Gernot Freyler war so etwas wie eine Institution im berühmten „Hotel Vier Jahreszeiten" in Hamburg. Als Guest Relation Manager kümmerte sich der gebürtige Saarländer um die Wünsche der Gäste – und zeigte auch bei dem einen oder anderen Rauswurf immer Niveau.
Er hat viele Stars und Sternchen gesehen, die ganz Großen und die Möchtegern-Promis, die Honoratioren aus vergangenen Tagen und die Amts- und Würdenträger der aktuellen Politik, die lauten und die leisen Sänger, Schauspieler, Wirtschaftskapitäne und Geschäftsleute, die unauffälligen, höflichen und freundlichen Hotelgäste und die schnell aggressiven mit vielen Extrawünschen und allzu schnell unzufriedenen Übernachtungsgäste.
„Letztgenannte gottlob nur selten", erklärt Gernot Freyler. Der gebürtige Friedrichsthaler war rund 36 Jahre im Fünf-Sterne-Hotel „Vier Jahreszeiten" in Hamburg anfänglich Empfangsherr, dann Empfangschef und die letzten 15 Jahre Guest Relation Manager. Eine Aufgabe, die besondere Fähigkeiten verlangt und in kleineren Betrieben häufig dem Eigentümer oder Geschäftsführer obliegt, in größeren Luxushotels gerne an Persönlichkeiten wie Gernot Freyler übertragen wird.
Denn der Guest Relation Manager ist für die persönliche Betreuung der Gäste – insbesondere der sehr wichtigen, also der VIPs – zuständig. Er ist sozusagen das Aushängeschild eines jeden Hotels, das Gesicht, an das Gäste denken, wenn sie besondere Wünsche haben, die Person mit dem besonderen Händchen, damit sich Gäste im Hotel „wie zu Hause" fühlen.
Gernot Freyler war bis zu seiner Pensionierung jenes „Aushängeschild mit dem besonderen Händchen" in der hanseatischen Luxusherberge am Jungfernsteg.
Unaufdringliche Höflichkeit
„Direkt gegenüber der Rezeption lag mein Arbeitsplatz, von hier aus behielt ich den Überblick über die an- beziehungsweise abreisenden Gäste, war schnell zur Stelle, wenn es galt, Gäste zu begrüßen oder zu verabschieden, oder wenn es Fragen, Anregungen oder Beschwerden gab", erzählt Gernot Freyler mit hörbarer Wehmut in seiner Stimme. Er hat gerne in der großen Empfangshalle gestanden, hat seinen Berufs als Berufung und nicht als „Job" empfunden.
Je länger man dem sympathischen 70-Jährigen zuhört, umso mehr spürt man das Flair des berühmten Nobel-Hotels. Gernot Freyler redet mit großem Respekt von seiner Arbeit, von den Menschen, denen er häufig mit Kleinigkeiten das Gefühl des „Gut-Aufgehoben-Seins", des „Willkommen-Seins" vermittelt hat.
Gernot Freyler besitzt eine unaufdringliche Höflichkeit und ausgezeichnete Manieren. Seine freundliche und liebenswerte Aura vermitteln Zugewandtheit, seine noble Zuvorkommenheit gepaart mit der nötigen Distanz schützt ihn vor plumper Kumpanei. Man fasst schnell Vertrauen zu ihm. Alles Voraussetzungen, um den – nicht alltäglichen – Beruf eines Guest Relation Managers erfolgreich auszuüben.
Dabei war ihm, dem Sohn eines Maschinenbauingenieurs und einer Hausfrau aus dem eher grau-tristen Bergarbeiterdorf Friedrichsthal, eine Karriere in der Welt der Kristall-Lüstern und Gourmetküche nicht in die Wiege gelegt. Nach der Schule absolvierte Gernot Freyler eine Lehre zum Einzelhandelskaufmann. „Ich habe aber schnell erkannt: Das ist kein Beruf für mich. Ich wollte lieber mit Menschen arbeiten." Er wechselte in die Gastronomie. Lernte als Quereinsteiger in einer Restaurant- und später in einer Krankenhausküche. Auch hier fehlte ihm der Bezug zu den Menschen. Ende der 60er-Jahre besuchte er die Hotelfachschule in München und trat dann die Stelle des Empfangssekretärs im „Hessischen Hof" in Frankfurt an. „Hier hatte ich viel Kontakt zu amerikanischen Gästen. Dabei merkte ich, dass mein Englisch ‚bescheiden‘ ist, deshalb bewarb ich mich über eine Vermittlungsagentur für Hotelkräfte ins Ausland."
Seine nächste Station war „The Westbury Hotel" in London, wo er eineinhalb Jahre als Kassierer (Cashier) gute Erfahrungen sammelte. Sein Französisch verbesserte der Saarländer dann zuerst in einem kleinen Hotel in Nizza und von 1974 bis 1977 als „Night Auditor" im Hotel „Prince de Galles" in Paris.
Ab April 1977 wurde das Hotel „Vier Jahreszeiten" in Hamburg sein neues Zuhause. Umgeben von Mahagoni-Edelhölzern, Marmor und Stuckdecken wurde Gernot Freyler in seinen 36 Jahren als Empfangsherr, Empfangschef, Guest Relation Manager und „Stellvertretender Direktor am Wochenende" das, was man eine „Institution" nennt.
Gernot Freyler wusste – Dank einer umfangreichen Karteikarte zu jedem Gast – wer gerne eine Wärmflasche abends am Fußende seines Bettes vorfindet, wer sein Kopfkissen am Bettende liegen haben möchte, wer lieber in einem englischen Bett (Wolldecke in Lacken eingewickelt) oder in einem italienischen Bett (Laken unter die Matratze eingeschlagen) schläft, oder wer gerne mit dem Kopf gegen Osten liegt. Anti-allergische Bettwäsche, spezielle Alkoholika in der Minibar oder gar keine Minibar auf dem Zimmer – alles Sonderwünsche, die er zum Wohlfühlen der Gäste gerne berücksichtigte.
Auch Sonderwünsche wurden erfüllt
„Ein Gast wünschte zum Beispiel einen speziellen Schuh-Zubinde-Bock im Zimmer, ein anderer wollte unbedingt einen Extra-Kofferbock, andere bestellten zusätzliche Hosenspanner oder Kleiderbügel. Letzteres wird jedoch kaum noch gewünscht, da die übliche Verweildauer im ‚Vier-Jahreszeiten‘ sich von einst üblichen drei Wochen auf zwei Nächte reduziert hat und damit auch die Kleidermengen. Ja, ja, so wandeln sich die Zeiten."
Einfach war der Einstieg in die hanseatische Welt der kühlen Zurückhaltung nicht. „In London und Paris saß man als Hotelmitarbeiter auf dem hohen Ross, in Hamburg wurde plötzlich der Gast wichtig. Hier ging ich durch eine ‚gute Schule‘ im Umgang mit Menschen. Höflichkeit, gute Manieren, gediegene Eleganz und Diskretion wurden großgeschrieben. Im Vergleich zu meiner Anfangszeit in der Hotelbranche in den 70er- und 80er-Jahren hat sich viel geändert im zwischenmenschlichen Miteinander." Dies fällt ihm besonders in den Jahren nach seiner Pensionierung auf. „Die Mitarbeiter von heute sind generell weniger diszipliniert als früher", stellt Gernot Freyler fest. „Früher hieß es: In Gegenwart des Gastes dürfen Angestellte nichts trinken, nicht untereinander reden und schon gar keine Privatgespräche führen. Heute halten sich nicht mehr alle Mitarbeiter daran. Vielfach vermisse ich jegliche Förmlichkeiten, der Umgang zu den Gästen wird auf einem kumpelhaften Niveau geführt und auf ein gepflegtes Äußeres wird verzichtet. Selbst wenn das Essen gut ist, ist der Service eine Katastrophe. Dieser Verlust an Höflichkeit und Manieren macht mir zu schaffen."
Doch auch die Gäste haben sich geändert. Früher achtete man auch bei ihnen auf gute Manieren und ein sauberes Erscheinungsbild. „Danach haben wir ausgewählt, ob noch ein Zimmer frei war. Schließlich mussten wir uns darauf verlassen können, dass der Gast auch am nächsten Morgen seine Rechnung bezahlt. Heute zählt bei den Gästen nur noch die Kreditkarte. Ist die okay, erhält der Gast in der Regel auch ein freies Zimmer."
Dass nicht immer nur die „Crème de la Crème" in Fünf-Sterne-Hotels nächtigt, weiß Gernot Freyler sehr wohl. „Auch wenn ich nur wenige Male von meinem Hausrecht Gebrauch machen und betrunkene oder unhöfliche Gäste vor die Tür weisen musste. Auch bei einem Rauswurf ist es wichtig, dass man selbst nicht das Niveau verliert, egal wie der Gast sich äußert. Manchmal muss man auch trickreich der Aufforderung Nachdruck verleihen, dass Gäste gehen sollen. So wollten zum Beispiel zwei Damen so gar nicht der Bitte nachkommen, die Lobby mit ihrem Hund zu verlassen. Sie setzten sich einfach an einen Tisch und sagten noch frech: ‚Wir denken gar nicht daran zu gehen.‘ Ich habe darauf einfach den Tisch, an dem die Damen saßen, wegtragen lassen."
„Nie Auskünfte über unsere Gäste"
Bessere Erfahrungen machte Gernot Freyler mit einem amerikanischen Schauspieler, der seinen Fuß auf den Tisch legte. „Ich sagte seinem Manager, dass das nicht nur in unserem Haus, sondern auch grundsätzlich in Deutschland nicht geht. Er entschuldigte sich, und wir brachten dem Schauspieler einen Stuhl mit Serviette, auf dem er seinen – wohl schmerzenden – Fuß ablegen konnte."
Dass auch in einem Fünf-Sterne-Hotel Gäste Anlass zu Beschwerden haben, bleibt nicht aus. „Die meisten Beschwerden in unserem Hotel drehten sich um fehlendes Gepäck auf dem Zimmer oder zu lange Wartezeiten beim Essen. Doch auch in den besten Häusern dauert ein Spiegelei zehn Minuten. Egal, wie und welche Beschwerden unsere Gäste äußerten, wir haben immer darauf reagiert. Meistens schriftlich, um dem Gast zu zeigen, dass wir seine Kritik ernst nehmen."
Öfter als über Kritik konnte Gernot Freyler sich jedoch über Dankesbriefe freuen. „Das häufigste Lob der Gäste wurde übrigens einem Kollegen zuteil, der den Wetterstand in Hamburg exakt durchgeben konnte, sonst priesen die Gäste das Ambiente, die Eleganz des Hauses, die Qualität der Betten und der Restaurants."
Dass Diskretion für Gernot Freyler unabdingbar zu seinem Beruf gehört, braucht man sicherlich nicht gesondert zu erwähnen. „Wir haben nie Auskünfte über unsere Gäste an andere weitergegeben, zum Beispiel Anrufer, die wissen wollten, ob Herr X oder Frau Y in unserem Haus nächtigen. Auch Fundsachen aus den Zimmern haben wir nie an die Heimatadresse geschickt. Das hätte zu Hause ja eine Katastrophe auslösen können, wenn plötzlich ein Päckchen aus einem Hamburger Hotel ankommt. Werden vergessene Brillen, Handys, Kleiderstücke, … nach einem Jahr nicht nachgefragt, werden sie an karitative Einrichtungen abgegeben."
Wie sieht eigentlich der ideale Gast für Gernot Freyler aus? „Er muss unser Haus und meine Arbeit zu schätzen wissen und mich mit Respekt behandeln. Hotelangestellte sind keine Leibeigene. Die gleiche Höflichkeit, die ich dem Gast entgegenbringe, erwarte ich auch umgekehrt." Blickt Gernot Freyler auf seine Berufstätigkeit zurück, kann er sagen: Die Mehrzahl der Gäste hat gespürt, dass sie einer vertrauenswürdigen und respektablen Persönlichkeit gegenüberstehen, die für ihr Wohlbefinden alles Mögliche auch möglich macht und der sie deshalb viel Respekt und Hochachtung entgegenbrachten. „Damit widerfuhren mir auch die aus vielen Fernsehsendungen bekannten klischeehaften Liebeserklärungen und Heiratsangebote Gott sei Dank nicht."
Seinen Ruhestand will Gernot Freyler in seinem Elternhaus in Friedrichsthal zusammen mit seinem Neffen und zwei Katzen verbringen, viel klassische Musik hören, in Ballett und Oper gehen, im Garten arbeiten und sich an der frischen Luft bewegen. „Im Grund meines Herzens bin ich ein Einzelgänger, der auch gut und gerne ohne den ganzen Glamour leben kann."