Die Zukunft ist digital – und unübersichtlich. In der saarländischen Landesregierung gilt das Thema als Querschnittsaufgabe für alle Ressorts. Nicht ganz leicht, dabei den Überblick zu behalten.
Wenn nicht er, wer dann? Professor Rainer Müller sollte es eigentlich wissen. Doch „selbst mir fällt es manchmal schwer zu sagen, wer was macht“, gesteht der wissenschaftliche Leiter des Zentrums für Mechatronik und Automatisierungstechnik (ZeMA).
Sein Institut in Saarbrücken hat sich zum Ziel gesetzt, für die Praxis zu forschen – sprich die Forschung zu den neuen Techniken eng mit den Unternehmen zu verzahnen. Das Schreiben von Projektanträgen gehört sozusagen zum Tagesgeschäft der ZeMA-Mitarbeiter.
Mitte Dezember wird beim ZeMA in Saarbrücken ein „Kompetenzzentrum Mittelstand 4.0“ offiziell eröffnen. Es ist das 14. in Deutschland. Damit will die Bundesregierung der regionalen Wirtschaft die neuen Produktionstechniken „zum Anfassen“ nahebringen.
Ein weiterer Schritt, um Mittelständlern und Handwerksbetriebe aus der Region den Weg in die Digitale Welt so einfach wie möglich zu machen, um ihre Unternehmen zukunftsfähig zu gestalten. Bei Einrichtungen wie dem ZeMA können sich Firmenlenker Roboter und andere digitale Anwendungen anschauen. „Was könnte für meinen Betrieb gehen und was nicht?“, wie Müller das formuliert.
Dutzende Unternehmer hätten sich im Institut schon Hilfe gesucht, erinnert sich Jochen Flackus, bis zur Landtagswahl im Frühjahr kaufmännischer ZeMA-Geschäftsführer. Und am Ende der Präsentation kam in der Regel die Frage: Was kostet mich das? Denn die Einrichtung eines digitalen Arbeitsplatzes ist mit 120.000 Euro etwa dreimal so teuer wie die eines herkömmlichen.
Dass die Digitalisierung alle Lebensbereiche erfasst hat, ist allen Beteiligten klar. Da will das Saarland ganz vorn dabei sein. Nur: Wie? „Ich glaube, da kommt keiner mehr dran vorbei“, formuliert Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger. Die SPD-Politikerin hat jetzt eine Digital-Agenda für ihr Haus für diese Legislaturperiode aufgelegt. Die Wirtschaft befinde sich in einem Prozess des Strukturwandels, der alle Branchen betreffen werde.
Besonderer Schwerpunkt sollen die kleinen und mittleren Unternehmen sein. Denn während Großbetriebe ganz andere Kapazitäten haben, fällt es dem Mittelstand oft sehr schwer, noch durchzusteigen und die richtigen Investitionsentscheidungen zu treffen, um auch in Zukunft bestehen zu können. Hier kommt die Frage nach öffentlicher Wirtschafts- und Forschungsförderung ins Spiel. Denn es gibt die unterschiedlichsten Fördertöpfe vom Bund, der EU und dem Land.
Im Saarland kommt erschwerend hinzu, dass die Wirtschafsförderung an sich Sache des Wirtschaftsministeriums ist. Die anwendungsnahe Forschung indes obliegt seit der Bildung der großen Koalition 2012 aber dem Wissenschaftsressort. Das wird von Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) geleitet.
Im neuen Koalitionsvertrag für diese Legislaturperiode ist die Gestaltung als „Querschnittsaufgabe innerhalb der Landesregierung“ beschrieben. Sie sei thematisch in den Ressorts verankert, bedürfe aber „einer zentralen strategischen Koordination“, und die liege beim Digitalisierungsforum, heißt es dort. Dieser ist ebenso wie ein zweiter Think Tank, der Digitalisierungsrat, bei Kramp-Karrenbauer angesiedelt.
„In der Staatskanzlei wird im Digitalisierungsrat im großen Rahmen nachgedacht und koordiniert. Aber wir können uns ja nicht tot koordinieren, einer muss ja auch arbeiten“, formuliert Rehlinger etwas flapsig. Bisher sei ihr allerdings noch kein Fall bekannt, wo die Abstimmung nicht geklappt hätte, sie sehe die Arbeitsteilung „entspannt“ und glaube nicht, dass die zu einem großen Problem werde.
Dagegen empfindet der heutige Linken-Politiker Flackus diese als ein großes Manko. Der 62-Jährige hatte einst unter CDU- und FDP-Ministern selbst die Forschungsabteilung im Wirtschaftsministerium geleitet. Er fürchtet, dass Abstimmungsprobleme vorprogrammiert sind.
Folgerichtig findet Flackus, dass Rehlinger jetzt alle Digitalisierungsaktivitäten in einer neuen Abteilung gebündelt hat. Künftig sollen sich gleich drei Referate – mit den sperrigen Namen „Digitalisierungs- und Zukunftsmärkte“, „Aus- und Weiterbildung, Fachkräftesicherung“ und „Grundsatzfragen der Industrie- und Dienstleistungspolitik“ – schwerpunktmäßig mit dem Thema auseinandersetzen. Immerhin hat die neue Abteilung einen eigenen Posten im Haushalt. Der ist für das kommende Jahr mit 1,125 Millionen Euro gefüllt.
In der neuen Digitalisierungsabteilung ist auch die Netzwerkstelle Dinet angesiedelt. Sie soll interessierten Unternehmen den Weg durch den Dschungel der digitalen Fördertöpfe bahnen. Eine der Hauptaufgaben von Dinet soll es sein, eine „Digitalisierungslandkarte“ zu erstellen, eine Art Puzzle. Als „Lotse“ könne die Stelle Firmen der verschiedenen Branchen, ob Autoindustrie, Health Care oder Gastronomie den Weg zu den richtigen Ansprechpartnern weisen, sieht ZeMA-Chef Müller den großen Vorteil.
Koordination ist „Querschnittsaufgabe der Landesregierung“
Als Initialzündung für die Digital Agenda hat das Ministerium ein neues, zunächst mit einer halben Million Euro ausgestattetes Landesprogramm mit Namen „Digital-Starter-Saar“ aufgelegt. Das soll noch mehr Unternehmer ermutigen, die digitale Zukunft anzugehen. Dabei geht es weniger darum, Maßnahmen mit Geld zu unterstützen, die das Unternehmen vielleicht selbst finanzieren könnte, so die Ministerin. Hauptzielrichtung sei es, die Unternehmen für das Thema zu sensibilisieren, zu zeigen, dass „uns das Thema wichtig ist“.
Und auch den Menschen soll sich Dinet widmen. „Wie sollen die Arbeitnehmer künftig geschützt werden? Was bedeuten innovative Unternehmensmodelle wie „Crowdworking“? Müssen die Betriebsverfassungsgesetze angepasst werden?
Denn eins ist klar: Die Arbeitswelt wird sich fundamental ändern. Alte Arbeitsplätze werden verschwinden, neue entstehen. Darüber, wie viele das sein werden, streiten sich die Experten. Umso mehr sind die Beschäftigten verunsichert. Beschäftigte, deren Arbeitsplätze durch die Digitalisierung bedroht sind, sollten durch neues Wissen neue Perspektiven bekommen. Rehlinger wirbt: „Unser Ziel ist es nicht, dass der Roboter die Menschen ersetzt, sondern, dass beide zusammen ein besseres Produkt abliefern.“