Sie gelten als eines der It-Accessoires der Saison und haben ihr billig-verruchtes Image ablegen können. Doch nicht nur Netzstrumpfhosen sind diesen Winter angesagt – einige Designer wagen sich sogar an weiße Nylons heran.
Es ist noch gar nicht so lange her, da waren Strumpfhosen auf den Laufstegen oder Roten Teppichen dieser Welt absolut verpönt. Selbst bei Minusgraden stolzierten die Promi-Damen gewissermaßen unten ohne, um stolz ihre makellos gepflegten und rasierten nackten Beine zu präsentieren. Die Designer waren offenbar der Meinung, dass ihre neuen Klamotten in Kombination mit diffizilen Tights womöglich nicht mehr so cool rüberkommen würden. In den Pre-Fall-Kollektionen 2016 einiger renommierter Labels sollte sich diesbezüglich ein Umdenken offenbaren und sich damit eine überraschende Rückkehr der Strumpfhosen auf den Catwalks ankünden. Die Models von Balmain trugen eine blickdichte, samtartige Pantyhose, Giamba präferierte für seine Damen den auffälligen Animal-Print, bei Gucci stachen grell-bunte Farben ins Auge. Karl Lagerfeld setzte bei Chanel auf feine Nylons mit Patchwork-Optik und teilte auf Anfrage dazu mit, dass seiner Meinung nach Strumpfhosen das nächste große Objekt weiblicher Fashion-Begierde werden könnten.
Weiße Modelle stehen auch ganz oben auf der Liste
Schon wenige Monate später schien sich Lagerfelds Voraussage auf den Fashion Weeks für Herbst/Winter 2016/2017 zu bestätigen. Zumindest für die Designer waren Tights plötzlich wieder ein Must-have. Darunter sogar Netzstrumpfhosen bei Jeremy Scott, Rodarte oder Philosophy by Lorenzo Serafini. In Sachen Stumpfhosen schienen der Kreativität von Saint Laurent oder Burberry bis Prada oder Blugirl keine Grenzen gesetzt, es gab alle möglichen Farben, aber auch Tights mit Glitter, Punkten oder Mustern.
Die wichtigsten Influencerinnen in den Sozialen Medien und Streetstyle-Stars wie Chiara Ferragni sprangen sofort auf den Trendzug auf. Selbst auf der Berliner Fashion Week waren Strumpfhosen auf den Laufstegen von Lena Hoschek, Marc Cain oder Isabell de Hillerin zu sehen – obwohl sich die Mehrzahl der weiblichen Gäste noch bibbernd strumpffrei in der Front Row niedergelassen hatte. Natürlich haben auch Strumpf-Spezialisten wie Falke, Wolford oder Calzedonia in Windeseile ihr Sortiment kreativ erweitert. Für wenig Geld gibt es spannende Foot- und Legwear inzwischen auch bei H&M, Zalando oder Asos. Fast könnte frau von einer totalen Strumpfanarchie sprechen, weil so ziemlich alles erlaubt ist.
Trotz der Kultserie „Gossip Girl“, bei der mit Blair Waldorf und Jenny Humphrey zwei der Hauptfiguren häufiger mit weißen Beinkleidern aufgetreten waren, hatten sich an weiße Strumpfhosen lange Zeit keine Designer mehr herangetraut. Weil diese allgemein nur als Accessoire bei Ballett-Mädchen, Bräuten oder Krankenhausschwestern gesellschaftliche Akzeptanz gefunden haben und zudem schnell unschöne Assoziationen an Kompressionsstrümpfe wecken können. Von daher waren weiße Strumpfhosen im Jahr 2008 bei Balenciaga und Narciso Rodriguez kaum mehr als kleine Versuchsballons. 2010 rief dann die Marke BCBG Max Azria nur mitleidiges Kopfschütteln hervor, weil sämtliche Klamotten der Kollektion auf dem Laufsteg mit weißen Nylons kombiniert waren.
Im Sommer 2017 tauchten dann weiße Strumpfhosen gleich bei vier Labels auf: Céline, Gucci, Thom Brown und Off-White. US-Kult-Bloggerin Leandra Medine von „Man Repeller“ outete sich auf der Stelle als Mega-Fan der weißen Nylons. Wobei der „Männerschreck“ (so die Übersetzung ihres Blognamens) wie immer keinerlei Rücksicht auf die Meinung der Herren der Schöpfung legte, die in der Vergangenheit größtenteils wenig Gefallen an dieser Strumpfhosenfarbe bekundet hatten. Auch diesen Winter müssen die Männer gelegentlich wieder sehr stark sein, wenn sie Fotos von Modenschauen bekannter Labels sehen, die die Beine ihrer Models in weiße Nylons hüllen ließen, beispielsweise Nina Ricci (mit Floralmuster), Lanvin, Trussardi, Lemaire oder Veronique Branquinho.
Wie oben schon angesprochen, begann alles mit der Herbst/Winter-Kollektion 2016/2017, obwohl streng genommen bereits im Sommer 2016, als Fishnets bei Maison Margiela oder Proenza Schouler zu sehen waren. Das einst verruchte Accessoire, die Netzstrumpfhose, lange Zeit das Markenzeichen von Prostituierten, wurde quasi auf der Stelle von VIP-Ladys wie Kate Moss, Alexa Chung, Gwyneth Paltrow, Bella Hadid oder Kendall Jenner ins Herz geschlossen und via Instagram von Bloggern wie Caro Daur (die gleich mit Calzedonia eine eigene Kollektion entworfen hat, die in Konkurrenz zu Kunerts „Blue Collection“ und neuen Strumpfhosen-Modellen von Fogal steht) als neues It-Accessoire herausgestellt.
Das hat natürlich keinerlei wärmenden Effekt, macht dafür aber optisch viel her. Verstecken gilt nicht, denn nicht nur zum kurzen Rock werden die Fish-nets getragen (wem der Look zu sexy erscheint, sollte derbe Boots, Bikerjacke oder Kuschelstrick als Kombipartner wählen), sondern sie blitzen auch unter 7/8-Hosen und destroyed Jeans (ideal: möglichst große Löcher) hervor oder ihr Bund wird weit über den Hosenrand bis jenseits des Bauchnabels nach oben gezogen. Kim Kardashian, Stefanie Giesinger, Hailey Baldwin oder Kendall Jenner haben im Web diesen neuen Trage-Style vorgemacht, wobei ein bauchfreies Oberteil unbedingt dazu gehört. Auf den Laufstegen der internationalen Fashion Shows für den Winter 2017/2018 waren Netzstrumpfhosen zu sichten bei Marken wie Lanvin, Dior, Jason Wu, Phillip Lim, House of Holland oder Jenny Packham.
Vielseitig einsetzbar für verschiedene Looks
Erfunden wurden die Fishnets übrigens um 1890 in Frankreich. Berühmt wurden sie durch den Cancan in Paris. Neben den Tänzerinnen, die den Männern beim Hochschwingen der Röcke schöne Blicke auf ihre bestrumpften Beine ermöglichten, waren es schnell auch die Pariser Kokotten, die Netzstrümpfe in ihr typisches Kleidungsrepertoire aufnahmen. Marlene Dietrich trat bei Bühnenauftritten als Sängerin häufiger in dem gewagten Strumpfmodell auf. Marilyn Monroe zeigte ihre Fishnet-Beine in der Rolle einer Saloon-Sängerin in dem Western „Fluss ohne Wiederkehr“ 1954. In den 60ern war Twiggy ein bekennender Fishnet-Fan. In den 70ern wurden die Strumpfhosen dank Vivienne Westwood über die Fetisch-Szene zur Grundausstattung der Punks und ein Jahrzehnt später der Gothic-Fans. Madonna stellte wieder die Verbindung zu Sex und Erotik her, indem sie auf dem Cover ihres Albums „In Bed with Madonna“ 1991 lasziv in Netzstrümpfen und mit blondiertem Haar als Monroe-Zitat posierte.