Nie war es so mühsam, eine Koalition zusammenzubringen. Für Angela Merkel und die CDU stellt sich aber eine gleichzeitig zu klärende Aufgabe. Denn kaum einer hegt noch Zweifel: Der politische Zenit der Kanzlerin ist erreicht.
Die Merkel allein zu Haus, Merkel-Dämmerung. Wer sich nicht nur auf bloße Spekulation verlassen will, belegt die These mit Zahlen. Das zähe Ringen um eine neue Koalition hat länger gedauert als selbst manche der für ihre tarifpoker-ähnlichen Verhältnisse bekannten europäischen Verhandlungen. Und dabei waren es bislang „nur“ Sondierungen. Die eigentlichen Verhandlungen stehen erst bevor, sollte der SPD-Parteitag sein Okay geben. Das dürfte Angela Merkel, deren Ausdauer in solchen Dingen schon legendär ist, weniger berühren. Anders womöglich als aktuelle Umfragen: Nach ihnen geht erstmals eine Mehrheit davon aus, dass entgegen ihrer klaren Wahlkampfansage Merkels Kanzlerschaft, so sie denn erneut zustande kommt, nicht bis zum Ende der regulären Legislatur dauern wird.
Koalitionen zusammenzubringen, auch mit ungleichen Partnern und höchst widersprüchlichen Interessenlagen, darin hat Merkel Routine. Die zweite Aufgabe ist eine, die für jeden Spitzenpolitiker eine einmalige Herausforderung im wörtlichen Sinn ist: einen Übergang zu organisieren für die Zeit nach der eigenen Karriere. Das gilt für Regierung wie Partei. Dabei wird das einstige „Kohls Mädchen“ sehr genau am Beispiel ihres Vorgängers studieren, wie es nicht laufen sollte.
Merkels Stärke als gelernte Physikerin ist, Realitäten nüchtern so zur Kenntnis zu nehmen, wie sie sind. Daraus hat sie eine ziemlich ideologiefreie, pragmatische Politik formuliert. Der Vorwurf, sie habe die CDU „sozialdemokratisiert“ oder „nach links gerückt“ beschreibt das Phänomen nur teilweise, ebenso wie der Hinweis, sie mache ihre Entscheidungen von Umfragen abhängig (auch wenn sie die dem Vernehmen nach sehr genau im Blick hat). Zutreffender mag die Beschreibung einer Politik sein, die „auf Sicht fährt“. In Zeiten unüberschaubarer Krisen hat ihr das auch auf internationaler Ebene hohes Ansehen als Politik-Managerin eingebracht.
In den eigenen Reihen gibt es dagegen nicht erst seit gestern einen gewissen Orientierungsverlust, der einhergeht mit einer Sehnsucht nach klarer Verortung.
Eines der Zeichen dafür ist der Versuch der sich als konservativ Verstehenden, sich in der Partei zu organisieren. Selbst in weiten Teilen der Jungen Union wird der rebellische Wunsch nach einem erkennbar konservativeren Profil immer lauter. Wobei sich „konservativ“ beispielsweise an familien- und gesellschaftspolitischen Themen festmacht; symbolhaft dafür stand die Diskussion um die Homoehe und steht die Debatte ums Erziehungsgeld. Gleichzeitig ist das Verhältnis der „C“-Partei zu den Kirchen nicht mehr ungetrübt. Bemerkenswert sind durchaus prominente Stimmen, die die Kirchen, wenn sie sich in Flüchtlings- oder sozialen Fragen öffentlich einmischen, in Schranken verweisen. Zuletzt erlebbar als Reaktion auf politische Weihnachts- und Neujahrspredigten.
Merkels Parteivorsitz war über weite Strecken von dem Phänomen begleitet, dass die Union insbesondere in den Großstädten keinen Fuß mehr fassen konnte und die Zahl unionsgeführter Bundesländer immer übersichtlicher wurde. Das hat sich im letzten Wahljahr dramatisch verändert, besonders, als die Christdemokraten das sozialdemokratische Stammland, zudem unter Führung der einstigen SPD-Hoffnungsträgerin Hannelore Kraft, gewannen.
So fulminant dieser Sieg für die Union im bevölkerungsreichsten Land war, wurde doch der Wahlsieg von Annegret Kramp-Karrenbauer im Saarland mit ganz besonderer Aufmerksamkeit registriert. Ihr gelang im Mammutwahljahr, was nicht einmal die sieggewohnte CSU in Bayern schaffte: ein Ü-40-Ergebnis. Und das auf dem absoluten Höhepunkt des Schulz-Hype.
Dass sie als mögliche Merkel-Nachfolgerin gehandelt wird, ist allerdings nicht neu. Bereits vor sechs Jahren hat sie ein klares Ausrufezeichen gesetzt, als sie die erste „Jamaika“-Koalition auf Landesebene wegen der inneren Instabilität platzen ließ und für das hohe persönliche Risiko bei der anschließenden Neuwahl überzeugend belohnt wurde. Ihre Rolle bei den komplexen Bund-Länder-Finanzverhandlungen hat ihr zudem hohen Respekt eingebracht. Und dass sie im Gegensatz zu anderen nie mit bundespolitischen Ambitionen hausieren ging, hat ihr keineswegs geschadet.
Das Personal-Roulette dreht sich
Einigen in der CDU, so ist zu hören, ist ihre Art des Politikmanagements aber zu pragmatisch und damit merkelähnlich. Sie selbst hat bei den ersten Spekulationen vor Jahren noch abwinkend gelächelt. Inzwischen, so wird aus Berlin berichtet, soll sie routinemäßig antworten, man möge ihren Mann fragen, was er davon halte, wenn sie Aufgaben fernab der Heimat übernehmen würde.
Für jüngere Konservative gilt Jens Spahn als Hoffnungsträger. Neuerdings wird auch wieder über Thomas de Maizière spekuliert, einer der engsten Merkel-Vertrauten. Andere, denen schon immer Ambitionen auf Höheres nachgesagt wurden oder die sich darum bemüht haben, dass dem so war, sehen sich schwankenden Spekulationen über ihre Chancen gegenüber. Ein stückweit rächt sich Merkels kohlähnlicher Stil im Umgang mit Personal. Dazu kommen die Wahlsiege auf Länderebene im vergangenen Jahr, die das Personal binden. Bei all dem Hin und Her verweisen Spötter gerne auf die goldene Regel bei einer Papstwahl, wonach der, dessen Name als erstes und am häufigsten genannt wird, garantiert keine Chance habe.
Wie auch immer Merkel einen möglichen Übergang händelt, er ist verbunden mit der Frage nach dem weiteren Kurs der Partei. Der Wahlerfolg der AfD hat die Lücken im etablierten Parteiensystem überdeutlich gemacht. Selbst wenn der ein oder andere darauf setzt, diese Partei werde sich im parlamentarischen Alltag erst selbst entzaubern und dann wieder marginalisieren, wie es bei früheren Entwicklungen am Rechtsaußenrand zu beobachten war: Es bleibt die Herausforderung, denjenigen Antworten zu geben, die sich ganz offensichtlich von der bisherigen Politik nicht mehr vertreten sehen. Für die CDU heißt das, inhaltlich Antworten darauf zu geben, wie sie das „C“ im Parteinamen in praktischer Politik versteht, ebenso wie eine nicht nur akademische Antwort darauf, was heute eigentlich „konservativ“ ist. Die Erwartungen an Politik, über pragmatische Lösungen in Alltagsherausforderungen Orientierungsrahmen anzubieten, ist unverkennbar gewachsen.