Ein Cüpli, Chäsbrüga und eine Kuhglocke – unverkennbar sind wir in der Schweizer Botschaft in Berlin. Sie feiert das 150. Jahr ihres Bestehens. Deutschland ist der wichtigste Wirtschaftspartner der Eidgenossen, auch kulturell sind die Bindungen mit dem nördlichen Nachbarn eng.
Die Schweizer Botschaft an der Otto-von-Bismarck-Allee ist eine feine Adresse. Links das Kanzleramt, rechts der Reichstag und hinter dem Haus ein großer Park, der zum Berliner Hauptbahnhof führt. Das Haus mit dem abstrakt-plastischen Fassadenrelief des Schweizer Künstlers Helmut Federle an der westlichen Brandwand des alten Stadtpalais fällt sofort auf. Jeder Taxifahrer kennt es. Immer wieder laden sie Gäste in dieser Straße ab, an der sonst meist Diplomaten-Limousinen verkehren. Wenn Botschafterin Christine Schraner Burgener Gäste aus Politik, Wirtschaft und Kultur einlädt, dann spricht sich das schnell herum.
Auch an diesem Abend ist das so. Im großen Ballsaal scharen sich unter einem riesigen Kronleuchter und Kassettendecken im Stil der italienischen Hochrenaissance junge Leute bei Weißwein und Häppchen um Stehtische. Ein Start-up-Meeting steht an, bei dem Schweizer, die in Berlin gerade ein Unternehmen gründen wollen, wichtige Informationen ergattern möchten.
Seit 2015 ist Christine Schraner Burgener Botschafterin in Berlin und die erste Frau auf diesem prestigeträchtigen Posten. Aus den Büchern weiß sie: Die Jungunternehmer und Vertreter von Thinktanks, die sich zwischen den pinkroten Saalwänden angeregt unterhalten, tagen an einem Ort mit äußerst bewegter Geschichte: 1867 installierte der junge schweizerische Bundesstaat eine Gesandtschaft am preußischen Königshof in Berlin. Seither pflegen die beiden Regierungen ununterbrochen diplomatische Beziehungen. Erbaut wurde das Haus dann 1870 für den Obermedizinalrat Friedrich Theodor Frerichs. 1919 kaufte die Schweiz das Gebäude.
1945 Hauptquartier der Roten Armee
Im April 1945 warteten hier die letzten Schweizer Diplomaten das Ende des Zweiten Weltkriegs ab. Am 28. April 1945 kam die Rote Armee über den Spreebogen. Die 150. Division richtete im Botschaftsgebäude ihr Hauptquartier ein und bereitete von hier aus den finalen Angriff auf den Reichstag vor. Die Bewohner der Schweizer Botschaft wurden in den Keller gesperrt.
Während des Kalten Krieges unterhielt die Schweiz seit 1973 eine Vertretung in der DDR, außerdem im Westen im Raum Köln/Bonn seit 1920 ein Generalkonsulat, seit 1957 eine Botschaft. Vor dem Fall der Mauer am 9. November 1989 war hinter dem Reichstag die westliche Welt zu Ende. Schwarz, schrundig und einsam ragte das Gebäude trotzig aus der menschenleeren Landschaft. Pikant: Die Schweiz hatte lange erfolglos versucht, das Gebäude an dem damals unattraktiven Standort zu verkaufen. Heute steht das Haus mitten im Regierungsviertel.
Parlamentarier sind gern gesehene Gäste
An diesem Herbsttag steigt Christine Schraner Burgener mit einem Gast auf das Dach der Botschaft, wo eine große Schweizer Fahne im Wind flattert. Der Blick auf den Reichstag ist erhaben. Hier fühlt man sich der Welt für einen Moment enthoben. Der Ausblick erinnert an eine weitere bedeutende historische Etappe in der Geschichte dieses Hauses. Mit dem Regierungsumzug 1999 nach Berlin geriet die Schweizer Botschaft mitten ins Scheinwerferlicht. Botschaften, Landesvertretungen und Lobbyisten mussten sich in der deutschen Hauptstadt neu aufstellen. Netzwerken war angesagt. Der Botschafter Thomas Borer und seine texanische Ehefrau Shawne Borer-Fielding nutzten dazu das Parkett der Schweizer Botschaft fulminant und luden zu heute legendären Empfängen. Nach privaten Eskapaden wurde der charismatische Botschafter 2002 jedoch von Bern aus Berlin abgezogen.
Zum Fest anlässlich des 150. Geburtstags der Gesandtschaft lud Christine Schraner Burgener am 30. Juni dieses Jahres alle ehemaligen Schweizer Botschafter ein, so auch Thomas Borer. Anwesend war zudem SPD-Politiker Otto Schily, der die Rede zur Wiedereröffnung nach erfolgter Renovierung der Schweizer Botschaft im Jahr 2001 hielt.
Weiter führt die Botschafterin ihre Gäste zur Küche im Keller der Botschaft, wo der Chefkoch gerade Fischfilets in Zitronensoße für ein Arbeitsessen zubereitet. Er hat viel zu tun hier. Jeder Termin und jede Mahlzeit muss wie am Schnürchen klappen, wenn hoher Besuch angesagt ist. „Beim Essen wird Politik gemacht“, weiß er. Es gibt keine Woche, in der nicht eine Delegation aus der Schweiz aus den Bereichen Umwelt, Energie, Forschung, Verkehr oder Finanzen hier eintrifft. Die 34 Mitarbeiter, von denen einige auch im konsularischen Bereich arbeiten, haben gut zu tun.
Deutsche Bundestabgeordnete, die nur wenige Gehminuten entfernt ihre Büros haben, sind hier gern gesehene Gäste. „Gerne laden wir Parlamentarier zum Frühstück oder Abendessen ein“, sagt die Botschafterin.
Im Büro der studierten Juristin geben sich an manchen Tagen die Besucher die Klinke in die Hand. Die Diplomatin bezeichnet den Arbeitsalltag hier als „hektisch“. Obwohl: Blickt man auf die letzten 150 Jahre zurück, erlebt die Diplomatin eine geradezu entspannte Phase. Heute sind die Bande zwischen Deutschland und der Schweiz auf praktisch allen Ebenen eng. „Berlin hat einen besonderen Stellenwert unter den Botschaften, weil wir mit Deutschland von allen Ländern am meisten Beziehungen pflegen“, sagt die Diplomatin, die zuvor in Thailand stationiert war. Deutschland ist der wichtigste Handelspartner für die Schweiz. Die Alpenrepublik wiederum ist für Deutschland der wichtigste Investor außerhalb der EU.
Umwelt, Verkehr, Energie und internationale Politik zählen zu den Hauptthemen. Dazu gehören noch spezifische bilaterale Anliegen etwa im Verkehrsbereich mit dem Konfliktpunkt Nordanflug auf den Zürcher Flughafen oder die Umsetzung der umstrittenen Schweizer Masseneinwanderungsinitiative.
Nicht nur Polit-Größen betreten das edle Parkett des Hauses. Christine Schraner Burgener lag der Satz eines Gastes im Ohr, der ihr sagte: „Ich möchte so gerne mal hier reinschauen!“ Einmal im Monat öffnet sie deshalb mit der Veranstaltung „Chäsbrägu“ bewusst das Haus für Lesungen und Konzerte von Schweizer Künstlern, zu denen sich Kulturinteressierte anmelden können. Im Anschluss gibt es jeweils warm dampfende Käsebrote und erlesene Schweizer Weißweine. Nicht selten projizieren renommierte Lichtkünstler bunte Bilder an die Betonfassaden des Hauses, das sich auch am „Festival of Light“ beteiligt.
Eine Botschaft ist die Visitenkarte eines Landes im Ausland. Christine Schraner Burgener möchte das Bild einer modernen, innovativen und toleranten Schweiz vermitteln. Gerade die Errungenschaft der direkten Demokratie, bei der die Stimmbürger als Souverän auf allen Staatsebenen als Inhaber der obersten Gewalt in Sachfragen abschließend entscheiden können, sind ihr ein Herzensanliegen.
Für Schweizer Folklore zeigen Botschafter auf diesem Posten bei Empfängen stets gerne Flagge. An den traditionellen Feiern zum Schweizer Nationalfeiertag spielen hier des Öfteren Alphorn-Bläser auf. Brauchtum leben und zelebrieren, das ist auch für Christine Schraner Burgener nichts Rückständiges, sondern schafft Identität und Verwurzelung. In der Botschaft hängt deshalb in einem der Räume eine riesige Kuhglocke aus dem Wallis.
Die Kuhglocke darf nicht fehlen
Auch wenn die Lage neben dem Kanzleramt ein Privileg ist, bringt sie für die hier wohnende Botschafterin und ihre Familie sowie für ihre Angestellten gewisse Hindernisse mit sich. „Ein Kiez-Leben gibt es im Regierungsviertel nicht. Wenn ich in ein gemütliches Café gehen will, fahre ich mit dem Rad zum Scheunenviertel“, sagt Christine Schraner Burgener. Der ruhigen Lage jedoch kann sie so manch Gutes abgewinnen: „Man kann hier hervorragend arbeiten, und ich schlafe nachts sehr gut.“
Um einkaufen zu gehen, müssen nicht mehr so weite Wege genommen werden, wie noch vor einigen Jahren. Während früher lange Jahre im Spreebogen Brachland war, haben sich rund um den Berliner Hauptbahnhof Hotels, Cafés und Läden angesiedelt.
Viel Freizeit hat die Botschafterin ohnehin nicht. „Ein anstrengender Job mit einer hohen Taktfrequenz, der Momente der Erholung braucht“, gibt sie zu Protokoll. Stunden der Muße genießt die Schweizerin meist im Kreise ihrer Familie in der Botschafts-Wohnung im zweiten Stock. Die Angestellten der Residenz wissen, dass die Hausherrin dort gerne Saxofon spielt und leidenschaftlich gerne kocht. Zu Tisch sitzen dann ihr Mann, ebenfalls Diplomat und Inspektor für die Schweizer Botschaften weltweit sowie ihre beiden erwachsenen Kinder, die in Berlin studieren. Die deutsche Regierungschefin könnte dann theoretisch zu Fuß die Straße überqueren und lernen, was unter einem Schweizer „Cüpli“ zu verstehen ist. Den bestellen die Schweizer, wenn sie ein Gläschen Sekt trinken wollen.