Jamaika ist Geschichte, jetzt wird ergebnisoffen erst mal geredet, später vielleicht auch sondiert. Nie war der Weg zu einer neuen Regierung so mühsam – und so lehrreich.
Es ist schon ein erstaunlicher Lernprozess, den Deutschland seit der Bundestagswahl durchmacht. Dass der Bundespräsident nicht nur repräsentieren und reden darf, sondern im Zweifel auch den Damen und Herren Parteichefs offen und hinter verschlossenen Türen klarmachen muss, was Aufgabe der Parteien nach Wahlen ist, ist eine bislang in dieser Form zumindest einzigartige Erfahrung. Wie auch die, dass Sondierungen eben nicht heißen, dass im Grunde schon alles klar wäre.
Das galt für den „Jamaika"-Versuch und gilt auch jetzt. Wobei die möglichen GroKo-Fortsetzungspartner vorsorglich erst einmal nur reden wollen, bevor sie entscheiden, ob es für Sondierungen reicht.
Auch ein bemerkenswerter Lernprozess dreier Parteien, die in den letzten vier Jahren gemeinsamer Regierungsabschnittspartnerschaft ihre Erfahrungen miteinander gemacht haben.
Die Rolle des Bundespräsidenten, der jeden einzeln zum Gespräch einbestellt hat, mit italienischen Verhältnissen zu vergleichen, wo dieses Verfahren zum Ritual der Regierungsbildung gehört, ist nur bedingt zutreffend. Jedenfalls waren diese neuen Berliner Bilder von einer Melange aus Spott und Ungläubigkeit begleitet. Nicht über den Bundespräsidenten, sondern die Einmaligkeit, dass gewählten Parteien plötzlich nach der Wahl die Lust aufs Regieren verging, was zuvor noch ganz anders klang.
Richtig regieren wollten offensichtlich nur Union und Grüne, nur für die allein hat es eben nicht gereicht. Das Scheitern von Jamaika bringt nun die Grünen, die sich vor vier Jahren noch nicht reif für Schwarz-Grün sahen, in ein strategisches Dilemma, steht doch am Ende des Mammutwahljahres fest, dass Rot-Rot-Grün bei den Wählern derzeit chancenlos ist, und die Grünen, Mitglieder wie Anhänger, ohnehin längst bürgerlich sind.
Die CDU kann derzeit noch ihre ganze Erfahrung als Dauerregierungspartei ausspielen, heißt vor allem, die Reihen zumindest nach außen ziemlich geschlossen zu halten. Obwohl, oder gerade weil klar ist, dass es derzeit ohne Angela Merkel nicht geht, aber absehbar ohne sie gehen muss. Debatten, die jetzt auch nur den Hauch eines Zweifels an entschlossener Geschlossenheit nach außen vermitteln würden, wären politisch selbstmörderisch. Dass die bayerische Schwester nun mehr mit sich selbst und der eigenen Landtagswahl zu tun hat als Streit mit der großen Schwester auszutragen, kommt dabei nicht ganz ungelegen. Im Übrigen kann die CDU die Schlagzeilen ohnehin genüsslich dem Noch- und gegebenenfalls demnächst Wieder-Koalitionspartner überlassen.
Von „Jamaika-Aus" zu „ergebnisoffen"
Dass die SPD in einem beachtlichen Dilemma steckt, hat sie sich zum großen Teil selbst zu verdanken. Wer am Wahl-abend darüber jubelt, endlich Opposition sein zu dürfen, erweckt den Eindruck, dass sich hier eine ganz gehörige Portion bislang mühsam unterdrückter Seelenzustände Bahn bricht, die eigentlich längst einer Klärung bedurft hätten.
Statt dass sie das nun in Ruhe in der Opposition nachholen können, wurden die Sozialdemokraten mit einem Appell erwischt, der sie in der traditionsreichen Geschichte schon mehr als einmal vor heftige Zerreißproben gestellt hat. Es ist die Mahnung an die staatspolitische Verantwortung, die die SPD in mühsame Windungen stürzt.
Wäre das Wort des Jahres nicht schon gekürt, nämlich: „Jamaika-Aus", hätte „ergebnisoffen" inzwischen die wahrscheinlich größeren Chance.
So, wie die Fortsetzung der GroKo unter neuen Vorzeichen die größeren hat als „Jamaika" hatte. Unter normalen Umständen hätte nach einer Wahl im September eine neue Regierung bis Weihnachten im Amt sein können. Jetzt soll es bis Ostern klappen. Allzu sicher sollte man sich nach den Lehren der letzten Monate aber nicht sein.