Am 15. Oktober gewann die Österreichische Volkspartei die Wahl, SPÖ-Kanzler Christian Kern wurde abÂgeÂstraft. Großer Gewinner: Die rechtspopulistische FPÖ, die in der Regierung des jungen Kanzlers Sebastian Kurz den Juniorpartner gibt. Ex-BurschenÂschafter Heinz-Christian Strache hat damit ein wichtiges politisches Ziel erreicht.
Was Deutschland in den kommenden Wahlen blühen könnte, zeigt heute schon Österreich: Die Groko auf Bundesebene als Dauerzustand hat das parteipolitische System gleichzeitig intern verfilzt und in seiner Außendarstellung erodiert. Nur mit einer türkisen Image-Politur, die der österreichische Christdemokrat Sebastian Kurz seiner Ex-ÖVP verordnet hat, war die Erneuerung der alpenländischen Politiklandschaft nicht getan. Es bedurfte der stramm rechtsnationalen FPÖ, um den Wiener Filz aufzulösen, dem selbst Ex-Kanzler Christian Kern (SPÖ) nicht entkam. Damit blüht, glaubt man den vielen positiven Verlautbarungen aus den Koalitionsverhandlungen, Europa die nächste rechtskonservative Regierung unter Beteiligung der Freiheitlichen, die von rechtsextremen Burschenschaftern durchsetzt ist und vor allem im Wahlkampf kein gutes Haar an Europa ließ.
Erfolg mit dem Thema Nationalismus
Beide Parteien sind – mittlerweile – stark auf ihre Führungsfiguren zugeschnitten: Heinz-Christian Strache, 48 Jahre alt, Studienabbrecher, Zahntechniker, katholischer Internatsschüler, Ex-Burschenschafter, Teilnehmer von rechtsextremen Wehrsportübungen und mit 21 Jahren jüngster Wiener Bezirksrat, eiferte lange seinem Idol Jörg Haider nach. Dieser hatte den rechtsnationalen Populismus in der österreichischen Politik salonfähig gemacht, jedoch 2005 die FPÖ verlassen und gespalten. Es war Strache, der die Reste der Freiheitlichen aufklaubte und seither mit großer Konsequenz und Stetigkeit, glaubt man der österreichischen Zeitung „Standard", von vier Prozent Wählerzuspruch bis auf die Regierungsbank führte. Vor allem die Stetigkeit, mit der Strache das Thema Fremdenfeindlichkeit in den vergangenen Jahren bespielte, gelegentlich garniert mit Homophobie, bescherte der FPÖ neue Wähler und letztlich das Wahlergebnis der Nationalratswahlen 2017 von 26 Prozent – ein Plus von 5,5 Prozent. Ihm, Strache, bescheinigt der österreichische „Standard" immerhin, er sei der bessere Politiker als Haider.
Sein Koalitionspartner hat eine weit weniger schillernde Vergangenheit, Sebastian Kurz wird der derzeit jüngste Regierungschef Europas. 31 Jahre ist er alt, Ex-Jurastudent ohne Abschluss, mit klassischem Weg durch die Parteiinstanzen der Österreichischen Volkspartei, von Jugendorganisation über Landtag bis zum Integrationssekretär unter SPÖ-Kanzler Fischer 2011 und zum Bundesaußenminister Österreichs 2013. Europa rieb sich die Augen über den Politik gewordenen Schwiegermuttertraum, den „Kinderkanzler", den „Wunderwuzzi" aus Wien, wie er spöttisch genannt wird.
Spötter verkennen allerdings die Brisanz des neuen dynamischen Duos. Sebastian Kurz eroberte im Handstreich seine Partei mit Hilfe eines jungen konservativen Klüngels um seine Person. Im Wahlkampf näherte er sich den nationalistischen Parolen der FPÖ an, war der größte Kritiker von Kanzlerin Angela Merkels Willkommenskultur. Der im Wahlkampf versprochene „neue Stil" – konstruktives Miteinander statt missgünstiges Gegeneinander – soll bereits in der Frühphase der der Regierungszusammenarbeit einziehen. Das „formidable Betriebsklima", so das Magazin „Profil", kommt aber künftig auf den Prüfstand der konkreten inhaltlichen Arbeit.
Insbesondere das Verhalten Österreichs gegenüber der EU wird mit Argusaugen aus Brüssel und Berlin beobachtet. Immerhin konnte Kurz der FPÖ ein deutliches Bekenntnis zur EU abringen. In der Migrationspolitik liegt die neue Regierung jedoch noch immer mit Deutschland überkreuz: So soll die bisher geltende, juristisch und politisch umstrittene Obergrenze von aktuell 35.000 Asylverfahren von einer noch schärferen Gangart abgelöst werden. „Wir sind da deutlich ambitionierter", umschrieb ÖVP-Chef Kurz das Ziel, die illegale Migration möglichst ganz zu stoppen. Obendrein sollen Asylberechtigte erst nach zehn statt nach sechs Jahren einen Antrag auf Staatsbürgerschaft stellen können. Die Mindestsicherung soll für Neuankömmlinge fünf Jahre lang auf rund 520 Euro gekürzt und für Familien bei 1.500 Euro gedeckelt werden. Außerdem will die FPÖ, offenkundig aus Rücksicht auf die Stammtische der Republik, das bereits beschlossene und im Mai 2018 Gesetz werdende Rauchverbot in der Gastronomie zurücknehmen. Österreich ist europaweit das Schlusslicht im Nichtraucher-Schutz. Stattdessen sollen Familien gefördert werden. Pro Kind gibt es in der türkis-blauen Regierung eine Steuerentlastung von 1.500 Euro pro Jahr. Damit habe sich die FPÖ mit einer Kernforderung durchgesetzt, verkündete Strache auf Facebook.
Sein größter Erfolg: Die FPÖ wird Außen-, Innen- und Verteidigungsminister stellen. Norbert Hofer, Ex-Präsidentschaftskandidat und noch immer am höchsten Amt interessiert, wird Infrastrukturminister, Strache selbst wird Vizekanzler. Insgesamt ist das Kabinett Kurz politisch weitgehend unerfahren, wiewohl es genügend Experten auf ihren Gebieten gibt. So ist beispielsweise Bildungsminister Heinz Faßmann, der aus Düsseldorf stammt, ehemaliger Universitätsprofessor und Chef des Integrationsbeirates, Wirtschafts- und damit Digitalministerin Margarethe Schramböck war Chefin des österreichischen Mobilfunkanbieters A1, Außenministerin Karin Kneissl gilt als Nahost- und Völkerrechtsexpertin. Politisch aktiv waren jedoch die wenigsten. Kurz selbst ist der einzige, der in Österreich zuvor ein politisches Amt innehatte.
Das strukturierte Vorgehen beim Schmieden der Koalition kam laut Experten nicht von ungefähr. „Kurz und Strache sind zwei Typen, die auf Nummer sicher spielen", meint der FPÖ-nahe Historiker Lothar Höbelt. Auch der aufkommende Gegenwind auf der Straße dürfte Kurz und Strache kaum irritieren. Mehrere tausend Menschen demonstrierten bereits mit einer Lichterkette in Wien gegen die aus ihrer Sicht rechtsextremen Ansichten der FPÖ. Viele Bürger befürchten obendrein einen Sozialabbau unter einer türkis-blauen Regierung.
Außenpolitisch positioniert sich das Alpenland nun so weit entfernt von der Kern-EU wie nie zu vor – und damit auf Schmusekurs mit den sogenannten Visegrad-Staaten: Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei bilden den Kern einer Bewegung von EU-Staaten, die sich autoritäre und tendenziell demokratiefeindliche Staatsregierungen leisten. „Illiberale Staaten" nannte Ungarns Präsident Viktor Orban diese, und ein nationalkonservatives Österreich hätte alleine durch seine historische Verbundenheit mit dem ungarischen Nachbarn die Möglichkeit, diese Staaten bei ihrem EU-kritischen, ja EU-feindlichen Kurs zu unterstützen. Entlang dieser Linie wird sich das Schicksal des Polit-Duos Kurz-Strache entscheiden.