stellvertretend für „die deutschen Männer" in „denglishen" Dialogen und personalisiertem Gesang Flirtnachhilfe. Obacht also an den Tischen nahe der Bühne – Mitmachgefahr! Womöglich landet gar noch eine Rollschuh-Akrobatin zu Lachs oder Linsen auf dem Teller. Die Begleiterin hätte es keineswegs erheitert, wenn ihre vegetarische Vorspeise mit menschlicher Fleischeinlage angereichert worden wäre. Sie war von den Rote-Bete-Linsen mit Wildkräutersalat und gepufftem Wildreis sehr angetan. „Die Linsen sind auf den Punkt gegart, genau richtig bissig und nicht zu weich", sagt sie. „Und im Dressing steckt eine schöne Säure." Währenddessen lässt sich Myriam von Partner Mathieu nach Pirouetten und Flugvorstufen aus dem rotierenden Gewirbel nieder, um mit den Rollschuhen auf der kleinen, runden Bühne weiter zu kreisen.
Die spritzige Säure in der Soße stammt von der Tamarinde; die perfekte Zubereitung ist dem strengen Zeitplan und der uhrwerksartigen Taktung von Küchenteam und Service zu verdanken. Alle 1,7 Sekunden wird eine Vorspeise fertig: Ein Koch legt den Lachs auf, ein anderer fügt
Maracuja-Soße hinzu. Salat, Pumpernickel-Erde, getrocknete Aprikosen. Für jeden Handgriff ist eine Person zuständig. Das Anrichten ist Fließbandarbeit im wahrsten Sinne des Wortes: Die Teller fahren auf einem Band an den Köchen vorbei, damit innerhalb von zehn Minuten sämtliche Vorspeisen auf den Tischen sind. Für die richtige Zuordnung ist Restaurantleiter Enrico Steinke mit dem Klemmbrett in der Hand vor Ort zuständig. Die Gäste müssen ebenfalls mitmachen und ihre „Veggie"-Spielkärtchen für den Service gut sichtbar auf den Tischen auslegen. Ein Viertel der Gäste wählt inzwischen das vegetarische Menü, weiß Kolja Kleeberg. Auch auf Allergien oder vegane Wünsche kann die Küche eingehen. Eine frühzeitige Anmeldung hilft. Die Küche kann trotz großgastromischer Anforderungen mit den Extras umgehen und hohe Qualität schicken – nur nicht zu spontan.
Ich bin mit meinem Menü mit Fisch und Fleisch sehr zufrieden. Zumal auch das rosa gebratene Kalbsfilet im Steinpilz-Brotmantel mit einigen Flocken Liebstöckelsalz die Leichtigkeit im Hauptgang fortführt. Die Ente macht in dieser Saison Pause. Müssen sich nach zehn Jahren „Palazzo" erst einmal die Bestände erholen? „Nein", sagt Kolja Kleeberg lachend. „Unsere Gäste haben sich etwas anderes gewünscht, und ich habe überlegt, was am besten zum Motto der Show passt." Das Liebstöckel-Salz wirkt als Umami-Booster zum Fleisch, Rotweinschalotten steuern süßliche Säure und Panisse die Knusprigkeit der frittierten Kichererbsen-Stäbchen bei. Für die Freundin gibt’s zwei aufrechte Rollen aus Strudelteig, in den sich Pilze, Taleggio, wilder Broccoli und Senf einwickeln ließen.
Um eine Stange in der Manege wickelt sich Jon Young. „Oh, ein Hipster beim Pole Dance", entfleucht es mir angesichts des zauselhaarigen Akrobaten mit seiner auf Halbmast hängenden Hose. Ein sehr, sehr, sehr langsam von der „Lonely Hearts"-Band interpretiertes „Tainted Love" legt derlei Assoziationen ebenso nahe. Jon Young wendet seine Nummer mit dieser gespielten Nachlässigkeit ins Beiläufig-Ironische, während er die Stange hinuntergleitet, um sich maximal kompliziert wieder hinaufzuwinden. Die „kerligere" Ausführung von Körperbeherrschung zeigt Sascha Bachmann. Für Ironie und Dekonstruktion klassischer Nummern bliebe dem Handstand-Akrobaten auf gerade mal handtellergroßen Podesten auch wenig Raum. Der „Germinator" mit den Turner-Wurzeln muss schließlich bei seinen Körper-Verbiegungen die Stangen in unterschiedlichen Höhen stets kopfüber treffen.
Künstler spielen mit eigenen Klischees
Die Künstler zitieren sich häufig selbst und spielen mit den Klischees des eigenen Metiers. Kike Aguilera und Luciano Martin vom Duo „Zahir Circo" zeigen postillusionistische Zauberei: Das für einen Trick notwendige dritte Pappmaché-Bein will und will nicht in der Kiste verschwinden, und die glücklosen Zauberer müssen es dennoch bezwingen. Mit Augenzwinkern zelebrieren sie das Scheitern der Magie, die letztlich selbstredend gelingt: Der „Assistent" wird als „zersägte Jungfrau" doch noch ordnungsgemäß in zwei Hälften präsentiert. Schön, dass das große Chichi im Friedrichstadtpalast-Stil zum Dessert ungebrochen zu uns hereinfunkelt: Die Revuetänzerinnen Natalie Brooker und Chanelle Freeland puscheln mit Bein, Können und großer Geste um Miss Frisky herum, so viel die Schwanenfeder-Fächer hergeben.
Glänzend liegt auf dem Dessertteller ein beinah nougatiges, dunkles Schokoladen-Soufflé vor einem passend aufgefächerten Ensemble von Gewürzmandarinen. Glorios gibt sich die Tarte aus Dulce de Leche mit einem Pistazien-Macaron. Wie sich’s für ein großes Finale gehört, lassen sich die einzelnen Beteiligten in unterschiedlichen Kombinationen blicken – Pardon: gabeln und löffeln. Mal eher cremig-süß wie das Törtchen, mal schwer schokoladig oder piksig-frisch wie die Zitrusfrüchte tänzeln alle umeinander herum und in uns hinein. Tusch und Finale! Für uns und in diesem Moment. Für alle anderen, die nun ein Ticket für den „Palazzo" buchen, fällt der letzte Vorhang für „Glanz & Gloria" erst am 4. März 2018 im Spiegelzelt am Zoo.