Drei mal dreizehn Verhandler saßen in der großen Sondierungsrunde. Fast ein Drittel davon regiert selbst – in den Ländern. Im Poker um die Bundespolitik haben die Ministerpräsidenten einen starken Einfluss.
Diesmal sollte alles anders werden. Bei den GroKo-Sondierungen wollte man aus den Fehlern der gescheiterten „Jamaika“-Runden lernen. In Sachen peinliche Balkonbilder hat das funktioniert, die gab es diesmal nicht. Vielleicht auch, weil es in den Tagungsgebäuden keine adäquaten Balkone gibt, weder in der CDU- noch in der SPD-Zentrale, auch nicht in der bayerischen Landesvertretung. Dann wurde ein absolutes Schweigegelübde verhängt, kein Wort, kein Twitter, kein gar nichts sollte an die Öffentlichkeit gelangen. Das klappte dann aber nur bedingt. Die Parteisoldaten der drei Sondierungsgruppen hielten sich stoisch daran.
Doch für die Ministerpräsidenten und deren Entourage schien dieser Maulkorb nur bedingt zu gelten. Fast, als wollte er zeigen, wo eigentlich der Hammer hängt, meldete sich als erster vielsagend NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) zu Wort und bestätigte mal eben, dass die Sondierer das Klimaziel 2020 kassiert hatten. Laschet, der erst seit Juni vergangenen Jahres im Amt ist, braucht dringend Erfolge und vor allem bundesweite Aufmerksamkeit. Nicht mal im eigenen Land haben alle mitbekommen, dass Hannelore Kraft (SPD) gar nicht mehr regiert. Mit seinem Vorpreschen wollte er offenbar so auch den Eindruck entstehen lassen, dass er sich maßgeblich für das Aufgeben der Klimaziele eingesetzt hätte, schließlich kommt er aus einem Montanland. Jedenfalls wollte er wohl verhindern, dass nachher die Sozialdemokraten die industriefreundliche Entscheidung für sich reklamieren könnten.
MP-Konferenz als eigener Machtfaktor
Zudem spielten auch Eifersüchteleien bei den inszenierten TV-Auftritten der Landeschefs eine nicht zu unterschätzende Rolle. Beispiel Michael Kretschmer (CDU), neuer sächsischer Ministerpräsident. Bei der Bundestagswahl hatte er sein Direktmandat in Görlitz an die AfD verloren, nun darf er nach dem Rückzug von Ministerpräsident Tillich als Dankeschön den Freistaat regieren. Vernehmbar beschwerte sich Kretschmer bitter über den „Grundton“ der Sondierungen, bei denen es laut Kretschmer immer nur ums „Geld ausgeben“ gegangen sein soll. Dabei spielte er auf die 45 Milliarden Euro an, die Kanzleramtsminister und geschäftsführender Finanzminister Peter Altmaier als Verhandlungsmasse in Aussicht gestellt hatte. Bis zu Kretschmers öffentlicher Beschwerde wusste niemand von dieser Summe. Doch den stolzen Sachsen störte nebenbei etwas ganz anderes. Annegret Kramp-Karrenbauer, aus dem kleinen Saarland mit nicht mal einer Million Einwohnern, war ständig im Fernsehen, er nicht. Nach seiner Indiskretion durfte auch er endlich mal was in die Kameras sagen.
Sollte es zu Koalitionsverhandlungen kommen, werden die zehn beteiligten Ministerpräsidenten aber nicht nur ihre jeweiligen Starallüren ausleben wollen, sondern knallhart Politik machen. Da geht es vor allem um Geld und Arbeitsplätze. Das eine ist die Schuldenbremse, das andere die Klimaziele und damit bedingt auch der Kohleausstieg. Beides ist den Landesfürsten ein Dorn im Auge, weil für ihre Begriffe akut existenzgefährdend.
Gerade bei der Schuldenbremse bilden die Ministerpräsidenten von CDU und SPD beinahe einen Block gegen die noch amtierende und womöglich auch künftige Bundesregierung. Angeführt von der derzeitigen Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK), der Saarländerin Annegret Kramp-Karrenbauer, wollen sie den Bund dazu bringen, bei der zukünftigen Entschuldung der Kommunen tatkräftig zuzupacken, sprich Geld in die Hand zu nehmen.
Derlei gehört eigentlich auf die Ministerpräsidentenkonferenz oder in die Länderkammer, den Bundesrat, aber nicht in Sondierungen oder Koalitionsverhandlungen. Denn damit wird nicht nur der Grundsatz des föderalen Systems komplett ausgehebelt, sondern auch das Grundgesetz unterlaufen. Dort heißt es in Artikel 83: „Die Länder führen die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus.“
Im Klartext, die Länder führen die Gesetze aus, die der Bundestag, die Volksvertretung aller Deutschen, beschlossen hat. Doch wenn die Bundesländer an diesen Gesetzen im Vorfeld, sprich in Koalitionsverhandlungen, schon federführend mitgeschrieben haben, verschwimmt die Trennung Bund/Länder immer weiter. Der Koalitionsvertrag von heute, das sind die Gesetze von morgen.
Und die brauchen in vielen Fällen die Zustimmung aus der Länderkammer, die je nach Interessenlage auch zum Machtinstrument werden kann. Über diesen Weg ist in der Vergangenheit schon mancher Deal auch in ansonsten ungewöhnlichen Konstellationen verabredet worden. Ein Fehler ist es jedenfalls nicht, die Länderinteressen von vorneherein so weit als möglich einzubinden.
Es geht um Interessen und letztlich ums Geld
Es geht neben diesem Zusammenspiel aber im Hintergrund auch um die Frage, inwieweit die Wirtschaft über die Ministerpräsidenten am womöglich künftigen Koalitionsvertrag mitschreibt. Da ließ die Entscheidung der Sondierer aufhören, dass das Klimaziel 2020 aufgegeben werden soll. Dieses Ziel, nur noch 40 Prozent CO2-Emission in zwei Jahren gegenüber 1990, hätte wohl nur mit einem rigiden Kohleausstieg erreicht werden können. Dies wussten die Ministerpräsidenten vor allem aus den Kohleländern zu verhindern, denn sowohl an der Steinkohle im Westen als auch der Braunkohle im Osten der Republik hängen Arbeitsplätze. Dahinter stehen dann noch die Energiekonzerne mit ihren Kohlekraftwerken, die abgeschaltet werden müssten.
Einige Länder wie beispielsweise Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen oder Bayern halten nicht gerade unerhebliche Anteile an den Energieversorgern. Abgeschaltete Kraftwerke werfen keine Gewinne ab. Da ist Landeschef Armin Laschet (CDU), Stephan Weil (SPD) oder Horst Seehofer (CSU) das Hemd logischerweise näher als die Hose. Denn die Verlustvorträge der Unternehmen landen Eins zu Eins im Landeshaushalt, und das bedeutet weniger Geld, um Gutes am Volk zu tun. Und der nächste Wahltag kommt garantiert.
Die vermeintlich so mächtige Bundeskanzlerin Angela Merkel muss Rücksicht auf die Unions-Landesfürsten nehmen. SPD-Chef Martin Schulz geht es da nicht anders, eingezwängt zwischen den mächtigen Landesmüttern Malu Dreyer (Rheinland-Pfalz) und Manuela Schwesig (Mecklenburg-Vorpommern). Beide sind obendrein noch seine Stellvertreterinnen, mischen also nicht nur auf Landesebene über den Bundesrat und in den möglicherweise anstehenden Koalitionsverhandlungen mit, sondern auch noch parteiintern an höchster Stelle. Wenn dann auch noch ein bayerischer Ministerpräsident vom Schlage Seehofer mit am Verhandlungstisch sitzt, sind weder Merkel noch Schulz als Verhandlungsführer zu beneiden.