Womit man sich in Berlin derzeit so schwertut, funktioniert anderswo ziemlich geräuschlos. Ungewöhnliche Koalitionen, die nicht gerade aus einer Liebeshochzeit hervorgegangen sind, sind in den Ländern längst funktionierender Normalfall.
Helmut Kohl hatte die ersten Regierungsjahre absolviert, die Welt schien einigermaßen in Ordnung. Und dann der Coup in Hessen, der 1985 die bis dahin säuberlich aufgeteilte politische Landschaft der Bundesrepublik mit Union und SPD, dazwischen die FDP als Mehrheitsbeschaffer, in Unordnung brachte.
Die erste rot-grüne Koalition erblickte in Wiesbaden das Licht der alten bundesrepublikanischen Welt. Ministerpräsident Holger Börner traute sich was. Die Grünen waren ja gerade mal fünf Jahre vorher als Partei überhaupt gegründet worden und wollten damals eine Alternative zu allem sein, was den politischen Ton angab. Sie wollten Autofahren einschränken, Atomkraftwerke abschalten, verstanden sich als Bürgerbewegung gegen Wachstum und hatten allem Bürgerlichen den Kampf angesagt.
Neun Jahre nach Hessen kam es dann noch einen Zacken schärfer. In Sachsen-Anhalt ließ Ministerpräsident Reinhard Höppner sein Rot-Grünes Bündnis von der PDS tolerieren, da ihm zwei Stimmen aus der eigenen Koalition zur Mehrheit fehlten. Diese Minderheitsregierung, auch Magdeburger Modell genannt, hielt tatsächlich eine Legislaturperiode durch. Spätestens seither ist in den Ländern vieles möglich, was im Bund noch undenkbar ist.
Je unverhoffter, desto harmonischer?
Auffällig ist: Je ungewöhnlicher die politische Konstellation auf den ersten Blick erscheint, desto weniger öffentlichen Krach gibt es während der gemeinsamen Regierungszeit.
Beispiel Hessen: Dort regiert der einstige CDU-Hardliner Volker Bouffier seit 2013 mit den Grünen unter der Führung des nicht minder heftigen Tarek Al-Wazir. Beide kennen sich seit rund zwei Jahrzehnten gut und standen sich unter anderem jahrelang bei den Kämpfen um die Startbahn West gegenüber, Bouffier als Innenminister, Al-Wazir als Anführer der Demonstranten. Aus diesem sehr deutlichen Gegensatz ist mittlerweile eine herzliche Beziehung geworden. Im FORUM beschrieb Al-Wazir das Geheimnis: „Wir haben einen sehr detaillierten Koalitionsvertrag ausgehandelt und den arbeiten wir ab, Punkt für Punkt. Gibt es Unklarheiten, sprechen wir direkt miteinander, es wird nicht über Bande gespielt." Das heißt, der eine Koalitionär lässt über einen Parteifreund sein Missfallen zu irgendetwas verlauten. In der Zeitung steht dann immer gern die Formulierung: „Wie wir aus Kreisen der Partei XY erfahren haben". Damit ist der Koalitions-Krach vorprogrammiert. In Hessen verzichtet man auf solcherlei Spielchen. Ministerpräsident Volker Bouffier verwies gegenüber FORUM nicht minder stolz auf den Erfolg: „In den vergangenen vier Jahren ist nicht eine Geschichte an die Öffentlichkeit gelangt, die dort nicht hin sollte." Wobei Bouffier völlig überraschend zugibt: „Ich bin damals in die Verhandlungen reingegangen mit dem Gedanken, eventuell hat die andere Seite ja auch Recht, vielleicht ist der Gedankenansatz ja gar nicht so blöd."
Diesbezüglich noch erfolgreicher ist da nur Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Der grüne Ministerpräsident kann auf sechs erfolgreiche Jahre oberster Disziplin verweisen, auch er hat seinen Regierungsladen im Griff. Wobei das für den Grünen Kretschmann ein bisschen schwieriger ist, denn sein derzeitiger Koalitionspartner CDU gilt im Ländle als schwer angeschlagen, befindet sich seit der historischen Niederlage 2011 in einem politischen Albtraum, der nicht enden will. CDU-Landeschef Thomas Strobl gilt zwar als moderate Kraft, ist aber auch ehrgeizig und steht unter einem gewissen Erfolgsdruck seines Schwiegervaters. Dieser heißt Wolfgang Schäuble, und der war bundespolitisch schon alles, was man gemeinhin so in 45 Jahren Bundestagszugehörigkeit werden kann. Seit Ende Oktober ist er der Präsident des Hohen Hauses in Berlin und damit formal-protokollarisch der zweite Mann im Staat, hinter dem Bundespräsidenten, aber noch vor der Bundeskanzlerin. Strobel braucht endlich einen Erfolg im eigenen Land, damit er bundespolitisch durchstarten kann. Das geht nur gegen den grünen Ministerpräsidenten. Kretschmann weiß das und ist deshalb mit Prognosen für seine zweite Amtszeit sehr vorsichtig. Der weiß aber auch, dass in einer Koalition nie der Eine auf Kosten des Anderen Karriere machen, ohne dabei Gefahr zu laufen, selbst mit unterzugehen. Bislang scheint auch Strobel dies zu beherzigen, und es bleibt in Baden und Württemberg weiterhin ruhig.
Solche Sorgen hat Bodo Ramelow gute 400 Kilometer weiter südöstlich, in Thüringen, nicht: Er führt eine rot-rot-grüne Regierung, wobei das erste Rot ein politisch Dunkelrotes ist.
Der 61-Jährige ist der erste Ministerpräsident der Linken in Deutschland und führt seine Regierung seit drei Jahren schrott- und knitterfrei durch alle verschlungenen Pfade der tagesaktuellen Anforderungen. Wobei Ramelow in einer absoluten Luxussituation ist: Seine Linkspartei allein bringt zwei Drittel der Stimmen in die Ehe ein, SPD und Grüne zusammen ein Drittel. Da lässt sich gut regieren. Die SPD in Thüringen ist mit 12,4 Prozent noch gerade um zwei Prozent über dem Ergebnis der AfD, und die Grünen freuen sich, dass sie überhaupt im Landtag und dann noch obendrein in der Regierung gelandet sind. Da kann es sich der Linken-Ministerpräsident auch schon mal leisten, mit der CSU im Bundesrat in Berlin einer PKW-Maut für EU-Bürger zuzustimmen, ohne dass ihm daheim in Erfurt gleich alles um die Ohren fliegt. Neben CSU-Ministerpräsident Horst Seehofer in Bayern ist Bodo Ramelow in Thüringen im Länderranking der zweite absolute Herrscher. Geht es bei der CSU weiter so drunter und drüber, könnte Ramelow nach den Landtagswahlen in seinem Nachbarland im Herbst kommenden Jahres der Letzte sein.
Was das Ergebnis angeht, ist Malu Dreyer aus Rheinland-Pfalz zumindest innerhalb der SPD die Kronprinzessin der Länder. Nur der sozialdemokratische Erste Bürgermeister aus Hamburg, Olaf Scholz hat ein besseres Ergebnis als sie eingefahren. Trotzdem muss sich Dreyer die Macht teilen, und nicht nur das, sie muss die Macht in einer Ampel-Koalition dritteln. Trotzdem schätzt sie sich glücklich, dass sie überhaupt in Amt und Würden ist.
Gerangel in Berlin schwer verständlich
Denn nach Umfragen wäre sie im Januar 2016 definitiv abgewählt worden. Damals machte ihre Herausforderin Julia Klöckner von der CDU kapitale Fehler, vergeigte den Vorsprung. Heraus kam bei der Wahl ein Bündnis aus SPD, FDP und Grünen. Auch hier hätte man vermuten können, dass sich die Koalitionsverhandlungen lange hinzögen, doch der Hang zur Macht war offenbar stärker. Die FDP mit knapp über 6 und die Grünen mit gerade mal 5,2 Prozent der Stimmen konnten froh sein, dass sie überhaupt dabei waren, und Malu Dreyer konnte so recht schnell ihren Ampel-Betrieb im Mainz aufnehmen. In der öffentlichen Wahrnehmung läuft auch die rot-gelb-grüne Landesregierung ohne großes Ruckeln und Zuckeln, und das, obwohl im Wahlkampf die Positionen von Grünen und FDP in Rheinland-Pfalz nicht weiter hätten voneinander entfernt sein können.
In Hessen ist Schwarz-Grün, in Baden-Württemberg Grün-Schwarz am Regieren, in Thüringen hat ein Ministerpräsident der Linken im Verbund mit der SPD und den Grünen alles unter Kontrolle, und in Rheinland-Pfalz regiert die SPD mit der FDP und den Grünen sehr geräuschlos vor sich hin. Aus keinem dieser Länder sind irgendwelche Skandale zu hören, alle Beteiligten scheinen offenbar darum bemüht zu sein, den ihnen auferlegten Wählerauftrag einzulösen. Und das nördliche Jamaika, das neue Bündnis in Kiel, hat zumindest die ersten Wochen so absolviert, dass es niemanden irgendwie unangenehm aufgefallen wäre.
Und wenn schon nicht Jamaika in Berlin, dann eben nach saarländischem Vorbild die Fortsetzung der Großen Koalition. Auch da war die Neuauflage insbesondere für die SPD nicht das angestrebte Ziel, aber es funktioniert.