Sie wollte Opposition und ist doch staatspolitisch gefordert. Die SPD haben solche Entscheidungen immer wieder vor eine Zerreißprobe gestellt. Die Geschichte erklärt viel über den heutigen Zustand und warum sich die Partei zurzeit so schwertut.
Wer im Roten Rathaus in Berlin-Mitte zu Besuch ist, kommt unausweichlich auch an Gedenktafeln vorbei. Sie zeigen die nach 1933 von den Nazis ermordeten Abgeordneten der SPD und KPD. Bei der Geschichte der SPD fallen zuerst Verfolgungen ein: Bismarcks Sozialistengesetz, Leiden unter den Hitler-Schergen.
Die Geschichte dieser stolzen Partei hat viele Facetten. Etliche Historiker haben sich damit befasst, es gibt keine einheitliche Lesart. Oft wurde die Geschichtsschreibung den Verhältnissen angepasst. Eines wird deutlich: Sehr oft musste sich die SPD neu orientieren. Wie auch jetzt beim Parteitag.
Mit beginnender Industrialisierung kam Widerstand der Arbeiter auf. Es dauerte bis 1863, ehe sich unter Führung von Ferdinand Lassalle der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein (ADAV) gründete. Er hatte zwei Ziele: das allgemeine Wahlrecht und Gründung einer Produktionsgenossenschaft unter staatlicher Leitung. Lassalle war preußisch-nationalstaatlich orientiert. Rasch formierte sich im ADAV eine Opposition, die sich als Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) gründete. Sie war internationalistisch ausgerichtet.
Auf einem „Vereinigungskongress" kam es 1875 zum Zusammenschluss der beiden Arbeitergruppen. Ab 1878 bis 1890 mussten sich die ehemaligen „Lassalleaner" und August Bebels „Eisenacher" vor der Staatsgewalt verstecken. Das Leben im Untergrund schweißte die Arbeiter zusammen. Damals war „Solidarität" kein hohler Begriff. Als das Gesetz aufgehoben wurde, traten die Arbeiter erstmals als SPD auf.
Mit Friedrich Ebert machte sich ein fleißiger Genosse rasch unentbehrlich. Als Bebel am 13. August 1913 starb, hatte Friedrich Ebert viele Genossen auf seiner Seite. Er wurde Vorsitzender und bekam eine SPD-Reliquie, die bis in die Neuzeit jeder SPD-Vorsitzende tragen darf: Bebels Uhr. Düstere Wolken zogen über Deutschland – und auch die SPD. Anfang August 1914 kam es zur Abstimmung wegen Kriegsanleihen. Die Mehrheit der SPD-Fraktion stimmte für diese Anleihen. Die Partei sah sich in nationaler Verantwortung, wollte dabei auch von dem Makel „Volksverräter" loskommen. Ein Gegner dieser Anleihen war Karl Liebknecht, der sich mit Rosa Luxemburg zusammentat.
Der große Krach folgte 1917, als sich die SPD-interne Opposition zur USPD zusammenschloss. Nur kurz nach dem Krieg arbeiteten die Mehrheitssozialisten und die Unabhängigen in einer Übergangsregierung zusammen. Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg schlossen sich der neuen KPD an.
Im Januar 1919 wurden Liebknecht und Luxemburg am Berliner Landwehrkanal ermordet. Es waren Offiziere, und es war Friedrich Eberts Handlanger Gustav Noske, der sich des Militärs bediente, als die Regierung aufständische Arbeiter niedermetzeln ließ. Die Rolle Eberts bei diesem Kampf der Sozialdemokraten gegen Sozialisten wird heute noch unterschiedlich bewertet.
In der „Weltbühne" kritisierten Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky immer wieder Eberts Vorgehen, mit dem Offizierskorps und den Bürgerlichen gemeinsame Sache gemacht zu haben.
„Genosse, schämst Du Dich nicht?"
Unter „Theobald Tiger" veröffentlichte Tucholsky 1923 das Gedicht „An einen Bonzen". Der Text endet so: „Heute ist das alles vergangen. Man kann nur durchs Vorzimmer zu dir gelangen. Du rauchst nach Tisch die dicken Zigarren, du lachst über Straßenhetzer und Narren. Weißt nichts mehr von alten Kameraden, wirst aber überall eingeladen. Du zuckst die Achseln beim Hennessy und vertrittst die deutsche Sozialdemokratie. Du hast mit der Welt deinen Frieden gemacht. Hörst du nicht manchmal in dunkler Nacht eine leise Stimme, die mahnend spricht: „Genosse, schämst du dich nicht?"
Links von der SPD tummelten sich die bröckelnde USPD, die KPD und einige Splitterparteien. Sie bekämpften sich durchweg gegenseitig, während auf der rechten Seite nicht nur die Nationalistischen um Alfred Hugenberg ihr braunes Süppchen kochten. Hugenberg war Rüstungs- und Medienunternehmer.
Neben diesen Demokratie-Zerstörern wollte die SPD die Republik retten. Nach der Weltwirtschaftskrise versuchte Reichskanzler Heinrich Brüning mit einer Notverordnung die desolate Wirtschaftslage zu verbessern, wobei er auf die SPD angewiesen war. Genau aus diesem Grund entließ Reichspräsident Paul von Hindenburg den Zentrums-Politiker im Mai 1932.
Während die SPD und die anderen Linken die Hitler-Partei NSDAP bekämpften, schwankte Brüning. Hindenburg machte trotz anfänglicher Bedenken den Anstreicher aus Bernau zum Kanzler. Bei der Abstimmung über das Ermächtigungsgesetz war die SPD als einzige Partei dagegen. Viele Kommunisten und Sozialdemokraten waren an jenem Tag nicht anwesend. Ermordet, verhaftet, bereits auf der Flucht.
Unter „Sieg Heil!"-Schreien hielt der SPD-Fraktionsvorsitzende Otto Wels seine letzte Rede im Reichstag. „Wir Sozialdemokraten haben in schwerster Zeit Mitverantwortung getragen und sind dafür mit Steinen beworfen worden. Unsere Leistungen für den Wiederaufbau von Staat und Wirtschaft, für die Befreiung der besetzten Gebiete werden vor der Geschichte bestehen."
Es folgten zwölf Jahre im Exil oder der Verfolgung. Oder Ermordung. Die Frauen und Männer, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg sammelten, waren nicht von ihrem Ego, sondern von einer Idee beflügelt. Gustav Dahrendorf in seiner Berliner Rede im Mai 1946: „Keine Doktrin, kein Dogma, kein Rezept und keine Theorie haben in Wahrheit jemals mehr Gewicht gehabt als diese sittliche Idee." Es war die Zeit, als selbst die neu gegründete CDU in ihrem Ahlener Programm sozialistische Thesen hatte.
Die SPD blieb anpassungsfähig. Bundeswehr, Wirtschaftswunder – mit ihrem Godesberger Programm machte sich die SPD auch für Bürgerliche wählbar. Wer gedacht hatte, die SPD würde sich für immer in der Opposition einrichten, sah sich getäuscht, als Willy Brandt Vorsitzender wurde. Es gab nicht nur einen Herbert Wehner, es gab auch den Friedenspolitiker Erhard Eppler. Ausgehend von den basisdemokratischen Ideen der „68er" sollte mehr Demokratie gewagt werden.
Verantwortung und Missverständnisse
Mit Helmut Schmidt stellte die SPD nach Brandt noch zum letzten Mal einen großen Staatsmann. Doch die Parteijugend lief Amok gegen Schmidts Nato-Politik.
Und dann fiel ihm der Koalitionspartner FDP in den Rücken. Mit einem von wirtschaftsliberalen Interessenverbänden geschriebenen „Lambsdorff-Papier" kam Schmidt zu Fall. Zudem gründete sich mit den „Grünen" eine basisdemokratische Partei, die sehr bald von Polit-Oligarchen beherrscht wurde.
Auch der Schwäche der CDU hatte es die SPD 1998 zu verdanken, dass sie zusammen mit den Grünen regieren durfte. Es war wohl ein historisches Missverständnis zwischen den Parteispitzen Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder über die sozialdemokratische Richtung. Der Sozialdemokrat Lafontaine verließ die Partei und wurde später Gründungsmitglied der Partei „Die Linke". Schröder setzte als Vollstrecker des Neoliberalismus die Agenda 2010 durch.
Zwei Legislaturperioden als Junior-Partner der CDU haben die SPD bei Bundestagswahlen ins fast Bodenlose fallen lassen. Wo einst Kurt Schumacher und Carlo Schmidt maßgeblich die SPD-Richtung bestimmten, gingen im neuen Jahrtausend Egomanen wie Walter Riester und Wolfgang Clement ans Werk. Vermisst wird heute ein Kurt Tucholsky, der garantiert für Gerhard Schröder und Freunde noch einmal ein Gedicht wie „An den Bonzen" schreiben würde.