Die Chefs von CDU, CSU und SPD wirken ausgezehrt und inspirationslos.
Den richtigen Zeitpunkt für den Rücktritt findet kaum ein Politiker. Einer der wenigen, dem es gelang, war Hans-Dietrich Genscher (FDP). Am 27. April 1992, nach genau 18 Jahren als Außenminister, gab der gebürtige Hallenser seine Demission bekannt. Er hatte alle Höhen und Tiefen der Entspannungspolitik, Wiedervereinigung oder der Freiheits-Euphorie im Osten Europas miterlebt und -gestaltet. Es war ein selbstbestimmter Abgang mit Würde.
Wer sich die tragenden Figuren der bevorstehenden Gespräche zwischen CDU, CSU und SPD anschaut, hat ein ganz anderes Gefühl. Die Vorsitzenden der drei Parteien wirken angeschlagen, ausgezehrt und ohne frischen Impuls. Sie haben ihren Zenit deutlich überschritten. Angela Merkel, Horst Seehofer und Martin Schulz werden der Republik nach dem verunglückten Jamaika-Schauspiel ein Koalitions-Theater bieten, das viele nervt, ermüdet oder ganz einfach langweilt.
Was fehlt, ist ein politisches Zukunfts-Projekt, das das Land elektrisiert. Die Zeiten, in denen der irrlichternde Donald Trump, der weltmachtverliebte Autokrat Wladimir Putin und der auf nackten Staatskapitalismus setzende Xi Jinping den Ton angeben, sind chaotisch genug. Merkel, Seehofer und Schulz haben kein Konzept, wie sie Deutschland und Europa durch diese weltpolitisch wilden Wasser geleiten wollen. Sie begeben sich in Bündnisgespräche, die von Eitelkeiten, Gesichtswahrung sowie Machterhalt oder -Ausbau geprägt sind.
Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel ist durch das zweitschlechteste Bundestags-Wahlergebnis für die Union seit 1949 entzaubert. Bis zum Beginn der Flüchtlingskrise im Sommer 2015 galt Merkel als unantastbare Sie-macht-alles-richtig-Politikerin. Ihrer Partei, die sich traditionellerweise als Kanzlerwahlverein versteht, bescherte sie permanent Umfragewerte von über 40 Prozent. Heute ist Merkel nur noch ein Schatten ihrer selbst.
Bayerns Ministerpräsident und CSU-Vorsitzender Horst Seehofer hatte seinen Abtritt mehrmals angekündigt, im letzten Moment aber eine Kehrtwende vollzogen. Er und sein jüngerer Dauer-Konkurrent Markus Söder liebten es, sich zu hassen. Der Alte wollte nicht gehen und tat alles, um den diverser „Schmutzeleien“ bezichtigten Ehrgeizling Söder zu verhindern. Zeitweilig kokettierte er mit einer Rückholung des früheren Publikums-Magneten Karl-Theodor zu Guttenberg aus dem US-Exil als Bollwerk gegen Söder.
Doch die CSU-Schlappe bei der Bundestagswahl am 24. September war für Seehofer ein Menetekel. Da er eine weitere Niederlage bei der bayerischen Landtagswahl im Herbst 2018 politisch nicht überlebt hätte, entschloss er sich, den Posten des Ministerpräsidenten an den ungeliebten Söder abzugeben. Es darf allerdings bezweifelt werden, ob das aus der Not geborene taktische Tandem lange hält.
SPD-Chef Martin Schulz hat für seine Partei das schlechteste Wahlergebnis seit 1949 eingefahren. Das wäre Grund genug, den Mann an der Spitze auszuwechseln. Das weiß Schulz natürlich, zumal ihm aus dem Genossen-Establishment immer wieder Kritik entgegen hallt. Deshalb agiert er nervös, dünnhäutig und gelegentlich überfordert. Doch die Basis liebt ihren Chef, der sie noch im Frühjahr in eine messianische Heilserwartung versetzt hatte, unverändert. Die Verankerung bei den Mitgliedern ist Schulz‘ größter machtpolitischer Trumpf. Das Problem für mögliche Sondierungsgespräche mit der Union ist, dass die Sozialdemokraten durch Merkels Klammergriff in der letzten großen Koalition tief verwundet sind und eine weitere Allianz scheuen wie der Teufel das Weihwasser.
Angezählte Vorsitzende und Parteien, die keine zündenden Ideen haben, sondern in erster Linie die eigene Klientel bedienen wollen: Das sind denkbar schlechte Vorzeichen für eine neue Regierung.
Was Deutschland bräuchte, wäre ein Inspirationsschub wie in Frankreich. Präsident Emmanuel Macron diente zwar kurzzeitig unter seinem Vorgänger François Hollande. Doch dann trat er zurück, gründete seine eigene Bewegung, die als Partei auf Anhieb die absolute Mehrheit im Parlament erzielte. Macron spielt mit hohem Risiko: Er will seinem Land schmerzhafte Wirtschafts- und Sozialreformen verordnen und die Eurozone auf neue Füße stellen. Das ist das Gegenteil des großkoalitionären Betondenkens hierzulande.