Einst war sie fester Bestandteil des Dresscodes. Diesen Winter versuchen renommierte Designer von Prada bis Balenciaga die Krawatte zu retten und sie zu einem schillernden Accessoire der Herrenbekleidung zu machen.
La cravate, c’est l’homme“ – was Honoré de Balzac um 1830 bewundernd über das männliche Bekleidungs-Accessoire gesagt hatte, wird heutzutage wohl kaum jemand mehr widerspruchslos akzeptieren wollen. Denn der französische Schriftsteller hatte damit ja nichts anderes behauptet, als dass ein Mann nur soviel wert seiwie seine Krawatte, die damals so etwas wie ein Symbol oder Markenzeichen des Herrn der gehobenen Gesellschaft war und von den modebegeisterten Dandys jener Zeit abgöttisch geliebt wurde. Selbst die Beatles hatten den Rock’n’Roll noch mit dem Schlips um den Hals revolutioniert.
Doch in den letzten Jahren wird vor allem in deutschen Landen immer wieder über das „Ende der Krawatte“ in Feuilletons oder Stil-Rubriken philosophiert. Meist im Zusammenhang mit einem aktuellen Aufhänger, wenn beispielsweise der Krawattenzwang in einem renommierten Traditionsunternehmen wie Bosch oder Siemens abgeschafft wurde oder wenn sich prominente Top-Manager wie Daimler-Boss Dieter Zetsche, Metro-Chef Olaf Koch oder Allianz-Primus Oliver Bäte gewissermaßen „oben ohne“ ablichten ließen. Noch vor nicht allzu langer Zeit wäre so etwas undenkbar gewesen, schließlich galt die Krawatte besonders hierzulande als Machtsymbol der Manager-Clique, vor allem der Bankenoberen.
Nicht nur Bestandteil der Wirtschaftswelt
Wer heute nicht als ein Mann von gestern gelten möchte, muss fast zwangsläufig, zumindest im Beruf, auf den Halsbinder verzichten. Weil am Vorbild und den Vorbildern des Silicon Valley niemand mehr vorbeikommt. Schließlich haben die Internet-Pioniere den hiesigen Managern, Bankern, Politikern, Juristen und Investoren nachdrücklich mit ihrem legeren Auftritt bewiesen, dass man nichts Besonderes sein muss, nur weil man Anzug und Krawatte trägt. Ganz im Gegenteil: Steve Jobs – der legendäre Apple-Gründer pflegte innovative Paukenschläge stets im schwarzen Rollkragenpullover vorzutragen – und Co. prägten das öffentliche Bild, dass digitale Erneuerer, in ganz bewusster Abgrenzung zur Old Economy, eben keine Krawatte als Kleidungsaccessoire benötigten. Diesen modernen, überaus erfolgreichen Gründerspirit wollen sich die Chefs der deutschen Traditionsbranchen aneignen und damit gewissermaßen ein Signal aussenden: Wir sind offen für das Neue, für die Zukunft und ihre Technologien sowie für jüngere Kunden.
Der deutsche Stil-Papst Bernard Roetzel, dessen Buch „Der Gentleman“ sich millionenfach verkauft hatte, lässt sich davon nicht beirren und hält eisern an seiner Meinung fest, dass die Krawatte zum kompletten Bild eines stilvollen Mannes unabdingbar dazugehört. Dass Top-Manager im Freizeit-Outfit auftreten, hält er zumindest für unpassend. Was ihn aber ganz besonders stört ist die Tatsache, dass hierzulande die Krawatte fast nur im Zusammenhang mit dem Berufsleben eine Rolle spielt: „Hier wird die Krawatte fast ausschließlich der Wirtschaftswelt zugeordnet.“ In anderen Ländern wie Italien oder Frankreich gelte sie dagegen als Bestandteil der Kultiviertheit. Und als solche werde sie dort, und hoffentlich bald auch wieder in Deutschland, immer ihre Berechtigung haben. Schließlich sei sie als männliches Modeaccessoire eigentlich konkurrenzlos: „Auch Männer haben ein großes Schmuckbedürfnis, und die Krawatte ist das einzige Kleidungsstück, mit dem sie ihm nachkommen können.“
Ins gleiche optimistische Horn wie Roetzel bläst Gerd Müller-Thomkins vom Deutschen Modeinstitut in Köln – kein Wunder, kürt dieses doch regelmäßig den „Krawattenmann des Jahres“ (letzter Preisträger 2016: Manuel Neuer vom FC Bayern München). Müller-Thomkins: „Die Krawatte ist nicht tot und wird auch nicht verschwinden.“ Bedenklich findet er nur, genauso wie viele Krawattenhersteller, dass immer mehr ältere Herren bewusst auf den Schlips verzichten, weil sie glauben, ohne den Binder jünger zu wirken. Hoffen lässt ihn allerdings auch eine vornehmlich von jungen, tätowierten, bärtigen Hipstern getragene Gegenbewegung, die zielsicher zum Aufbrechen gesellschaftlicher Konventionen auf die Krawatte setzt.
Doch allein schon die Umsatzzahlen sprechen eine ganz andere Sprache. Der Markt für Krawatten ist deutlich geschrumpft. 2015 belief sich der Umsatz mit Krawatten und Fliegen nur noch auf rund 15 Millionen Euro, 2011 waren es noch 25,5 Millionen Euro gewesen. Große Herrenmodegeschäfte wie Hirmer in München betrachten diese Entwicklung mit Sorge. „Wir verkaufen deutlich weniger Krawatten als vor 25 Jahren“, sagt die Hirmer-Geschäftsleitung. Bei Breuninger in Stuttgart hat man allerdings bislang keinen wesentlichen Rückgang im Schlipsverkauf registrieren können, sondern freut sich sogar über steigende Zahlen beim Absatz von Einstecktüchern, mit denen angeblich vor allem jüngere Männer modische Akzente setzen wollten.
Die Funktion eines Eye-Catchers
„Die Masse trägt immer weniger Krawatten“, sagt Barbara Pauen, die Inhaberin einer der wenigen von einstmals 200 Krawatten-Unternehmen in Krefeld namens Ascot-Manufaktur. „Aber“, erzählt Pauen weiter, „es wird immer Personen geben, die Wert auf ein hochwertiges Produkt legen und es sich auch leisten können.“ Bei Ascot setzt man auf das Hochpreis-Segment, um sich von der Billigmassenware aus China abzuheben. Deshalb zählen auch bekannte Luxusmodemarken zu den Ascot-Kunden. „Alle Strickwaren von Hermès“, so Pauen, „stammen von uns.“ Die Krawatte ist auch heute noch ein Teil der Krefelder Identität, noch immer kommen 80 Prozent der deutschen Schlipse aus der Stadt vom Niederrhein.
Alessandro Sartori, der neue Designchef des italienischen Traditionshauses Zegna, das schon immer viele Schlipse verkauft hatte, sieht die Zukunft der Krawatte wenig rosig: „Ich wünschte, ich könnte sagen, sie kommt zurück. Aber ich fürchte nein. Noch vor 20 Jahren waren die Dresscodes viel strikter. Die sind für immer verschwunden. Eine Krawatte wird ein hübsches, überflüssiges Accessoire sein. Ich habe natürlich den Schrank voller Krawatten, die fast alle gleich aussehen, und trage sie auch gern. Aber in unserer neuen Kollektion gibt es weite Rollkrägen, Rundhals-Tuniken und Hemden mit V-Ausschnitt. Jedoch keine einzige Krawatte.“ Dass die Krawatte letztlich nur noch so etwas wie ein dekoratives Accessoire, ein Luxusgegenstand, „bar jeder Nützlichkeit“ sein soll, hatte auch Gerd Müller-Thomkins postuliert. Was der französische Philosoph Roland Barthes sicherlich abgestritten hätte. Schließlich hatte er in seinem Buch „Sprache der Mode“ behauptet, dass jede Art von Kleidung auch etwas über den Menschen selbst zum Ausdruck bringen kann. Von daher ist eine Krawatte also nicht nur eine Krawatte, sondern sie steht für etwas. Allerdings nicht mehr als gemeinsames Erkennungszeichen für die Mitglieder in elitären Vereinigungen wie englischen Nobel-Herrenclubs, sondern heute nimmt sie die Funktion eines Eyecatchers ein. Damit ist sie direkt wieder zu ihren Anfängen oder Vorläufern zurückgekehrt. Denn einer beliebten Legende zufolge hatten kroatische Söldner in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges die Mode des Halsschmuckes an den französischen Hof nach Versailles gebracht. Und damit den Sonnenkönig Ludwig XIV. derart begeistert, dass schon bald die Tücher „à la croate“, woraus irgendwann das Wörtchen „cravate“ hervorging, statt des bis dahin üblichen separat angelegten steifen Hemdkragens zum festen Bestandteil der adligen Bekleidung wurden.
Im Gegensatz zu Zegna haben eine Reihe prominenter Herrenmoden-Marken ihre Models auf den Laufstegen für diese Wintersaison mit dekorativen Krawatten um den Hals stolzieren lassen. Dabei waren schmale Modelle neben breiten Varianten zu besichtigen. Neue Binder kann man demzufolge finden in den Kollektionen von Dior Homme, Alexander McQueen, Thom Browne, Balenciaga, Vetements, Prada, Gosha Rubchinsky, Paul Smith, Hugo Boss, Burberry, Gucci oder Wales Bonner.
Die „Vogue“ sah darin so etwas wie eine Wiederauferstehung der Krawatte, ein Comeback des Business Casual in einer allerdings spielerisch-ironischen Form. Und natürlich bieten die Ties neben den bunten Socken auch eine tolle Möglichkeit, das ansonsten meist zurückhaltende Outfit des Mannes optisch aufzupeppen. Wobei diese Saison häufiger raffinierte Blautöne, florale Muster und jede Menge Plaid neue Krawatten-Trends setzen. Und laut „Washington Post“ sind die breiteren Krawatten wieder auf dem Vormarsch sind. Für das Männermagazin „GQ“ ist die gestrickte Seidenkrawatte das Nonplusultra oder wörtlich der „white sneakers of tie fabrics“, diese Saison laut „GQ“ am besten bei Ralph Lauren Purple Label zu kaufen (Alternativen: Brooks Brothers oder Charvet).
Wie dem auch sei: Viel wichtiger noch ist, dass die Krawatte – egal ob mit Paisley-Print, gepunktet, gestreift oder einfarbigb stofflich und auch vom Muster her mit dem gewählten Outfit harmoniert. Auf jeden Fall sollte die dominante Farbe des Schlipses einen Ton des Hemdes oder des Jacketts aufgreifen. Breitere Modelle, kräftige Farben sowie große Farbkontraste signalisieren eine starke Präsenz. Diagonale College-Streifen gehen eigentlich immer. Karierte Muster verleihen der Krawatte Tiefe. Bei Punktierungen gilt: Je größer der Punkt, desto gewagter der optische Eindruck. Paisley ist ziemlich auffällig, da ist man mit Glencheck, Hahnentritt oder Pepita mehr auf der sicheren Seite.
Der Knoten ist elementar wichtig
Die normale Krawattenbreite liegt zwischen sechs und 9,5 Zentimetern, maximal reicht die Spanne sogar von vier bis 15 Zentimetern. Die klassische Krawatte hat eine Länge von rund 145 Zentimetern, für „Riesen“ gibt es Überlängen von mehr als 150 Zentimetern. Der Schlips sollte immer mit der Spitze genau in der Mitte der Gürtelschnalle enden, den Gürtel aber nicht verdecken. Je schmaler die Krawatte, desto niedriger sollte der Body-Mass-Index des Trägers sein. Bei zierlichen Schlipsen sollte unbedingt ein breites Revers vermieden werden. Hochwertige Krawatten, die aus drei Teilen bestehen, werden aus reiner Seide oder Wolle gefertigt. Die förmlichste Variante sind gewebte sowie bedruckte Seidenbinder. Alternativ sind auch dunkle Strick- und Wollkrawatten aus Schurwolle, Kaschmir oder Wollmischungen empfehlenswert.
Für den perfekten Sitz ist der Knoten elementar wichtig, der sauber mit dem Kragen abschließen und den Kragensteg komplett abdecken sollte. Die gängigsten Bindevarianten sind Windsor oder Four-In-Hand, wobei letzterer auch für Anfänger leicht zu erlernen ist (jede Menge Anleitungen gibt es auf YouTube). Krawatten sollten nie geknotet aufbewahrt werden, weil sie dabei ihre Form verlieren. Idealerweise sollten sie hängend, zusammengerollt oder einmal gefaltet gelagert werden.
Übrigens: Als Alternative zu Krawatten erfreuen sich auch Halstücher, die lustigerweise auch „Cravat“ genannt werden, wieder wachsender Beliebtheit. Und auch Rollkragen stehen diesen Winter wieder ganz groß im Kurs, beispielsweise als tolle Strickkleidung bei Versace, Dries Van Noten, Louis Vuitton oder Agi and Sam.