Im „Kreuz + Kümmel" kombiniert Chaitanya Singh Spezialitäten der urdeutschen und europäischen Küche mit den Einflüssen seiner indischen Heimat. Was dabei herauskommt, ist überaus schmackhaft.
Logisch, dass ein Inder in Berlin prädestiniert ist, „die heilige Berliner Currywurst" zu optimieren, oder? Chaitanya Singh hat sich dieser nicht ungefährlichen Aufgabe angenommen. Doch was in der porzellanenen Pommesschale in seinem Lokal „Kreuz + Kümmel" vor uns auf den Holztisch gestellt wird, ist nichts weniger als eine Huldigung der Curry-Sauce und der dazugehörigen Wurst. Eine aus Schweineschulter und Schweinebauch selbstgemachte, grobe Bratwurst tut sich mit einer fruchtig-scharfen Tomaten-Sauce zusammen, der die Vollmundigkeit der ausgewählten und selbstgemischten Gewürze anzumerken ist. Frittierte Okraschoten und Zwiebelringe sowie eine Masala-Brioche mit Koriander und Kreuzkümmel vereinigen sich mit Wurst und Sauce zu berlinerisch-indischem Streetfood im besten Sinne.
„Ich verkaufe nur, was ich selbst essen mag", sagt Chaitanya Singh. Der 43-Jährige weiß, wovon er spricht. In Indien war er Food-and-Beverage-Manager und Restaurantleiter in Hotels der „Taj"-Gruppe in Bombay. Später führte er ein erfolgreiches Cateringunternehmen und eine Bar in seiner Heimatstadt Kalkutta. Seine aufgebürstete und runderneuerte Currywurst war in Berlin auf Anhieb ein Erfolg. Bei der Party eines großen Unternehmens waren „seine" tausend Würstchen innerhalb einer Stunde aufgegessen. Wer später kam, musste mit „normaler" Currywurst vorlieb nehmen. Das Experiment gelang. Bald sollen Singhs Currywürste auch im „Indbiss", einem eigenen Food-Truck, verkauft werden.
Freude am Experimentieren und am Unernst
Mit Experimentierfreude, Liebe zu seinen Produkten, Präzision und einem Quäntchen Unernst steht Singh im „Kreuz + Kümmel" für das, was ihm wichtig ist: Weltläufigkeit sowie die spielerische Vereinigung und Weiterentwicklung von europäischer und indoasiatischer Kulinarik. Seit sechs Jahren lebt der mit einer Deutschen verheiratete Singh in Berlin, ist längst selbst Deutscher. „Ich kann prima Königsberger Klopse", sagt er. Schon in Indien wurde er westlich geprägt. „Aber in Deutschland habe ich meine indischen Wurzeln entdeckt", sagt er. Gut so und schmackhaft für uns! Der Heidesandkeks zum Cappuccino beim Eintreffen deutet mit einer Prise vom namensgebenden Kreuzkümmel eine Verbeugung vor der indischen Tradition an – norddeutsches Teegebäck trifft indo-arabisches Cumin, so der andere Name des Gewürzes. Nach der bisherigen Arbeit im Catering sollte sein erstes Lokal im Winskiez etwas ganz Eigenes bieten: „Bistroküche mit indischem Twist". Catering gibt’s natürlich ebenfalls. Ein Tagungs- sowie ein kleinerer Workshop-Raum bieten Platz für Events, zu denen das Catering eine kulinarische Note der anderen Art beisteuert.
Vom indischen Flair überzeugen wir uns zunächst bei einer Blumenkohlsuppe mit Brot, geschmälzten Tomaten, Ajwaine – Königskümmel – und Gewürzbrioche von der Tageskarte. „Kümmel" aller Arten findet seinen Platz in Singhs Küche. Der Königskümmel erinnert leicht an Thymian und lässt einen mediterranen Hauch über die Suppe wehen. Eine dünne, geröstete Brotscheibe ist Unterlage für die mit dem Bunsenbrenner abgeflämmten Tomaten und die Brioche. „Das Brot schneide ich mit der Aufschnitt-Maschine so dünn", sagt Chaitanya Singh. „Ich liebe Maschinen und so ein Spielzeug."
Nicht weniger liebt er die Früchte seiner Heimat. Er holt eine frisch gelieferte Jackfrucht nach vorn. Das grüne Zwölf-Kilo-Trumm, das die eine oder andere Oberarm-Trainingseinheit im Sportstudio erspart, wird etwa in eine Quesadilla-Füllung verwandelt. Wer sagt, dass das kulinarische Crossover an europäischen Grenzen haltmacht? Wer’s lieber fleischig mag, kann die mexikanischen Klapp-Tortillas mit Mutton Curry bekommen, mit Lammhack-Füllung. Dazu kommen klassisch eine Käse-Sauce und Guacamole. „Mein bester Freund ist Mexikaner, wir trinken gern zusammen Tequila und essen Quesadillas dazu", sagt Singh. So entstand das Gericht.
Tagsüber ist der lichte, geradlinige Raum mit den hängenden Grünpflanzen von Singhs Freundin Julie Hickman von „Green Roots" ein Frühstücks- und Tortentempel sowie Treffpunkt der Nachbarschaft: „Die eine Hälfte der Gäste sitzt an Laptops, um die andere wuseln die Kinder herum", beobachtete Singh. Er übernahm das Lokal vor erst drei Monaten. Abends verwandelt es sich in ein gemütliches Bistro. Die Karte ist mit vier Barsnacks und zehn, elf Hauptgerichten übersichtlich, aber durch die ungewohnten Aromen-Kombinationen sehr vielfältig. Das indische Wohlfühlessen „Kitchari", eine Mischung aus Basmati-Reis und Linsen, ist ebenso vertreten wie ein „Schweinebauch Vindaloo" mit Masala-Brioche und Pickles. Beide Gerichte wurden aus dem Stand Lieblingsessen der Gäste. Sich einmal durch die Karte zu essen, ist preiswert: Die Snacks kosten zwischen 4,20 und 6,80 Euro. Die Hauptgerichte liegen zwischen 4,80 Euro für die Tagessuppe oder 5,80 Euro für eine Salat-Bowl und 17,60 Euro für ein Malai-Curry mit Tiger-Prawns im Bananenblatt.
Die Welt braucht mehr Chips aus der Lotuswurzel
Hätten wir „Kitchari" oder Vindaloo-Schweinbauch serviert bekommen, hätten unsere Kapazitäten vielleicht nicht mehr für die Maultaschen mit Chicken-Tikka-Masala-Füllung gereicht. Das allerdings wäre schade gewesen. Die mit Joghurt marinierten und im Tandoor-Ofen gegrillten Hühnchen-Stücke werden in einer würzigen Tomaten-Joghurt-Sauce geschmort – Chicken Tikka Masala gilt als der indische Klassiker in Großbritannien und als britische Erfindung. „Ich wollte die Schwaben ärgern. Wir sind schließlich im Prenzlauer Berg", sagt Singh mit breitem Grinsen. Die Schwaben ärgerten fachgerecht zurück und monierten, es handele sich um Ravioli. Der Rand der Nudeltaschen sei nämlich zusammengedrückt, der Teig nicht wie bei „Maultäschle" eingeschlagen. Der Teig ist selbstredend handgemacht, „mit so einem kleinen Haushaltsgerät", sagt Singh. „Ich bin ein Mensch der Hände. Nudelmachen ist pure Entspannung für mich."
Nicht zuletzt sind die Lotoswurzel-Chips und Okra-Streifen obenauf eine augenschmeichelnde Knusper-Auflage. Ich finde: Die Welt braucht mehr von den dekorativen Lotoswurzel-Scheibchen mit den kreisrunden, centgroßen Löchern. Sie begegnen uns ebenso beim Barfood, in bester Gesellschaft von Okra-Streifen, in Masala-Panade ausgebackenen Oliven sowie Zwiebelringen. Der Mix kann als kleiner Snack zu einem Wein, Bier oder Tequila geordert werden. Wir haben noch einmal das Vergnügen mit der Lotoswurzel und dem Aroma der Chicken Tikka Masala. Eine buttrige Sauce zu selbstgemachten Gnocchi ist mit dem Fett des Chikken Tikka Masala gewürzt. Schwupps, schon ist Indien drin, wo Italien ursprünglich draufstand. Manche Gerichte wie das von britischen Einwanderern kreierte Chicken Tikka Masala wirken wie ewige Klassiker der jeweiligen Landesküche. Dabei wanderten sie erst später in das vermeintliche Ursprungsland ein – ähnlich wie der in Berlin erfundene Döner Kebap in die Türkei. Der Mango Lassi Cheesecake, der ihm, so Singh, „eines Nachts im Traum einfiel", könnte so ein Neoklassiker werden. Optimistisch orangefarbene Mango-Püree-Schlieren auf einem frischkäsebasierten Käsekuchen mit mürbem Kekskrümelboden und die Joghurt-Frische des Lassi vereint die Geschmäcker des indischen Joghurt-Frucht-Drinks mit denen des amerikanischen Cheesecakes. „Den müsst ihr unbedingt probieren", ruft uns Chaitanya Singh zu. Gegenwehr zwecklos, denn er steht schon mit einem Stück, glücklicherweise umrundet von mehreren Gabeln, vor uns dreien. „Oder möchtet ihr noch einen Kaffee-Schokoladenkuchen? Danach seid ihr wieder munter!"
In letzterem steckt eine Menge Espresso, und er sieht in seiner dunklen Wuchtigkeit enorm verführerisch aus. Wir verzichten jedoch auf die Qualitätskalorien drumherum und nehmen das Koffein nach den üppigen Kostproben lieber in Gestalt eines mexikanischen Kaffeelikörs gemeinsam mit Chaitanya zu uns. Das Kuchenbüffet mit „Rasmalai"-Kuchen mit getrockneten Rosenblättern, Karottenkuchen, Eclairs und Cookies ist eine zweifellos eigene Herausforderung für einen „Crossover-Konditern"-Besuch an einem anderen Tag.